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61.

Das Opfer, das noth thut. — Diese ernsten, tüchtigen, rechtlichen, tief empfindenden Menschen, welche jetzt noch von Herzen Christen sind: sie sind es sich schuldig, einmal auf längere Zeit versuchsweise ohne Christenthum zu leben, sie sind es ihrem Glauben schuldig, einmal auf diese Art einen Aufenthalt» in der Wüste «zu nehmen, — nur damit sie sich das Recht erwerben, in der Frage, ob das Christenthum nöthig sei, mitzureden. Einstweilen kleben sie an ihrer Scholle und lästern von da aus die Welt jenseits der Scholle: ja, sie sind böse und erbittert, wenn Jemand zu verstehen giebt, dass jenseits der Scholle eben noch die ganze, ganze Welt liegt! dass das Christenthum, Alles in Allem, eben nur ein Winkel ist! Nein, euer Zeugniss wiegt nicht eher Etwas, als bis ihr Jahre lang ohne Christenthum gelebt habt, mit einer ehrlichen Inbrunst darnach, es im Gegentheile des Christenthums auszuhalten: bis ihr weit, weit von ihm fortgewandert seid. Nicht wenn das Heimweh euch zurücktreibt, sondern das Urtheil auf Grund einer strengen Vergleichung, so hat euer Heimkehren Etwas zu bedeuten! — Die zukünftigen Menschen werden es einmal so mit allen Werthschätzungen der Vergangenheit machen; man muss sie freiwillig noch einmal durchleben, und ebenso ihr Gegentheil, — um schliesslich das Recht zuhaben, sie durch das Sieb fallen zu lassen.

62.

Vom Ursprunge der Religionen. — Wie kann Einer seine eigene Meinung über die Dinge als eine Offenbarung empfinden? Diess ist das Problem von der Entstehung der Religionen: jedesmal hat es einen Menschen dabei gegeben, in welchem jener Vorgang möglich war. Die Voraussetzung ist, dass er vorher schon an Offenbarungen glaubte. Nun gewinnt er eines Tages plötzlich seinen neuen Gedanken, und das Beseligende einer eigenen grossen Welt und Dasein umspannenden Hypothese tritt so gewaltig in sein Bewusstsein, dass er sich nicht als Schöpfer einer solchen Seligkeit zu fühlen wagt und die Ursache davon und wieder die Ursache der Ursache jenes neuen Gedankens seinem Gotte zuschreibt: als dessen Offenbarung. Wie sollte ein Mensch der Urheber eines so grossen Glückes sein können! — lautet sein pessimistischer Zweifel. Dazu wirken nun im Verborgenen andere Hebeclass="underline" zum Beispiele man bekräftigt eine Meinung vor sich dadurch, dass man sie als Offenbarung empfindet, man streicht damit das Hypothetische weg, man entzieht sie der Kritik, ja dem Zweifel, man macht sie heilig. So erniedrigt man sich zwar selber zum Organon, aber unser Gedanke siegt zuletzt als Gottesgedanke, — dieses Gefühl, damit am Ende Sieger zu bleiben, erringt die Oberhand über jenes Gefühl der Erniedrigung. Auch ein anderes Gefühl spielt im Hintergrunde: wenn man sein Erzeugniss über sich selber erhebt und scheinbar vom eigenen Werthe absieht, so giebt es doch dabei ein Frohlocken von Vaterliebe und Vaterstolz, das Alles ausgleicht und mehr als ausgleicht.

63.

Nächsten-Hass. — Gesetzt, wir empfänden den Anderen so, wie er sich selber empfindet — Das, was Schopenhauer Mitleid nennt und was richtiger Ein-Leid, Einleidigkeit hiesse — , so würden wir ihn hassen müssen, wenn er sich selber, gleich Pascal, hassenswerth findet. Und so empfand wohl auch Pascal im Ganzen gegen die Menschen, und ebenso das alte Christenthum, das man, unter Nero, des odium generis humani»überführte«, wie Tacitus meldet.

64.

Die Verzweifelnden. — Das Christenthum hat den Instinct des Jägers für alle Die, welche irgend wodurch überhaupt zur Verzweiflung zu bringen sind, — nur eine Auswahl der Menschheit ist deren fähig. Hinter ihnen ist es immer her, ihnen lauert es auf. Pascal machte den Versuch, ob nicht mit Hülfe der schneidendsten Erkenntniss Jedermann zur Verzweiflung gebracht werden könnte; — der Versuch misslang, zu seiner zweiten Verzweiflung.

65.

Brahmanen- und Christenthum. — Es giebt Recepte zum Gefühle der Macht, einmal für Solche, welche sich selber beherrschen können und welche bereits dadurch in einem Gefühle der Macht zu Hause sind: sodann für Solche, welchen gerade diess fehlt. Für Menschen der ersten Gattung hat das Brahmanenthum Sorge getragen, für Menschen der zweiten Gattung das Christenthum.

66.

