»Aber natürlich - nunandi«, sagte er lachend und rannte davon.
Nachdenklich schaute sie ihm nach. Hoffentlich verstand er sie. Zumindest hatte sie diesen Film gerettet. Sie wandte sich um und wollte in ihr Zimmer gehen, da sah sie im Bogengang Cyrus Reed stehen, der sie beobachtet hatte.
»Oh, haben Sie mich erschreckt.« Sie fragte sich, wie lange er wohl dagestanden hatte und was er gesehen haben könnte.
Er reichte ihr ihre Sonnenbrille und den Schirm. »Das haben Sie liegengelassen. Haben Sie etwas gegen einen Spaziergang um das Lager, ehe wir hineingehen?«
Sie zögerte. »Ein bißchen Bewegung könnte nicht schaden«, gab sie zu.
»Gut. Prächtiger Anblick des Orion und der Plejaden, wenn wir aus der Reichweite des Lagerfeuers herauskommen. Langweilig da unten, nachdem Sie gegangen waren. Muß immer wieder feststellen, daß Mrs. Lovecraft durch die Nase spricht und Mr. Kleiber schnaubt, Steeves redet unentwegt über die Mongolei. Wir sind doch schließlich hier in Afrika.«
Sie lachte. »Sie Ärmster.«
»Durchaus nicht«, sagte er liebenswürdig und nahm ihren Arm. »Hab' nur beschlossen, mir bessere Gesellschaft zu suchen.«
»Übrigens finde ich, daß Ihre Tochter Lisa ein Schatz ist.«
»Finden Sie auch? Scheint jetzt aufzutauen.«
»Und Sie, sind Sie wirklich Richter?«
Er holte seine Taschenlampe heraus, knipste sie an und nickte. »Ein phungu, wie Julian mich nennt. Das Nyanja-Wort für Richter.«
»Phungu«, wiederholte sie. »Welche Art phungu waren Sie? Hatten Sie Hunderte von aufregenden Fällen?«
»Nur Routine, außer dem Fall Rambeau gegen Jenkins.«
Mrs. Pollifax blieb wie angewurzelt stehen. »Oh, glauben Sie, daß sie ihn umgebracht hat?«
Er hatte zum Himmel geschaut. Jetzt wandte er sich ihr zu und lächelte. »Das weiß Gott allein, meine Liebe.«
»Aber Sie waren dabei. Sie führten den Vorsitz.«
»Na ja - das ist der übliche Trugschluß«, sagte er. »Wir Phungus richten nie über Schuld oder Unschuld, wir richten über Tatsachen. Das Gesetz ist kalt und unpersönlich. Muß so sein.«
»Aber Sie sind es nicht«, sagte sie empört.
Beim Schein des Lagerfeuers konnte sie erkennen, daß er lächelte. »Erzählen Sie das niemandem, meine Liebe.« Er blieb stehen: »Sie >meine Liebe< zu nennen, fällt mir nicht schwer.«
»Na ja, ich jedenfalls halte Nina Rambeau für unschuldig«, sagte sie und hoffte, er würde nicht bemerken, daß sie errötete. Es lag schon weit zurück, daß sie jemand meine Liebe genannnnt hatte. »Haben Sie den Orion schon gefunden?«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht dunkel genug. Ich denke, wir sollten den Weg ein wenig weiter hinaufgehen, dann können wir besser sehen.«
»Tun wir das doch«, sagte sie.
Sie wagten einige Schritte in die Dunkelheit. Dann schaute Mrs. Pollifax zurück: »Der Wächter folgt uns. Ist das nicht lächerlich?«
»Durchaus nicht. Wenn man wilde Tiere ohne jedes Risiko beobachten will, dann fängt man sie und betrachtet sie in einem Zoo. Hier im Reservat laufen sie frei herum, wild und geschützt. Das sind wir aber nicht.«
»Natürlich haben Sie recht«, gab sie zögernd zu. »Aber ich fühle mich wie eine Gefangene, wenn ich bewacht werde.«
»Bezweifle, daß irgend etwas Sie beengen könnte, meine Liebe. Mir sollte seine Gegenwart viel lästiger sein, weil ich die Absicht habe, Sie zu küssen.«
Sie schaute verblüfft zu ihm auf und kam ihm somit sehr entgegen. Sie protestierte leise, als er sie in die Arme nahm, entdeckte dann aber, daß ihr das Geküßtwerden recht gut gefiel. Als er sie losließ, fielen prompt die Sonnenbrille, ihr Taschentuch und der Schirm zu Boden.
