»Der erste Juni.«
Carstairs nickte. »Aha. Dann bleibt uns kaum Zeit, den richtigen Agenten zu finden und ihn vor dem neunten nach drüben zu schicken. Fragen Sie den Computer, Bishop, ja? Wir wollen die Möglichkeiten durchgehen.«
»Dauert nur eine Minute, Sir.« Bishop ging in das kleine Nebenzimmer, wo die Maschine stand, die sie das Wundertier nannten. Er drückte Meisterliste, gab als Daten Afrika, Sambia und Touristen ein, spielte mit allerlei Knöpfen und rief seinen
Vorgesetzten. »Hier haben Sie die Listen, Sir, von A bis Z.«
»Erinnert mich immer an ein Orchestrion«, brummte Carstairs, als er auf den Bildschirm mit seinen Myriaden blitzender Lichter starrte, und dann sagte er: »John Sebastian Farrell! Was zum Teufel hat der auf dieser Liste zu suchen, wenn er seit drei Jahren nicht mehr für uns gearbeitet hat?«
Bishop, dessen Gedächtnis es mit jedem Computer aufnehmen konnte, sagte: »Moment mal... Na ja, es ist zwar nur eine Vermutung, Sir, aber - in seinem Kündigungsschreiben, das - wenn ich mich recht erinnere, auf ein Stück Einwickelpapier gekritzelt war - hat er geschrieben, er wäre ab nach Afrika, um seine Seele zu retten, oder so was Ähnliches, und wir könnten alles Geld, das er von uns zu bekommen hätte, auf Barclays Bank in Lusaka überweisen.«
Carstairs runzelte die Stirn. »Schrieb irgend etwas von reinerer Luft und reinerem Leben, war's nicht so? Aber das erklärt noch nicht, was er auf der Agentenliste des Computers zu suchen hat.«
»Ein Irrtum, nehme ich an.« Bishop ging zum Telefon, wählte und rasselte Fragen herunter. Mit zufriedener Miene legte er nach einer Weile auf. »Hab' die Buchhaltung angerufen, Sir. Sie sagen, sie überweisen Farrells Rente per Scheck nach Sambia, und das wird der Computer aufgefangen haben. Tut ihnen sehr leid, und sein Name wird sofort entfernt werden.«
»Er ist also noch dort? Die Schecks werden eingelöst?«
»Sagen sie.«
»Ich kenne Farrell aus unserer gemeinsamen Zeit beim Geheimdienst«, sagte Carstairs nachdenklich. »Fünfzehn Jahre lang hat er für diese Abteilung gearbeitet. Aber warum kann ich eigentlich nicht an ihn denken, ohne daß mir Emily Pollifax einfällt?«
Bishop lachte. »Das war ihr erster Auftrag, nicht wahr? Nachdem sie in Masons Büro aufgekreuzt war und so naiv nach einer Beschäftigung als Spionin gefragt hatte. Sie hatten gerade nach einem vertrauenerweckenden Großmuttertyp für Ihre Kurieraufgabe gesucht und nahmen sie. Als dann die Hölle losbrach, dachten Sie...«
»Ich weiß, was ich dachte«, unterbrach ihn Carstairs. Plötzlich mußte er grinsen. »Wissen Sie noch, Bishop? Als alles vorbei war, haben sie hier in diesem Zimmer gesessen, Farrell sah mit seinem
Verband aus wie der Tod persönlich, und Mrs. Pollifax in dieser albanischen Ziegenhirtenaufmachung - sie waren gerade aus der Adria gefischt worden, und ich hatte beide schon aufgegeben - und dann saß sie da und holte Kaninchen aus ihrem Hut...«
»War es nicht ihr Unterrock, Sir?« sagte Bishop lächelnd.
