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543.

Nicht die Leidenschaft zum Argument der Wahrheit machen! — Oh, ihr gutartigen und sogar edlen Schwärmer, ich kenne euch! Ihr wollt Recht behalten, vor uns, aber auch vor euch, und vor Allem vor euch! — und ein reizbares und feines böses Gewissen stachelt und treibt euch so oft gerade gegen euere Schwärmerei! Wie geistreich werdet ihr dann, in der Überlistung und Betäubung dieses Gewissens! Wie hasst ihr die Ehrlichen, Einfachen, Reinlichen, wie meidet ihr ihre unschuldigen Augen! Jenes bessere Wissen, dessen Vertreter sie sind und dessen Stimme ihr in euch selber zu laut hört, wie es an eurem Glauben zweifelt, — wie sucht ihr es zu verdächtigen, als schlechte Gewohnheit, als Krankheit der Zeit, als Vernachlässigung und Ansteckung eurer eigenen geistigen Gesundheit! Bis zum Hass gegen die Kritik, die Wissenschaft, die Vernunft treibt ihr es! Ihr müsst die Geschichte fälschen, damit sie für euch zeuge, ihr müsst Tugenden leugnen, damit sie die eurer Abgötter und Ideale nicht in Schatten stellen! Farbige Bilder, wo Vernunftgründe noth thäten! Gluth und Macht der Ausdrücke! Silberne Nebel! Ambrosische Nächte! Ihr versteht euch darauf, zu beleuchten und zu verdunkeln, und mit Licht zu verdunkeln! Und wirklich, wenn eure Leidenschaft in's Toben geräth, so kommt ein Augenblick, da ihr euch sagt: jetzt habe ich mir das gute Gewissen erobert, jetzt bin ich hochherzig, muthig, selbstverleugnend, grossartig, jetzt bin ich ehrlich! Wie dürstet ihr nach diesen Augenblicken, wo eure Leidenschaft euch vor euch selber volles, unbedingtes Recht und gleichsam die Unschuld giebt, wo ihr in Kampf, Rausch, Wuth, Hoffnung ausser euch und über alle Zweifel hinweg seid, wo ihr decretirt» wer nicht ausser sich ist, wie wir, der kann gar nicht wissen, was und wo die Wahrheit ist!«Wie dürstet ihr darnach, Menschen eures Glaubens in diesem Zustande — es ist der der Lasterhaftigkeit des Intellectes — zu finden und an ihrem Brande eure Flammen zu entzünden! Oh über euer Martyrium! Über euren Sieg der heilig gesprochenen Lüge! Müsst ihr euch so viel Leides selber anthun? — Müsst ihr? —

544.

Wie man jetzt Philosophie treibt. — Ich merke wohclass="underline" unsere philosophirenden Jünglinge, Frauen und Künstler verlangen jetzt gerade das Gegentheil dessen von der Philosophie, was die Griechen von ihr empfiengen! Wer das fortwährende Jauchzen nicht hört, welches durch jede Rede und Gegenrede eines platonischen Dialogs geht, das Jauchzen über die neue Erfindung des vernünftigen Denkens, was versteht der von Plato, was von der alten Philosophie? Damals füllten sich die Seelen mit Trunkenheit, wenn das strenge und nüchterne Spiel der Begriffe, der Verallgemeinerung, Widerlegung, Entführung getrieben wurde, — mit jener Trunkenheit, welche vielleicht auch die alten grossen strengen und nüchternen Contrapunctiker der Musik gekannt haben. Damals hatte man in Griechenland den anderen älteren und ehedem allmächtigen Geschmack noch auf der Zunge: und gegen ihn hob sich das Neue so zauberhaft ab, dass man von der Dialektik, der» göttlichen Kunst«, wie im Liebeswahnsinn sang und stammelte. Jenes Alte aber war das Denken im Banne der Sittlichkeit, für das es lauter festgestellte Urtheile, festgestellte Ursachen, keine anderen Gründe als die der Autorität gab: sodass Denken ein Nachreden war und aller Genuss der Rede und des Gesprächs in der Form liegen musste. (Überall, wo der Gehalt als ewig und allgültig gedacht wird, giebt es nur Einen grossen Zauber: den der wechselnden Form, das heisst der Mode. Der Grieche genoss auch an den Dichtern, von den Zeiten Homer's her, und später an den Plastikern, nicht die Originalität, sondern deren Widerspiel.) Sokrates war es, der den entgegengesetzten Zauber, den der Ursache und Wirkung, des Grundes und der Folge entdeckte: und wir modernen Menschen sind so sehr an die Nothdurft der Logik gewöhnt und zu ihr erzogen, dass sie uns als der normale Geschmack auf der Zunge liegt und als solche den Lüsternen und Dünkelhaften zuwider sein muss. Was sich gegen ihn abhebt, entzückt diese: ihr feinerer Ehrgeiz möchte gar zu gerne sich glauben machen, dass ihre Seelen Ausnahmen seien, nicht dialektische und vernünftige Wesen, sondern — nun zum Beispiel» intuitive Wesen«, begabt mit dem» inneren Sinn «oder mit der» intellectualen Anschauung«. Vor Allem aber wollen sie» künstlerische Naturen «sein, mit einem Genius im Kopfe und einem Dämon im Leibe und folglich auch mit Sonderrechten für diese und jene Welt, namentlich mit dem Götter-Vorrecht, unbegreiflich zu sein. — Das treibt nun auch Philosophie! Ich fürchte, sie merken eines Tages, dass sie sich vergriffen haben, — das, was sie wollen, ist Religion!

