»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen«, sagte er mit seinem milden Lächeln, und setzte sich auf die Kante der Bank neben sie.
»Überhaupt nicht. Sie haben da eine schöne Kamera. Ich bewundere sie schon die ganze Zeit.«
Er sah sie an, und sein Lächeln wurde intensiver. Er erklärte ihr die näheren Einzelheiten.
»Schön«, bemerkte sie mit einem strahlenden Lächeln, obwohl sie kein Wort verstanden hatte, und fragte: »Wo sind Sie zu Hause, Mr. Mclntosh?«
»Hauptsächlich in der Nähe meines Koffers«, bekam sie zur Antwort.
»Aber Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«
»Amerikanischer Staatsbürger, ja.«
»Dann leben Sie«, schloß sie folgerichtig, »in den Staaten?«
»Nicht wirklich«, sagte er, »ich komme und gehe.« Er hob die Kamera und knipste das Flußufer, und als Crispin dann »Silberreiher!« rief, begab er sich zum Heck des Bootes.
Amy Lovecraft, die hinter ihr gestanden hatte, beugte sich vor und meinte: »Es ist unmöglich, mit ihm ins Gespräch zu kommen, nicht wahr? Ich habe noch kein klares Ja oder Nein aus ihm herausgebracht, auch nicht, ob er verheiratet ist! Ich meine, das ist doch eine Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten kann. Entweder hat ein Mann eine Frau oder er hat keine.«
Mrs. Pollifax wandte sich um und lächelte in Amys lebhafte saphirblaue Augen. »Da dürften Sie recht haben, obwohl heutzutage solche Dinge manchmal... «
»Was noch wichtiger ist«, fuhr Mrs. Lovecraft fort und senkte die Stimme, »ich glaube gar nicht, daß Mclntosh überhaupt sein Nachname ist.«
Daraufhin drehte Mrs. Pollifax sich rasch zu ihr um und murmelte:
»Gütiger Himmel, wirklich?«
Mrs. Lovecraft nickte. »Als wir uns in Chunga eingetragen haben«, sagte sie jetzt mit Verschwörermiene, »habe ich neben ihm gestanden und einen Blick in seinen Paß tun können. Mclntosh ist sein Vorname. Dahinter stand noch ein Name, der auch mit M anfängt, den ich aber nicht lesen konnte. Und«, fuhr sie ärgerlich fort, »ich habe noch nie einen amerikanischen Paß gesehen, in dem der Familienname an erster Stelle stand. Julian mag ihn als Mr. Mclntosh empfangen haben, weil er das nicht weiß, aber sehen Sie gelegentlich in Ihrem eigenen Paß nach, der Nachname steht nicht an erster Stelle.«
»Amy«, rief John Steeves von der anderen Bootsseite, »Sie wollten doch eine Schwarzfersenantilope sehen. Kommen Sie hier herüber.«
Mrs. Lovecraft sprang auf und überließ es Mrs. Pollifax, die interessante Mitteilung zu verdauen. Keine sehr vernünftige Frau, dachte sie. Wenn sie solche Sachen über Mclntosh verbreitete, verrät sie doch nur ihren Ärger, weil er sie übersah. Ob Amy Lovecraft wohl ein schwieriges Leben hinter sich hatte? Sie war eine sehr attraktive Frau und mußte einmal schön gewesen sein, aber schöne Frauen entwickelten sich oft nur einseitig oder gar nicht. Mrs. Lovecraft wirkte hart, ihre Schönheit wie eine trügerische üppige Erdschicht, die nur dünn einen Felsboden bedeckte— Niemand sah in ihre Richtung, so griff Mrs. Pollifax nach ihrer Handtasche und betrachtete verstohlen ihren Paß. Mrs. Lovecraft hatte recht: keine Umstellung der Namen. Der Taufname stand an erster Stelle.
»Macht es Ihnen Spaß?« Cyrus Reed unterbrach ihre Gedanken.
»O ja!« Sie strahlte ihn an. Und während sie an die Worte von Mrs. Lovecraft dachte, fügte sie hinzu: »Und ich lerne so viel, es ist wirklich lehrreich.«
Während des Vormittags hielten sie kurz an einer verlassenen Anlegestelle, wo einmal ein Fährschiff für den Transport gesorgt hatte. Jetzt wuchs hier Gras. Crispin ließ sie aussteigen und ein paar Schritte den Weg hinuntergehen. »Aber nicht weit«, sagte er bestimmt. »Nicht ohne Wache.«
»Wozu brauchen wir eine Wache?« protestierte laut Mrs. Pollifax.
»Es ist gefährlich.«
Sie schaute auf die friedliche Szenerie, auf die blühenden bunten Blumen am Wegrand, die an Petunien erinnerten. Eine Landschaft, die ungefährlich aussah. »Es sieht so sicher aus«, äußerte sie ungläubig.