»Und es zeigte sich, daß eine absolute Amateurin, eine Witwe aus New Brunswick, sämtliche Profis hinters Licht geführt hatte.« Carstairs wurde ernst und sagte unvermittelt: »Natürlich brauchen wir Mrs. Pollifax.«
Bishop war entsetzt. »Um sich mit einem kaltblütigen Killer anzulegen?«
»Das hat sie früher schon getan«, erklärte Carstairs, »aber diesmal braucht sie sich mit niemanden anzulegen, sie braucht nur Fotos zu schießen. Die meisten Safaris sind heutzutage Foto-Safaris, gejagt wird da nicht mehr, und bestimmt schleppt jeder Teilnehmer eine Kamera mit sich herum.«
»Mag sein«, gab Bishop widerwillig zu, lächelte dann aber wieder und fuhr fort, »allerdings wäre sie wie geschaffen dafür. Gescheit, natürlich - ein Mensch, dem jeder vertraut... Meinen Sie, Aristoteles würde ihr auch vertrauen?«
Carstairs warf ihm einen säuerlichen Blick zu. »Machen Sie keinen Versuch, naiv zu sein, Bishop.« Und als sein Auge die Uhr streifte, fuhr er fort: »Sie braucht eine Gelbfieberschutzimpfung, und jemand muß ein paar Fäden ziehen, damit sie schnellstens ein Visum bekommt. Sollte diese Safari ausgebucht sein, müssen wir weitere Fäden ziehen, wenn auch gottlob Anfang Juni Afrika noch nicht Saison hat, Bishop.«
Bishop seufzte. »New York vermutlich?«
»Richtig. Nehmen Sie das nächste Flugzeug, und kurbeln Sie die Sache an. Die Sambische Fremdenverkehrszentrale ist in der 58. Straße, desgleichen die Botschaft, die das Visum ausstellen wird. Während Sie wegen einer Flugreservierung telefonieren, rufe ich Mrs. Pollifax an und frage nach, ob sie das übernehmen kann. Hoffen wir es«, sagte er inbrünstig. »Wenn Sie die Sache in New York erledigt haben, können Sie nach New Jersey fahren und sie informieren.«
»Gut. Oh, nebenbei«, sagte Bishop und blieb an der Tür stehen, »falls sie zur Verfügung steht, soll ich dann erwähnen, daß Farrell in Sambia ist?«
Carstairs überlegte. »Ich glaube schon. Sollten die beiden sich -was der Himmel verhüten möge - zufällig zur unrechten Zeit über den Weg laufen, dann könnte das unser ganzes Unternehmen verderben.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Warten Sie einen Augenblick.« Er lächelte beinah mutwillig, als er fortfuhr: »Ich werde sogar noch weitergehen. Bitten Sie sie, Farrell anzurufen, wenn sie nach Lusaka kommt. Er muß im Telefonbuch stehen.
Für ein Wiedersehen vor ihrer Safari wird vermutlich keine Zeit sein, aber hinterher könnten sie sicher zusammenkommen.«
Bishop sah ihn neugierig an. »Ist das nicht ein bißchen ungewöhnlich?«
»Höchst ungewöhnlich«, gab Carstairs zu, »aber schlau eingefädelt. Ich möchte wissen, wie es unserem alten Freund Farrell geht. Zum Teufel, Bishop, mir fehlt der Mann«, sagte er ungehalten. »Ich kann Ihnen aus den letzten drei Jahren ein Dutzend Aufträge aufzählen, die er alle besser ausgeführt hätte als irgend jemand sonst. Als Pensionär muß er sich zu Tode langweilen.«
»Nicht ausgeschlossen«, meinte Bishop.
»Natürlich ist es nicht ausgeschlossen. Also sorgen Sie dafür, daß sie zeitig nach Lusaka kommt, und geben Sie ihr den festen Auftrag, ihn aufzusuchen, ehe sie losflattert und jedermann auf der Safari fotografiert. Gehen Sie jetzt, und lassen Sie mich Mrs. Pollifax festnageln, ehe sie uns durch die Finger schlüpft.«
In diesem Augenblick stand Mrs. Pollifax mitten in ihrem Wohnzimmer und übte die Karate-Grundposition. Man konnte nie zu gut vorbereitet sein, fand sie, und berichtigte ihre Haltung, so daß ihr Gewicht gleichmäßig auf beide Füße verteilt war. So! Jetzt ballte sie beide Hände zur Faust und versuchte einen schnellen horizontalen Schlag. Mehr wagte sie nicht zu riskieren. Lorvale, ihre Lehrer, schwärmte augenblicklich für den Angriff mit einem haarsträubenden Ki-ay-Schrei, aber wenn sie es mit ihren Nachbarn nicht verderben wollte, unterließ sie das besser.
Das Telefon klingelte. Mrs. Pollifax löste sich widerwillig aus ihrer Stellung und nahm den Hörer ab. Eine gedämpfte Stimme sagte: »Bleiben Sie bitte am Apparat«. Und dann kam eine vertraute Stimme: »Hier ist Carstairs, Mrs. Pollifax, könnten Sie am kommenden Wochenende nach Afrika reisen?«
Daß Karate wirklich nützlich war, wurde Mrs. Pollifax in diesem Augenblick klar: Carstairs reichlich überraschendes Ansinnen brachte sie durchaus nicht aus dem Gleichgewicht. »Ja, ich glaube schon«, sagte sie. »Wie geht es Ihnen, Mr. Carstairs?«
»Zuwenig Personal und zuviel Arbeit«, antwortete er kurz. »Sie haben ja gesagt?«
»Es ist mir entschlüpft«, sagte sie, »aber wenn ich jemand finde, der meine Geranien gießt, ja, dann könnte ich dieses Wochenende nach Afrika fahren.«
»Dann fangen Sie gleich mit dem Suchen an«, sagte er mit einer etwas weniger angespannten Stimme. »Aber es darf nicht Stunden dauern, weil Bishop schon unterwegs nach New York ist oder es zumindest in ein paar Minuten sein wird. Er arrangiert alles für Sie. Wer ist Ihr Arzt?«