Das trug ihm ein Lächeln von Lisa ein. »Nein, nein«, sagte sie. Lisa setzte sich neben ihn und begann mit ihm zu reden. Ihr Gesicht war sehr ernst, und sie begleitete ihre Worte mit raschen, entschiedenen Gesten.
Ihr Vater wandte sich Mrs. Pollifax zu. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, daß im Hotel jemand nach Ihnen gefragt hat, als ich mich abmeldete.«
»Nach mir?« fragte Mrs. Pollifax. »War er groß, mit dunklem Haar und blauen Augen und... «
Reed schüttelte den Kopf. »Sambier. Kleiner, schwarzer Bursche. Hatte was Geblümtes an.« Er suchte nach dem richtigen Wort: »Über und über voll Hibiskus. Oder Bougainvillea. Diese Art Hemd, mit schwarzer Hose und Turnschuhen.«
Verwirrt fragte Mrs. Pollifax: »Und Sie sind ganz sicher, daß er nach mir gefragt hat?«
»Ganz sicher«, nickte Reed. »Mußte ja einfach zuhören. Fragte nach Ihrer Zimmernummer, und als der Angestellte ihm sagte, Sie hätten sich schon abgemeldet, ging er.«
»Das ist ja höchst sonderbar. Gewiß, ich habe diese Anzeige aufgegeben, aber sie erscheint ja erst morgen.«
»Vielleicht kennt der Setzer jemanden, der Ihren Freund kennt. Oder vielleicht hat das Reisebüro 'nen Burschen vorbeigeschickt, um festzustellen, ob Sie auch zeitig weggekommen sind.« Er deutete mit einer Handbewegung auf die beiden jungen Leute jenseits des Lagerfeuers hin und sagte: »Freut mich, daß etwas Junges und Männliches für Lisa dabei ist.«
Mühsam riß Mrs. Pollifax ihre Gedanken von dem geheimnisvollen Mann im Hotel los. »Ich glaube, Ihre Tochter errötete, als sie ihn sah.«
Er hob die Brauen. »Glauben Sie?« Interessiert blickte er zu Lisa hinüber. »Erstaunlich, ist mir entgangen.«
»Sie standen hinter ihr.«
»Allerdings. Offenbar ein einnehmender Bursche, dieser Steeves.«
John Steeves war tatsächlich sehr aufmerksam, fand Mrs. Pollifax, als sie zu den beiden hinüberschaute. Seine Augen mit dem gehetzten Blick ruhten beim Zuhören unverwandt auf Lisas Gesicht, und sein rasches Lächeln verwandelte ihre Traurigkeit. Es war selten, daß ein Mensch so zuhören konnte, und es war eine Eigenschaft, überlegte Mrs. Pollifax, der eine Frau kaum widerstehen konnte.
»Und Sie?« fragte Reed. »Reisen sie immer allein?«
»O ja«, antwortete Lisa einfach. »Wenigstens...«
»Wenigstens reisen sie allein ab«, sagte er mit seinem trägen Lächeln, »und dann ziehen Sie die Leute an wie der Rattenfänger. Ah, da kommt Mr. Sowieso. Sturer Bursche, mit dem Sie gekommen sind.«
»Mr. Kleiber«, erinnerte sie ihn, »Willem Kleiber.« Kleiber näherte sich unschlüssig dem Feuer. Er setzte sich zwei Stühle entfernt von Cyrus Reed und meinte verdrossen: »Nicht mal fließendes Wasser gibt es hier. Wie soll man sich da waschen?«
»Das Wort Safari bedeutet Kampieren, wissen Sie«, sagte Reed beiläufig.