Geduldig sammelte er alles wieder auf und reichte es ihr. »Und dort«, sagte er, nahm ihre Hand und hielt sie fest, »steht Orion.«
»Ja«, sagte sie, verwirrt und außer Atem. Sie begriff, daß sie gegen große und charmante phungus keineswegs immun war. Höchst beunruhigend fand sie das in ihrem Alter. Dann sah sie zu den Sternen auf, die zu Tausenden am Himmel standen.
Ein Husten des Wächters unterbrach die Stille. »Ich finde, er hat lange genug Geduld mit uns gehabt«, sagte Cyrus trocken.
Schweigend kehrten sie um und gingen ins Dorf zurück.
Als Mrs. Pollifax wieder in ihr Zimmer kam, war es schon sehr kalt geworden. Sie legte nur eben einen neuen Film in ihre Kamera ein und verbarg den Apparat für die Nacht unter ihrem Kopfkissen. Nachdem sie die Kerze ausgeblasen hatte, kletterte sie ins Bett.
Sie lag da und dachte an die Ereignisse des vergangenen Tages: an den gestohlenen Film und an Cyrus Reed, der recht störend werden konnte. Sie mußte sich zusammennehmen, um ihre Aufgabe zu lösen. Für sie war es nicht einfach eine Safari. Sie mußte wachsam und geschickt sein, damit Aristoteles nicht weitere Menschen niederschießen konnte.
Sie schloß die Augen, als sie draußen auf dem Pfad Stimmen und Schritte vernahm. Einen Augenblick später erkannte sie Amy Lovecrafts hohes Kichern.
»Ich wäre gefallen, Mr. Kleiber, wenn Sie mich nicht gerettet hätten wie der Ritter in schimmernder Rüstung, Sie lieber Mann. Dieser Pfad...«
Amy Lovecraft, dachte Mrs. Pollifax, jagte entschieden nicht nur mit der Kamera.
»Mir unbegreiflich«, sagte Mr. Kleiber in seiner pedantischen, humorlosen Art, »warum nicht Bulldozer auf diesem Hügel eingesetzt werden. Sie haben welche, ich weiß es, sie benutzen sie überall. Und in einer einzigen Arbeitsstunde wäre.«
»Sind Sie in der Baubranche, Mr. Kleiber? Sie scheinen so viel von Maschinen zu verstehen.«
»Schwere Baumaschinen, ja. Ich liefere in die ganze Welt. Es ist.«
Die Stimmen wurden undeutlich, und es herrschte Stille. Mrs. Pollifax hatte abermals die Augen geschlossen, als sie auf dem Kies Schritte knirschen hörte. »Mir gefällt es sehr, Ihnen nicht?« Lisas Stimme.
Tom Henry antwortete: »Durchaus.« Eine Pause folgte, und dann wieder Tom: »John Steeves ist wohl sehr berühmt?«
»O ja, sehr berühmt«, sagte Lisa leichthin. »Wir haben tatsächlich eins von diesen Taschenbüchern im Krankenhaus, Hundert Nächte in einer Mongolenjurte, oder so. Der Bursche, der es gelesen hat -«
»Tom?«
»Hmmm?«
»Seien Sie kein Esel.«
Tom Henry lachte. »Schlafen Sie gut, meine Liebe.« Mrs. Pollifax hörte ihn weggehen, und Lisa öffnete die gegenüberliegende Tür. Ein interessanter Wortwechsel. Lächelnd fragte sie sich, wen sie wohl als nächsten belauschen würde.
Sie mußte nicht lange warten. Mclntosh kam durch den Gang im Gespräch mit Cyrus, und für einen immer nur schweigend lächelnden Mann war Mclntosh plötzlich sehr redselig.
»Inflationen kann man nicht heilen, solange die Länder nicht aufhören, die Druckerpresse zu bemühen. Die Welt ertrinkt in wertlosem Papier. Natürlich spotten die Regierungen über die Goldwährung, weil sie sie zur Disziplin zwingt. Aber denken Sie an meine Worte, Reed, ganze Zivilisationen sind durch den Verfall ihrer Währungen zu Friedhöfen geworden.«
»Schließen Sie große Geschäfte im Ausland ab?«
»O ja, in aller Welt. Aber ich will Sie nicht aufhalten, wir können ein andermal weiter darüber reden. Gute Nacht, Reed.«
»Ja... Also Löwen morgen. Gute Nacht.«
Zuletzt kamen Julian und John Steeves an ihrer Tür vorbei. »... oh, hier ist es viel besser«, sagte Julian. »Zu viele junge Menschen meines Landes gehen in die Städte, und das ist schlecht. Das richtige Leben ist hier im Busch. Billiger, einfacher. Lusaka ist voll von Dieben und Spionen.«
»Ausgezeichnete Anschauung«, meinte Steeves. »Ich selbst halte auch nicht viel vom Leben in Städten. Ich liebe Ihren Busch, er hat ein Geheimnis... «