Fähigkeit der Vision. — Durch das ganze Mittelalter hindurch galt als das eigentliche und entscheidende Merkmal des höchsten Menschenthums: dass man der Vision — das heisst einer tiefen geistigen Störung! — fähig sei. Und im Grunde gehen die mittelalterlichen Lebensvorschriften aller höheren Naturen (der religiosi) darauf hinaus, den Menschen der Vision fähig zu machen! Was Wunder, wenn noch in unsere Zeit hinein eine Überschätzung halbgestörter, phantastischer, fanatischer, sogenannter genialer Personen überströmte;»sie haben Dinge gesehen, die Andere nicht sehen«— gewiss! und diess sollte uns vorsichtig gegen sie stimmen, aber nicht gläubig!

67.

Preis der Gläubigen. — Wer solchen Werth darauf legt, dass an ihn geglaubt werde, dass er den Himmel für diesen Glauben gewährleistet, und Jedermann, sei es selbst ein Schächer am Kreuze, — der muss an einem furchtbaren Zweifel gelitten und jede Art von Kreuzigung kennen gelernt haben: er würde sonst seine Gläubigen nicht so theuer kaufen.

68.

Der erste Christ. — Alle Welt glaubt noch immer an die Schriftstellerei des» heiligen Geistes «oder steht unter der Nachwirkung dieses Glaubens: wenn man die Bibel aufmacht, so geschieht es, um sich zu» erbauen«, um in seiner eigenen, persönlichen grossen oder kleinen Noth einen Fingerzeig des Trostes zu finden, — kurz, man liest sich hinein und sich heraus. Dass in ihr auch die Geschichte einer der ehrgeizigsten und aufdringlichsten Seelen und eines ebenso abergläubischen als verschlagenen Kopfes beschrieben steht, die Geschichte des Apostels Paulus, — wer weiss das, einige Gelehrte abgerechnet? Ohne diese merkwürdige Geschichte aber, ohne die Verwirrungen und Stürme eines solchen Kopfes, einer solchen Seele, gäbe es keine Christenheit; kaum würden wir von einer kleinen jüdischen Secte erfahren haben, deren Meister am Kreuze starb. Freilich: hätte man eben diese Geschichte zur rechten Zeit begriffen, hätte man die Schriften des Paulus nicht als die Offenbarungen des» heiligen Geistes«, sondern mit einem redlichen und freien eigenen Geiste, und ohne an alle unsere persönliche Noth dabei zu denken, gelesen, wirklich gelesen — es gab anderthalb Jahrtausend keinen solchen Leser — , so würde es auch mit dem Christenthum längst vorbei sein: so sehr legen diese Blätter des jüdischen Pascal den Ursprung des Christenthums blos, wie die Blätter des französischen Pascal sein Schicksal und Das, woran es zu Grunde gehen wird, bloslegen. Dass das Schiff des Christenthums einen guten Theil des jüdischen Ballastes über Bord warf, dass es unter die Heiden gieng und gehen konnte, — das hängt an der Geschichte dieses Einen Menschen, eines sehr gequälten, sehr bemitleidenswerthen, sehr unangenehmen und sich selber unangenehmen Menschen. Er litt an einer fixen Idee, oder deutlicher: an einer fixen, stets gegenwärtigen, nie zur Ruhe kommenden Frage: welche Bewandtniss es mit dem jüdischen Gesetze habe? Und zwar mit der Erfüllung dieses Gesetzes? In seiner Jugend hatte er ihm selber genugthun wollen, heisshungrig nach dieser höchsten Auszeichnung, welche die Juden zu denken vermochten, — dieses Volk, welches die Phantasie der sittlichen Erhabenheit höher als irgend ein anderes Volk getrieben hat und welchem allein die Schöpfung eines heiligen Gottes, nebst dem Gedanken der Sünde als eines Vergehens an dieser Heiligkeit, gelungen ist. Paulus war zugleich der fanatische Vertheidiger und Ehrenwächter dieses Gottes und seines Gesetzes geworden und fortwährend im Kampfe und auf der Lauer gegen die Übertreter und Anzweifler desselben, hart und böse gegen sie und zum Äussersten der Strafen geneigt. Und nun erfuhr er an sich, dass er — hitzig, sinnlich, melancholisch, bösartig im Hass, wie er war — das Gesetz selber nicht erfüllen konnte, ja, was ihm das Seltsamste schien: dass seine ausschweifende Herrschsucht fortwährend gereizt wurde, es zu übertreten, und dass er diesem Stachel nachgeben musste. Ist es wirklich die» Fleischlichkeit«, welche ihn immer wieder zum Übertreter macht? Und nicht vielmehr, wie er später argwöhnte, hinter ihr das Gesetz selber, welches sich fortwährend als unerfüllbar beweisen muss und mit unwiderstehlichem Zauber zur Übertretung lockt? Aber damals hatte er diesen Ausweg noch nicht. Vielerlei lag ihm auf dem Gewissen — er deutet hin auf Feindschaft, Mord, Zauberei, Bilderdienst, Unzucht, Trunkenheit und Lust an ausschweifenden Gelagen — und wie sehr er auch diesem Gewissen, und noch mehr seiner Herrschsucht, durch den äussersten Fanatismus der Gesetzes-Verehrung und — Vertheidigung wieder Luft zu machen suchte: es kamen Augenblicke, wo er sich sagte» Es ist Alles umsonst! die Marter des unerfüllten Gesetzes ist nicht zu überwinden.