Bei Kleibers Worten hatte Lisa sich umgedreht. »Hinter den Schilfwänden da oben sind Duschen! Und es gibt auch heißes Wasser.«
Kleibers Gesicht sah besonders um die Nase herum noch verkniffener aus als vorher. Er besaß die beweglichsten Nasenflügel, so fand Mrs. Pollifax, die sie je gesehen hatte. »Jeder kann hereinkommen«, sagte er kalt. »Jeder. Es gibt weder eine Tür noch ein Dach.«
Mit recht amüsierter Stimme meinte Steeves: »Ich kann mir gar nicht denken, daß das jemand Spaß machen würde. Versuchen Sie doch laut zu singen, während Sie unter der Dusche stehen.«
»Genau das habe ich getan«, sagte Amy Lovecraft, die herantrat. In enganliegenden schwarzen Hosen, einem Kaschmirpullover und einer kurzen Lederjacke sah sie sehr elegant aus. Sie setzte sich neben John Steeves, legte ihm eine Hand auf den Arm und sagte: »Ich denke doch, wir nennen einander jetzt beim Vornamen, damit ich John zu Ihnen sagen kann.«
»Bitte, tun Sie das«, sagte er. »Kennen Sie Lisa Reed?«
»Nein, Kinderchen«, sagte sie, beugte sich vor und lächelte Lisa erheblich weniger strahlend an als zuvor John. »Auch den reizenden großen Herrn da drüben kenne ich noch nicht.«
»Wir heißen beide Reed«, sagte Lisa kurz. »Ich bin Lisa, und er ist mein Vater Cyrus, und die Dame, die neben ihm sitzt, ist Mrs. Pollifax.«
»Sehr erfreut, Cyrus«, sagte Mrs. Lovecraft, bedachte ihn mit ihrem warmen Lächeln und übersah Mrs. Pollifax. »Und da kommt Tom Henry. Ich finde es toll, daß wir einen Doktor bei uns haben und obendrein noch einen bekannten Reiseschriftsteller, finden Sie nicht?«
Mrs. Pollifax fand das taktlos, und es würde Amy Lovecraft vermutlich die restlichen Männer zu Gegnern machen. Sie beschloß aber, ihr Urteil über Mrs. Lovecraft erst noch zurückzustellen und begrüßte Dr. Henry aufrichtig erfreut. Er wurde den Reeds vorgestellt, setzte sich neben Mrs. Pollifax, lächelte sie freundlich an und sagte: »Hoffentlich gibt es bald Abendessen, ich sterbe vor Hunger.«
»In etwa fünf Minuten«, berichtete sie ihm nach einem Blick auf ihre Uhr. »Gerade noch Zeit genug, um Sie zu fragen, was Homer gemeint hat, als er sagte, Sie kämen von einem Missionskrankenhaus. Heißt das etwa, daß Sie in Sambia leben?«
Er riß seine Augen von Lisa Reed los und wandte Mrs. Pollifax seine volle Aufmerksamkeit zu. »Das stimmt. Das Krankenhaus liegt drüben am Sambesi in der Nähe der angolanischen Grenze. Ich bin vor drei Jahren aus Kanada gekommen, und ganz bestimmt haben meine Freunde mich eine Woche später zurückerwartet.« Er lächelte sie auf seine jungenhafte Art an. »Ich brauche wohl nicht zu erklären, daß ich noch hier bin.«
»Sie leben gern hier.«
»Sehr gern«, bestätigte er. »So gern, daß ich Lust bekam, während meines Siebentageurlaubs auf Safari zu gehen. Vor lauter Arbeit weiß ich fast gar nichts über den Busch, und ich möchte mehr über wilde Tiere wissen.«
»Homo sapiens inbegriffen?« fragte Reed und beugte sich vor, um an der Unterhaltung teilzunehmen.
»Na, von dem bekomme ich eine Menge Exemplare zu sehen«, sagte Dr. Henry und erwiderte das Lächeln. »Aber außer einigen Missionarsfamilien beim Hospital habe ich lange keine Gruppe wie diese hier getroffen. Ich hatte ganz vergessen, wieviel Unsinn die Leute reden.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Reed lächelnd.
»Worüber reden Sie in Ihrem Hospital, wenn Sie Muße haben?« erkundigte sich Mrs. Pollifax.
Er grinste. »Oh, über Leben, Tod, Blutvergiftung. Wer das nächste Trinkwasser abkochen muß oder was der Medizinmann des Dorfes heute geäußert hat.«
Mrs. Pollifax lachte. »Also nicht gerade Konversation.«
»Lieber Himmel, nein«, sagte er ärgerlich. »Offenbar muß ich mich erst wieder daran gewöhnen.« Er lächelte Chanda zu, der in den Kreis getreten war und sich neben ihn stellte. »Bweleniko«, sagte er. »Mwapoleni.«
»Kuntu kuli kusuma«, erwiderte der Junge lächelnd.
»Endita. Chanda spricht Bemba«, erklärte er und wandte sich an Mrs. Pollifax, »aber jetzt auch schon etwas Englisch, und vor allem versteht er es sehr gut. Als wir uns kennenlernten, war ich gerade dabei, mich mit Nyanga herumzuschlagen, und jetzt muß ich Bemba lernen, und das gibt ein ziemliches Durcheinander. Chanda, diesen Herrn kennst du noch nicht. Es ist Mr. Cyrus Reed.«
Chanda trat vor, reichte Reed die Hand und klatschte dann zur allseitigen Überraschung dreimal in die Hände. »So begrüßt man sich in Sambia«, erklärte Dr. Henry. »Nur hat Chanda Ihnen gegenüber eine einfache Form angewandt. Ganz richtig ist es eine wahre Zeremonie.«
»Jedenfalls fühle ich mich vollendet begrüßt«, sagte Reed.
Der etwas entfernt sitzende Willem Kleiber sagte beunruhigt: »Er ist doch nicht Ihr Sohn, oder?«
Tom Henry lächelte freundlich. »Jetzt ist er es. Er wurde halbtot ins Krankenhaus gebracht, weil bei den Kämpfen an der angolanischen Grenze sein ganzes Dorf ausgelöscht worden war. Freiheitskämpfer brachten ihn.«