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484.

Der eigene Weg. — Wenn wir den entscheidenden Schritt thun und den Weg antreten, welchen man den» eigenen Weg «nennt: so enthüllt sich uns plötzlich ein Geheimniss: wer auch alles mit uns freund und vertraut war, — Alle haben sich bisher eine Überlegenheit über uns eingebildet und sind beleidigt. Die Besten von ihnen sind nachsichtig und warten geduldig, dass wir den» rechten Weg«— sie wissen ihn ja! — schon wieder finden werden. Die Anderen spotten und thun, als sei man vorübergehend närrisch geworden oder bezeichnen hämisch einen Verführer. Die Böseren erklären uns für eitle Narren und suchen unsere Motive zu schwärzen, und der Schlimmste sieht in uns seinen schlimmsten Feind, einen, den nach Rache für eine lange Abhängigkeit dürstet, — und fürchtet sich vor uns. — Was also thun? Ich rathe: seine Souveränität damit anfangen, dass man für ein Jahr voraus allen uns Bekannten für Sünden jeder Art Amnestie zusichert.

485.

Ferne Perspectiven. — A: Aber warum diese Einsamkeit? — B: Ich zürne Niemandem. Aber allein scheine ich meine Freunde deutlicher und schöner zu sehen, als zusammen mit ihnen; und als ich die Musik am meisten liebte und empfand, lebte ich ferne von ihr. Es scheint, ich brauche die fernen Perspectiven, um gut von den Dingen zu denken.

486.

Gold und Hunger. — Hier und da giebt es einen Menschen, der Alles, was er berührt, in Gold verwandelt. Eines guten bösen Tages wird er entdecken, dass er selber dabei verhungern muss. Er hat Alles glänzend, herrlich, idealisch-unnahbar um sich, und nun sehnt er sich nach Dingen, welche in Gold zu verwandeln ihm durchaus unmöglich ist — und wie sehnt er sich! Wie ein Verhungernder nach Speise! — Wonach wird er greifen?

487.

Scham. — Da steht das schöne Ross und scharrt den Boden, es schnaubt, es verlangt nach einem Ritte und liebt Den, der es sonst reitet, — aber oh Scham! dieser kann sich heute nicht hinaufschwingen, er ist müde. — Diess ist die Scham des ermüdeten Denkers vor seiner eigenen Philosophie.

488.

Gegen die Verschwendung der Liebe. — Erröthen wir nicht, wenn wir uns auf einer heftigen Abneigung ertappen? Aber wir sollten es auch bei heftigen Zuneigungen thun, der Ungerechtigkeit wegen, die auch in ihnen liegt! Ja, noch mehr: es giebt Menschen, die sich wie eingeengt und geschnürten Herzens fühlen, wenn Jemand ihnen seine Zuneigung nur so zu Gute kommen lässt, dass er damit Anderen Etwas von Zuneigung entzieht. Wenn wir es der Stimme anhören, dass wir ausgewählt, vorgezogen werden! Ach, ich bin nicht dankbar für dieses Auswählen, ich merke, dass ich es Dem nachtrage, der mich so auszeichnen wilclass="underline" er soll mich nicht auf Unkosten der Anderen lieben! Will ich doch schon zusehen, mit mir mich selber zu ertragen! Und oft habe ich noch das Herz voll und Grund zu Übermuth, — einem Solchen, der Solches hat, soll man Nichts bringen, was Andere nöthig, bitter nöthig haben!

489.

Freunde in der Noth. — Mitunter merken wir, dass einer unserer Freunde mehr zu einem Andern, als zu uns gehört, dass sein Zartsinn sich bei dieser Entscheidung quält und seine Selbstsucht dieser Entscheidung nicht gewachsen ist: da müssen wir es ihm erleichtern und ihn von uns fortbeleidigen. — Diess ist ebenfalls da nöthig, wo wir in eine Art zu denken übergehen, welche ihm verderblich sein würde: unsere Liebe zu ihm muss uns treiben, durch ein Unrecht, das wir auf uns nehmen, ihm ein gutes Gewissen zu seiner Lossagung von uns zu schaffen.