«Ähnlich mag Luther empfunden haben, als er der vollkommene Mensch des geistlichen Ideals in seinem Kloster werden wollte: und ähnlich wie Luther, der eines Tages das geistliche Ideal und den Papst und die Heiligen und die ganze Clerisei zu hassen begann, mit einem wahren tödtlichen Hass, je weniger er ihn sich eingestehen durfte, — ähnlich ergieng es Paulus. Das Gesetz war das Kreuz, an welches er sich geschlagen fühlte: wie hasste er es! wie trug er es ihm nach! wie suchte er herum, um ein Mittel zu finden, es zu vernichten, — nicht mehr es für seine Person zu erfüllen! Und endlich leuchtete ihm der rettende Gedanke auf, zugleich mit einer Vision, wie es bei diesem Epileptiker nicht anders zugehen konnte: ihm, dem wüthenden Eiferer des Gesetzes, der innerlich dessen todtmüde war, erschien auf einsamer Strasse jener Christus, den Lichtglanz Gottes auf seinem Gesichte, und Paulus hörte die Worte:»warum verfolgst du mich?«Das Wesentliche, was da geschah, ist aber diess: sein Kopf war auf einmal hell geworden;»es ist unvernünftig, hatte er sich gesagt, gerade diesen Christus zu verfolgen! Hier ist ja der Ausweg, hier ist ja die vollkommene Rache, hier und nirgends sonst habe und halte ich ja den Vernichter des Gesetzes!«Der Kranke des gequältesten Hochmuthes fühlt sich mit Einem Schlage wieder hergestellt, die moralische Verzweiflung ist wie fortgeblasen, denn die Moral ist fortgeblasen, vernichtet, — nämlich erfüllt, dort am Kreuze! Bisher hatte ihm jener schmähliche Tod als Hauptargument gegen die» Messianität«, von der die Anhänger der neuen Lehre sprachen, gegolten: wie aber, wenn er nöthig war, um das Gesetz abzuthun! — Die ungeheuren Folgen dieses Einfalls, dieser Räthsellösung wirbeln vor seinem Blicke, er wird mit Einem Male der glücklichste Mensch, — das Schicksal der Juden, nein, aller Menschen scheint ihm an diesen Einfall, an diese Secunde seines plötzlichen Aufleuchtens gebunden, er hat den Gedanken der Gedanken, den Schlüssel der Schlüssel, das Licht der Lichter; um ihn selber dreht sich fürderhin die Geschichte! Denn er ist von jetzt ab der Lehrer der Vernichtung des Gesetzes! Dem Bösen absterben — das heisst, auch dem Gesetz absterben; im Fleische sein — das heisst, auch im Gesetze sein! Mit Christus Eins geworden — das heisst, auch mit ihm der Vernichter des Gesetzes geworden; mit ihm gestorben — das heisst, auch dem Gesetze abgestorben! Selbst wenn es noch möglich wäre, zu sündigen, so doch nicht mehr gegen das Gesetz,»ich bin ausserhalb desselben«.»Wenn ich jetzt das Gesetz wieder aufnehmen und mich ihm unterwerfen wollte, so würde ich Christus zum Mithelfer der Sünde machen«; denn das Gesetz war dazu da, dass gesündigt werde, es trieb die Sünde immer hervor, wie ein scharfer Saft die Krankheit; Gott hätte den Tod Christi nie beschliessen können, wenn überhaupt ohne diesen Tod eine Erfüllung des Gesetzes möglich gewesen wäre; jetzt ist nicht nur alle Schuld abgetragen, sondern die Schuld an sich vernichtet; jetzt ist das Gesetz todt, jetzt ist die Fleischlichkeit, in der es wohnt, todt — oder wenigstens in fortwährendem Absterben, gleichsam verwesend. Noch kurze Zeit inmitten dieser Verwesung! — das ist das Loos des Christen, bevor er, Eins geworden mit Christus, aufersteht mit Christus, an der göttlichen Herrlichkeit teilnimmt mit Christus und» Sohn Gottes «wird, gleich Christus. — Damit ist der Rausch des Paulus auf seinem Gipfel, und ebenfalls die Zudringlichkeit seiner Seele, — mit dem Gedanken des Einswerdens ist jede Scham, jede Unterordnung, jede Schranke von ihr genommen, und der unbändige Wille der Herrschsucht offenbart sich als ein vorwegnehmendes Schwelgen in göttlichen Herrlichkeiten. — Diess ist der erste Christ, der Erfinder der Christlichkeit! Bis dahin gab es nur einige jüdische Sectirer. —