»Was für eine Sprache haben Sie da eben gesprochen?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.
»Nyanja«, sagte Homer. »Ich spreche Tonga, er spricht Luvale, aber alle Regierungsangestellten beherrschen die Bantusprache Nyanja.«
»Diese Spione, die Sie erwähnt haben«, begann Mrs. Pollifax, schwieg dann aber, da man sich kaum verständigen konnte, nachdem der Bus die Fahrspur verlassen hatte und auf einem Feldweg dahinfuhr. An der Einbiegung hatte auf einem Wegweiser Safaridorf Chunga gestanden.
»Diese Spione«, rief sie und versuchte das Klappern und Holpern zu überschreien, während sie sich mit beiden Händen an ihren Sitz klammerte, um mit dem Kopf nicht gegen die Decke zu stoßen.
Homer steuerte den Bus genau um ein Loch herum und schrie zurück: »Sie spionieren unsere Freiheitskämpfer aus. In der Südprovinz kamen die Spione von Rhodesien herüber und entführten die Leute, legten Minen und mordeten. Jetzt nicht mehr so oft, aber sie schleichen sich immer noch ein. Vor einem Monat haben sie in Lusaka eine Bombe gelegt und Mr. Chitepo umgebracht, einen schwarzen rhodesischen Nationalisten im Afrikanischen Nationalkongreß.«
»Wer hat das getan?« rief Mrs. Pollifax. »Wer tut denn so etwas?«
Homer zuckte die Achseln. »Gedungene Mörder. Rhodesische Polizeiagenten. Spione.«
Mrs. Pollifax schwieg, während sie diese Neuigkeiten mit gewissen Fakten in Verbindung brachte, die sie in Bishops Broschüren gelesen hatte. Sie erinnerte sich, daß noch bis vor kurzem Sambia eine einsame Bastion schwarzer Unabhängigkeit in Afrika gewesen war, im Osten begrenzt vom portugiesisch regierten Mosambik, im Westen vom portugiesisch regierten Angola, mit Rhodesien an der Südgrenze, dem die Südafrikanische Republik den Rücken stärkte. Das war Sambias Situation gewesen, als es 1964 endlich die letzten Fesseln weißer Herrschaft abgeworfen hatte.
Aber zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung war Sambia immer noch an Rhodesien gebunden gewesen: durch Straßen, Stromversorgung, Eisenbahnlinien und Wirtschaftsbeziehungen. Ein Mann, der die Rassentrennung haßte, Präsident Kaunda, hatte den Kampf gegen sie aufgenommen und sofort mit dem Lösen dieser Bande begonnen, indem er die Hilfe der Chinesen für den Bau einer Eisenbahnlinie nach Norden und die der Italiener zum Bau einer neuen Talsperre annahm. Der Preis für die Unabhängigkeit von Rhodesien war hoch gewesen. Während einer Krise war das Land gezwungen gewesen, seine Kupfertransporte über eine Straße exportieren zu müssen, die den Namen >Höllenweg< trug.
Doch Sambia hatte überlebt, und vermutlich war es Präsident Kaundas Genie zuzuschreiben, daß es nicht nur wirtschaftlich überlebt hatte, sondern jetzt in die Freiheitsbewegungen der benachbarten Länder mit einbezogen und ihnen behilflich war. Das waren die Worte, die sie in der Broschüre gelesen hatte: einbezogen und behilflich. Verwickelt klänge angemessener, dachte Mrs. Pollifax sarkastisch. Von Spionen, Minen und Entführungen war bestimmt nicht die Rede gewesen.
Jetzt hatten natürlich Angola wie Mosambik nach Jahren des Guerillakrieges und Blutvergießens ihre Unabhängigkeit gewonnen, und nur Südafrika und Rhodesien verteidigten stur die weiße Vorherrschaft. Mrs. Pollifax hatte aber vergessen - was ihr jetzt wieder einfiel -, daß während der schlimmsten Kämpfe Rhodesien verärgert seine Grenzen gegen Sambia geschlossen hatte, wodurch die sambische Volkswirtschaft in noch größere Schwierigkeiten geraten war. Ein Jammer, dachte sie, daß man heutzutage mit einem moralischen Standpunkt so allein dastand; denn anscheinend war das Schließen der Grenze nur eine Formsache gewesen, da Spione sie in beiden Richtungen überschritten. Sie erinnerte sich auch, in einer dieser Schriften das Wort Freiheitskämpfer gelesen zu haben.