490.

Diese kleinen Wahrheiten! — »Ihr kennt diess Alles, aber ihr habt es nie erlebt, — ich nehme euer Zeugniss nicht an. Diese kleinen Wahrheiten'! — sie dünken euch klein, weil ihr sie nicht mit eurem Blute bezahlt habt!«— Aber sind sie denn gross, desshalb, weil man Zuviel dafür bezahlt hat? Und Blut ist immer ein Zuviel! — »Glaubt ihr? Was ihr geizig mit Blute seid!»

491.

Auch desshalb Einsamkeit! — A: So willst du wieder in deine Wüste zurück?.- B: Ich bin nicht schnell, ich muss auf mich warten, — es wird spät, bis jedesmal das Wasser aus dem Brunnen meines Selbst an's Licht kommt, und oft muss ich länger Durst leiden, als ich Geduld habe. Desshalb gehe ich in die Einsamkeit, — um nicht aus den Cisternen für Jedermann zu trinken. Unter Vielen lebe ich wie Viele und denke nicht wie ich; nach einiger Zeit ist es mir dann immer, als wolle man mich aus mir verbannen und mir die Seele rauben — und ich werde böse auf Jedermann und fürchte Jedermann. Die Wüste thut mir dann noth, um wieder gut zu werden.

492.

Unter den Südwinden. — A: Ich verstehe mich nicht mehr! Gestern noch war es in mir so stürmisch und dabei so warm, so sonnig — und hell bis zum Äussersten. Und heute! Alles ist nun ruhig, weit, Schwermüthig, dunkel, wie die Lagune von Venedig: — ich will Nichts und athme tief auf dabei und doch bin ich mir <bei> insgeheim unwillig über diess Nichts-Wollen: — so plätschern die Wellen hin und her, im See meiner Melancholie. — B: Du beschreibst da eine kleine angenehme Krankheit. Der nächste Nordostwind wird sie von dir nehmen! — A: Warum doch!

493.

Auf dem eigenen Baume. — A:»Ich habe bei den Gedanken keines Denkers so viel Vergnügen, wie bei den eigenen: das sagt freilich Nichts über ihren Werth, aber ich müsste ein Narr sein, um die für mich schmackhaftesten Früchte zurückzusetzen, weil sie zufällig auf in einem Baume wachsen! — Und ich war einmal dieser Narr.«— B:»Andern geht es umgekehrt: und auch diess sagt Nichts über den Werth ihrer Gedanken, namentlich noch Nichts gegen ihren Werth.»

494.

Letztes Argument des Tapferen. — »In diesem Gebüsche sind Schlangen.«— Gut, ich werde in das Gebüsch gehen und sie tödten. — »Aber vielleicht wirst du dabei das Opfer, und sie werden nicht einmal das deine!«— Was liegt an mir!

495.

Unsere Lehrer. — In der Jugend nimmt man seine Lehrer und Wegweiser aus der Gegenwart und aus den Kreisen, auf welche wir gerade stossen: wir haben die gedankenlose Zuversicht, dass die Gegenwart Lehrer haben müsse, die für uns mehr, als für jeden Anderen taugen und dass wir sie finden müssen, ohne viel zu suchen. Für diese Kinderei muss man später hartes Lösegeld zahlen: man muss seine Lehrer an sich abbüssen. Dann geht man wohl nach den rechten Wegweisern suchen in der ganzen Welt herum, die Vorwelt eingerechnet, — aber es ist vielleicht zu spät. Und schlimmsten Falles entdecken wir, dass sie lebten, als wir jung waren — und dass wir uns damals vergriffen haben.

496.