545.

Aber wir glauben euch nicht! — Ihr möchtet euch gerne als Menschenkenner geben, aber wir werden euch nicht durchschlüpfen lassen! Sollen wir es nicht merken, dass ihr euch erfahrener, tiefer, erregter, vollständiger darstellt, als ihr seid? So gut wir an jenem Maler es fühlen, wie schon in der Führung seines Pinsels eine Anmaassung liegt: so gut wir es jenem Musiker anhören, dass er durch die Art, wie er sein Thema einführt, es als höher ausgeben möchte, als es ist. Habt ihr Geschichte in euch erlebt, Erschütterungen, Erdbeben, weite lange Traurigkeiten, blitzartige Beglückungen? Seid ihr närrisch gewesen mit grossen und kleinen Narren? Habt ihr den Wahn und das Wehe der guten Menschen wirklich getragen? Und das Wehe und die Art Glück der schlechtesten hinzu? Dann redet mir von Moral, sonst nicht!

546.

Sclave und Idealist. — Der Epiktetische Mensch wäre wahrlich nicht nach dem Geschmacke Derer, welche jetzt nach dem Ideale streben. Die stete Spannung seines Wesens, der nach Innen gewendete unermüdliche Blick, das Verschlossene, Vorsichtige, Unmittheilsame seines Auges, falls er sich einmal der Aussenwelt zukehrt; und gar das Schweigen oder Kurzreden: Alles Merkmale der strengsten Tapferkeit, — was wäre das für unsere Idealisten, die vor Allem nach der Expansion lüstern sind! Zu alledem ist er nicht fanatisch, er hasst die Schaustellung und die Ruhmredigkeit unserer Idealisten: sein Hochmuth, so gross er ist, will doch nicht die Anderen stören, er gesteht eine gewisse milde Annäherung zu und möchte Niemandem die gute Laune verderben, — ja er kann lächeln! Es ist sehr viel antike Humanität in diesem Ideale! Das Schönste aber ist, dass ihm die Angst vor Gott völlig abgeht, dass er streng an die Vernunft glaubt, dass er kein Bussredner ist. Epiktet war ein Sclave: sein idealer Mensch ist ohne Stand und in allen Ständen möglich, vor Allem aber wird er in der tiefen, niedrigen Masse zu suchen sein, als der Stille, Sich-Selbst-Genügende innerhalb einer allgemeinen Verknechtung, der sich nach Aussen hin für sich selber wehrt und fortwährend im Zustande der höchsten Tapferkeit lebt. Von dem Christen unterscheidet er sich vor Allem hierin, dass der Christ in Hoffnung lebt, in der Vertröstung auf» unaussprechbare Herrlichkeiten«, dass er sich beschenken lässt und das Beste von der göttlichen Liebe und Gnade, und nicht von sich, erwartet und annimmt: während Epiktet nicht hofft und sein Bestes sich nicht schenken lässt, — er besitzt es, er hält es tapfer in seiner Hand, er macht es der ganzen Welt streitig, wenn diese es ihm rauben will. Das Christenthum war für eine andere Gattung antiker Sclaven gemacht, für die willens- und vernunftschwachen, also für die grosse Masse der Sclaven.