»Ja, nichtwahr?« stimmte Tom Henry zu. »Aber Sie könnten über ein Krokodil stolpern, das sich sonnt, und wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es Puffottern, Pythons und Schwarze Mambas, ganz abgesehen von einem Nashorn oder einem Flußpferd, das übler Laune sein könnte.«
Mrs. Pollifax war bestürzt. Crispin fragte: »Sie behandeln häufig Schlangenbisse in Ihrem Krankenhaus, Doktor?«
»Vielleicht nicht so erfolgreich wie die Medizinmänner in eurem Dorf, Crispin«, sagte Tom, »aber ein paar retten wir. Was die Medizinmänner angeht, so bewahrt es einen vor Überheblichkeit, wenn man merkt, daß die Menschen hier ihr eigenes Serum entwickelt hatten, ehe wir Jahrhunderte später in unseren Laboratorien darauf kamen.«
»Wir sind in der Lage zu lernen«, sagte Crispin bescheiden. »Wir sehen den Ichneumon im Kampf mit einer Giftschlange, er wird gebissen, er läuft zu einem bestimmten Baum, frißt die Blätter und bleibt am Leben. Der Medizinmann erforscht diese Zeichen.«
»Zu wem gehen Sie, Crispin, wenn Sie krank sind?« fragte Steeves.
Crispin grinste. »Ich würde zuerst zum Arzt gehen und danach zum Medizinmann, bloß zur Bestätigung.«
»Um auf jeden Fall sicherzugehen«, sagte Dr. Henry, als sie wieder ins Boot stiegen.
Lisa, die neben Mrs. Pollifax am Ufer stand, fragte leise: »Wollen wir wetten, in wessen Arme Mrs. Lovecraft fallen wird?«
Sie hatte sich jedoch geirrt. Amy Lovecraft nahm anmutig Crispins Hand, trat auf den Bug des Bootes und verharrte dort einen langen Augenblick, ehe sie John Steeves erlaubte, ihr hineinzuhelfen.
»Welche ist Ihre gefährlichste Giftschlange«? fragte Reed Crispin, was Lisa zum Lachen brachte.
»Die Viper. Ihr Gift zersetzt das Blut, deshalb sind Sie innerhalb von zehn Minuten tot.«
»Lieber Himmel!«
»Die zweitgefährlichste ist die Schwarze Mamba, deren Gift tötet in zehn bis fünfzehn Minuten. Wenn Sie in Lusaka in den Zoo gehen, kann Ihnen der Schlangenwärter alles darüber erzählen. Er wird Ihnen auch sagen, daß Schlangen weder sehen noch hören können, sie spüren nur Erschütterungen.« Er grinste. »Wenn Sie also einer Schlange begegnen und vollkommen regungslos stehenbleiben, dann kann sie Sie nicht finden.«
»Ich könnte vermutlich nicht stehenbleiben«, sagte Lisa erschauernd. »Ich würde rennen wie die Feuerwehr.«
Mrs. Pollifax wandte ihren Blick von Crispin dem Flußufer zu, das voller Wurzeln war. Sie sah die tiefen Schatten, das dichte Buschwerk und das weiße Gewirr toter Wurzeln. Sie überlegte, was man in diesem Lande alles wissen mußte, um einem plötzlichen, schmerzhaften Tod zu entgehen, und ihr wurde klar, daß das Überleben hier ein bißchen schwieriger war als dort, wo man nur bei Grün über die Kreuzung gehen mußte.
Etwa eine dreiviertel Stunde später waren sie wieder im Safaridorf Chunga. Julian wartete an der Anlegestelle, um Mrs. Pollifax mitzuteilen, daß ein Polizist aus Lusaka angekommen sei, um ihr ein paar Fragen zu stellen.
»Er ist seit einer Viertelstunde da«, berichtete Julian, »und ich habe ihm gesagt, daß ich Sie zu ihm bringen werde. Er sitzt da drüben hinter den Bäumen auf einem Stuhl, ganz versteckt.«
In Julians offenem Blick lag keinerlei Neugierde, während Mrs. Pollifax überaus neugierig, ja sogar etwas bestürzt war. »Sind Sie ganz sicher, daß er mich sprechen will?«
»O ja«, erwiderte Julian einfach, »er ist ja den ganzen weiten Weg von Lusaka hergekommen, um Sie zu treffen.«
»Das ist eine weite Fahrt.«
»Was nicht in Ordnung?« fragte Cyrus Reed.
Mrs. Pollifax, die als erste ausgestiegen war, bemerkte jetzt, daß die anderen herankamen und zuhörten. Sie schüttelte lächelnd den Kopf und folgte Julian zu dem angegebenen Platz, der zwischen Palmen tatsächlich versteckt lag. Ein schlanker junger Mann in dunkelblauer Uniform erhob sich. Er wirkte zurückhaltend und sehr höflich, sein mageres, dunkles Gesicht verriet Intelligenz.»Mrs. Pollifax?«