Das böse Princip. — Plato hat es prachtvoll beschrieben, wie der philosophische Denker inmitten jeder bestehenden Gesellschaft als der Ausbund aller Ruchlosigkeit gelten muss: denn als Kritiker aller Sitten ist er der Gegensatz des sittlichen Menschen, und wenn er es nicht so weit bringt, der Gesetzgeber neuer Sitten zu werden, so bleibt er in der Erinnerung der Menschen zurück als» das böse Princip«. Wir dürfen hieraus errathen, wie die ziemlich freisinnige und neuerungssüchtige Stadt Athen dem Rufe Plato's bei seinen Lebzeiten mitgespielt hat: was Wunders, dass er — der, wie er selber sagt, den» politischen Trieb «im Leibe hatte, — dreimal einen Versuch in Sicilien gemacht hat, wo sich damals gerade ein gesammtgriechischer Mittelmeer-Staat vorzubereiten schien? In ihm und mit seiner Hülfe gedachte Plato für alle Griechen Das zu thun, was Muhammed später für seine Araber that: die grossen und kleinen Bräuche und namentlich die tägliche Lebensweise von Jedermann festzusetzen. Möglich waren seine Gedanken, so gewiss die des Muhammed möglich waren: sind doch viel unglaublichere, die des Christenthums, als möglich bewiesen worden! Ein paar Zufälle weniger und ein paar andere Zufälle mehr — und die Welt hätte die Platonisirung des europäischen Südens erlebt; und gesetzt, dieser Zustand dauerte jetzt noch fort, so würde muthmaasslich in Plato das» gute Princip «von uns verehrt werden. Aber der Erfolg fehlte ihm: und so blieb ihm der Ruf eines Phantasten und Utopisten, — die härteren Namen sind mit dem alten Athen zu Grunde gegangen.

497.

Das reinmachende Auge. — Von» Genius «wäre am ehesten bei solchen Menschen zu reden, wo der Geist, wie bei Plato, Spinoza und Goethe, an den Charakter und das Temperament nur lose angeknüpft erscheint, als ein beflügeltes Wesen, das sich von jenen leicht trennen und sich dann weit über sie erheben kann. Dagegen haben gerade Solche am lebhaftesten von ihrem» Genius «gesprochen, welche von ihrem Temperamente nie loskamen und ihm den geistigsten, grössten, allgemeinsten, ja unter Umständen kosmischen Ausdruck zu geben wussten (wie zum Beispiel Schopenhauer). Diese Genie's konnten nicht über sich hinausfliegen, aber sie glaubten sich vorzufinden, wiederzufinden, wohin sie auch nur flogen, — das ist ihre» Grösse«, und kann Grösse sein! — Die Anderen, welchen der Name eigentlicher zukommt, haben das reine, reinmachende Auge, das nicht aus ihrem Temperament und Charakter gewachsen scheint, sondern frei von ihnen und meist in einem milden Widerspruch gegen sie auf die Welt wie auf einen Gott blickt und diesen Gott liebt. Auch ihnen ist aber dieses Auge nicht mit Einem Male geschenkt: es giebt eine Übung und Vorschule des Sehens, und wer rechtes Glück hat, findet zur rechten Zeit auch einen Lehrer des reinen Sehens.

498.

Nicht fordern! — Ihr kennt ihn nicht! Ja, er unter wirft sich leicht und frei den Menschen und den Dingen, und ist gütig gegen Beide; seine einzige Bitte ist, in Ruhe gelassen zu werden, — aber nur solange Menschen und Dinge nicht Unterwerfung fordern. Alles Fordern macht ihn stolz, scheu und kriegerisch.

499.

Der Böse. — »Nur der Einsame ist böse, «rief Diderot: und sogleich fühlte sich Rousseau tödtlich verletzt. Folglich gestand er sich zu, dass Diderot Recht habe. In der That hat jeder böse Hang inmitten der Gesellschaft und Geselligkeit so viel Zwang sich anzuthun, so viel Larven vorzunehmen, so oft sich selbst in das Prokrustes-Bett der Tugend zu legen, dass man recht wohl von einem Märtyrerthum des Bösen reden könnte. In der Einsamkeit fällt diess Alles dahin. Wer böse ist, ist es am meisten in der Einsamkeit: auch am besten — und folglich für das Auge Dessen, der überall nur ein Schauspiel sieht, auch am schönsten.