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Die Tyrannen des Geistes. — Der Gang der Wissenschaft wird jetzt nicht mehr durch die zufällige Thatsache, dass der Mensch ungefähr siebenzig Jahre alt wird, gekreuzt, wie es allzulange der Fall war. Ehemals wollte Einer während dieses Zeitraumes an's Ende der Erkenntnis kommen und nach diesem allgemeinen Gelüste schätzte man die Methoden der Erkenntniss ab. Die kleinen einzelnen Fragen und Versuche galten als verächtlich, man wollte den kürzesten Weg, man glaubte, weil Alles in der Welt auf den Menschen hin eingerichtet schien, dass auch die Erkennbarkeit der Dinge auf ein menschliches Zeitmaass eingerichtet sei. Alles mit Einem Schlage, mit Einem Worte zu lösen, — das war der geheime Wunsch: unter dem Bilde des gordischen Knotens oder unter dem des Eies des Columbus dachte man sich die Aufgabe; man zweifelte nicht, dass es möglich sei, auch in der Erkenntniss nach Art des Alexander oder des Columbus zum Ziele zu kommen und alle Fragen mit Einer Antwort zu erledigen.»Ein Räthsel ist zu lösen«: so trat das Lebensziel vor das Auge des Philosophen; zunächst war das Räthsel zu finden und das Problem der Welt in die einfachste Räthselform zusammen zudrängen. Der gränzenlose Ehrgeiz und Jubel, der» Enträthsler der Welt «zu sein, machte die Träume des Denkers aus: Nichts schien ihm der Mühe werth, wenn es nicht das Mittel war, Alles für ihn zu Ende zu bringen! So war Philosophie eine Art höchsten Ringens um die Tyrannenherrschaft des Geistes, — dass eine solche irgend einem Sehr-Glücklichen, Feinen, Erfindsamen, Kühnen, Gewaltigen vorbehalten und aufgespart sei, — einem Einzigen! — daran zweifelte Keiner, und Mehrere haben gewähnt, zuletzt noch Schopenhauer, dieser Einzige zu sein. — Daraus ergiebt sich, dass im Grossen und Ganzen die Wissenschaft bisher durch die moralische Beschränktheit ihrer Jünger zurückgeblieben ist und dass sie mit einer höheren und grossmüthigeren Grundempfindung fürderhin getrieben werden muss.»Was liegt an mir!«— steht über der Thür des künftigen Denkers.

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Der Sieg über die Kraft. — Erwägt man, was bisher Alles als»übermenschlicher Geist«, als» Genie «verehrt worden ist, so kommt man zu dem traurigen Schlusse, dass im Ganzen die Intellectualität der Menschheit doch etwas sehr Niedriges und Armseliges gewesen sein muss: so wenig Geist gehörte bisher dazu, um sich gleich erheblich über sie hinaus zu fühlen! Ach, um den wohlfeilen Ruhm des» Genie's«! Wie schnell ist sein Thron errichtet, seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraft auf den Knieen — nach alter Sclaven-Gewohnheit — und doch ist, wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll, nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend: man muss messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist und als ihr Werkzeug und Mittel nunmehr in Diensten steht! Aber für ein solches Messen giebt es noch gar zu wenig Augen, ja zumeist wird noch das Messen des Genie's für einen Frevel gehalten. Und so geht vielleicht das Schönste immer noch im Dunkel vor sich und versinkt, kaum geboren, in ewige Nacht, — nämlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie nicht auf Werke, sondern auf sich als Werk, verwendet, das heisst auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zuströmen von Aufgaben und Einfällen. Noch immer ist der grosse Mensch gerade in dem Grössten, was Verehrung erheischt, unsichtbar wie ein zu fernes Gestirn: sein Sieg über die Kraft bleibt ohne Augen und folglich auch ohne Lied und Sänger. Noch immer ist die Rangordnung der Grösse für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.