»Freiheitskämpfer«, rief sie Homer zu, »wer ist damit gemeint?«
»Führer der Unabhängigkeitsbewegung«, rief er zurück. »Flüchtlinge - sie flüchten nach Sambia, auf ihren Kopf ist ein Preis ausgesetzt. Es erwarten sie Gefängnisstrafen. Sie bleiben, sie bilden sich aus, sie gehen zurück. Heimlich, verstehen Sie?«
»Ja.« Mrs. Pollifax nickte. »Ich wußte nur nicht, daß das... na ja, immer noch andauert.«
Er nickte lebhaft. »Aber die Führer machen jetzt den Mund auf. Südafrika ist das sehr lästig, es fürchtet einen Rassenkrieg in Afrika und drängt Rhodesien zu reden, zu lockern. Bei uns gibt es ein Sprichwort: >Bevor Du einen Elefanten erlegen willst, besorg' dir erst einen Speer.<« Er grinste und fuhr langsamer. »Und da wir gerade von Elefanten reden, dort steht Ihr erster Elefant. Wollen Sie ihn knipsen?«
Ausrufe ertönten hinten aus dem Bus, aber Mrs. Pollifax konnte nur mit angehaltenem Atem staunen. Ihr erster Elefant stand kaum fünf
Meter entfernt und futterte zufrieden Blätter von einem Baumwipfel. Der mächtige graue Körper schien vom Staub gebleicht, die großen Schlappohren hatte er aufgestellt, als wüßte er sehr wohl von ihrer Anwesenheit. Langsam wandte er den wuchtigen Kopf und schaute mit seinen Knopfaugen den Kleinbus interessiert an. Mrs. Pollifax war fest davon überzeugt, daß er ganz deutlich sie persönlich anstarrte. Entzückt und dankbar lächelte sie ihm zu, ehe sie die Kamera hob und ihn knipste.
Auf der Weiterfahrt kamen sie an eine neue Straßensperre, die mit einem liebenswürdigen jungen Wächter besetzt war. Nachdem sie langsamer gefahren waren, um eine Pavianhorde über den Weg zu lassen, kamen sie auf eine Lichtung und hielten an einem abschüssigen Flußufer.
»Ist das Chunga?« fragte Mrs. Lovecraft.
Homer schüttelte den Kopf. »Das hier ist ein unbewirtschafteter Teil, nur für Wochenendcamper. Wir warten hier auf das Schiff«, erklärte er. Er stieg aus und spähte über den breiten Fluß. Mrs. Pollifax öffnete die Tür neben ihrem Sitz und sprang heraus, um sich die Füße zu vertreten. Auch die anderen regten sich und stiegen aus, wobei sie einander vage zulächelten. Mrs. Lovecraft schlenderte zu Homer hinüber, und einen Augenblick später folgten ihr Mr. Mclntosh und Mr. Kleiber. Die Sonne war hinter einer Wolke verschwunden und hatte die Landschaft aller Farbe beraubt. Mrs. Pollifax fühlte sich unter dem unendlichen, silbrigen Himmel sehr klein und sie wartete, daß auf dieser grauglänzenden Wasserfläche ein Schiff auftauchte.
»Da«, sagte Homer plötzlich und deutete auf den Fluß, »das Schiff.«
Auf dem grauen Strom war ein Punkt zu sehen, der größer und größer wurde. Er änderte die Richtung, und als er näher kam, und man den Mann im Heck erkannte, merkte sie, daß es ein Kahn war, beinah so flach wie ein Ponton. Dann durchbrach das Tuckern seines Außenbordmotors die beängstigende Stille über dem Fluß.
»Packen wir bei dem vielen Gepäck mit an«, sagte Dr. Henry. Er ging zur Rückseite des Busses und begann, Chanda Koffer herauszureichen. Nach einer leisen Unterhaltung zwischen ihnen sagte Dr. Henry, indem er Mrs. Pollifax' farbenfrohen Schirm hochhielt: »Chanda sagte mir, daß er Ihnen gehört.«
»Woher weiß er das?« fragte sie überrascht.
Dr. Henry lachte. »Ich könnte es Ihnen nicht sagen, aber er weiß so was immer. Er sagt, er habe in Sie hineingesehen und ähnliche Farben erblickt - mukolamfule, was auf bemba Regenbogen heißt.«
»Ich bin sehr gerührt«, sagte sie und lächelte Chanda zu. Mit einem scheuen Lächeln reichte ihr der Junge den Schirm und ging, um ein weiteres Gepäckstück zu holen. Hinter ihnen hatte das Boot soeben angelegt. Homer sagte: »Das Schiff kommt noch einmal zurück und holt das Gepäck. Es ist ganz sicher hier. Wollen Sie bitte einsteigen?«
Sie verteilten sich auf verschiedene Kisten. Der Kahn stieß vom Ufer ab, der Motor tuckerte, sie wendeten und begannen auf das andere Ufer zuzuhalten. Jede Unterhaltung hätte in der Stille, die über dem Fluß lag, störend gewirkt. Die einzigen Geräusche machten der Kahn, der das Wasser teilte und eine schäumende Welle hinter sich ließ, und Homer, der leise mit dem Jungen am Steuer sprach. Die kühle Luft war voller Düfte, doch je näher sie dem anderen Ufer kamen, um so intensiver wurde der Geruch von Holzfeuer.