Mrs. Pollifax lächelte. »Wenn John Steeves etwas besitzt, dann ist es Selbstvertrauen.«
Scheint ein recht anständiger Bursche zu sein«, meinte Reed. »Nur schwer, ihn sich als Schwiegersohn vorzustellen. Ich meine -übernachten in Jurten und so?«
»Oh, ich glaube, darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.«
»Nicht? Sind doch immerfort zusammen.«
»Es gibt«, sagte Mrs. Pollifax, »Unterströmungen.«
»Übersehe ich etwas?«
»Sie beobachten Steeves, aber nicht Ihre Tochter. Er ist mit ihr zusammen, aber sie nicht mit ihm, wenn Sie wissen, was ich meine. Es ist eine Sache der Betrachtungsweise.«
»Sie setzen mich in Erstaunen.« Er wandte sich ihr zu und sagte vorwurfsvolclass="underline" »Tatsächlich, Sie setzen mich ständig in Erstaunen, seit wir uns kennengelernt haben.«
Sie spürte, wie sie abermals errötete - es war wirklich lästig, so etwas war ihr seit Jahren nicht passiert. Sie lenkte ab, indem sie Mr. Kleiber fragte, den die Flußpferde offensichtlich zu langweilen schienen. »Immer noch keine Krokodile, Mr. Kleiber?«
Er schien verdutzt. »Nein, noch nicht. Nun ja, ich hoffe bald. Wie heiß die Sonne ist, ich habe genug vom Laufen.«
Sie fand, Mr. Kleiber begann ein wenig aufzutauen. Der verkniffene Gesichtsausdruck war nicht mehr so stark, und ab und an lächelte er sogar über irgend etwas, was in der Gruppe gesagt wurde. Er schien Mclntosh zu mögen, dessen Zurückhaltung seinem eigenen Wesen entsprach. Wenn etwas Ungewöhnliches vorfiel, schaute er immer zuerst zu Mclntosh, wippte ein bißchen auf den Hacken, bis er dessen Blick auf sich gezogen hatte, um dann mit seiner trockenen, sarkastischen Stimme einen seiner kernigen Kommentare zu geben. Er schien auch Amy Lovecraft zu tolerieren und sah nicht mehr so frostig aus, wenn sie seinen Arm nahm und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie mit ihm ginge.
»Krokodile bekommen Sie morgen zu sehen, in Moshe«, erklärte Julian, der zugehört hatte. »Das Lager ist ganz offen. Es liegt unmittelbar am Fluß, und die Krokodile sonnen sich am Ufer.«
Die Gruppe machte sich auf den Rückweg, und Mrs. Pollifax ging neben Cyrus. Vor sich sah sie Mr. Kleiber, und sie stellte amüsiert fest, was für einen absonderlichen Gang er hatte. Er hielt sich sehr aufrecht - steife Schultern, gerader Rücken, erhobener Kopf-, aber der rechte Fuß war leicht einwärts gekehrt, was den Rhythmus der Schritte ein klein wenig störte.
»Sieht da vorn nach weiterem Zuwachs aus«, meinte auf einmal Cyrus.
Ein funkelnder, beigefarbener Landrover parkte neben den Safari-Landrovern, und drei Männer, Schwarze, sprachen mit den Arbeitern. Als sie näher kamen, kletterte einer von ihnen in den Wagen und machte den andern Zeichen, sich zu beeilen.
Unvermittelt sagte Reed: »Bursche im grünen Hemd war der Mann, der in Lusaka im Hotel nach Ihnen gefragt hat.«
»Sind Sie sicher?« fragte Mrs. Pollifax erschrocken.
»Vergesse nie ein Gesicht. Soll ich ihn rufen?«
»Oh ja, bitte«, bat sie eindringlich.
Reed begann zu rufen, und Mrs. Pollifax winkte aufgeregt, doch die beiden Männer streiften sie nur mit einem Blick, und sprangen in den Wagen, der eilig anfuhr. Einen Moment später war er zwischen den Bäumen verschwunden.
»Kann ihm nicht helfen«, sagte Cyrus. »Hat seine Chance verpaßt.«
»Aber Sie müssen sie gehört haben«, protestierte Mrs. Pollifax, »und falls Sie taub sind, so haben Sie mich doch winken sehen; denn Sie haben sich nach uns umgedreht.«
Als sie bei den Arbeitern ankamen, fragte Cyrus: »Waren aus der Stadt, nicht wahr?«
»O ja, Sir«, antwortete der Ältere strahlend. »Aus Lusaka. Sie wußten nicht, daß das Dorf geschlossen ist.«
»Wollten sie nicht wissen, was wir hier machen?«
»Oh doch. Ich hab ihnen gesagt, daß Sie auf einer organisierten Safari sind.«
Sonderbar, dachte Mrs. Pollifax stirnrunzelnd, sehr sonderbar, und sie konnte das Gefühl nicht loswerden, daß - wenn Cyrus recht hatte - etwas nicht stimmte. Sie wandte sich ihm zu und sagte eigensinnig: »Ich verstehe nicht, ich verstehe wirklich nicht, wie in aller Welt Sie so sicher sein können, daß es derselbe Mann war.«
»Könnte mich irren«, sagte er fair.
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Irren Sie sich sehr oft?«
»Nein. Habe bei Gericht zuviele Gesichter studiert. Gewohnheit von mir.«
Sie nickte. Immerhin hatte er zugegeben, daß er sich irren konnte, und daran klammerte sie sich, weil sie sich sonst mit der unbehaglichen Tatsache hätte abfinden müssen, daß ein Mann, der sie in Lusaka hatte besuchen wollen, nun in einen Wagen sprang, um das Treffen zu vermeiden.
Einige Stunden später, nach der Rückkehr ins Safaridorf Kafwala, stand Mrs. Pollifax selig unter der Dusche und war versucht, ein Liedchen anzustimmen. Das Leben im Busch, dachte sie, macht einen unabhängiger von Belanglosigkeiten: stundenlang hatten Hitze und Staub sie geplagt, und jetzt bereitete ihr das kalte Wasser ein prickelndes Vergnügen. Seit der Morgendämmerung war sie draußen gewesen, und nun spürte sie einen wahren Heißhunger auf die Mahlzeit, die bald am Lagerfeuer serviert würde. Wann hatte sie sich wohl so frei gefühlt... vielleicht noch nie... und vor ihrem inneren Auge lief noch einmal die mittägliche Fahrt ab: die heiße
Sonne, Staub, der braunrote Stamm eines Dornbusches, der Baum mit den langen, torpedoförmigen, grauen Früchten, den Julian einen Wurstbaum genannt hatte. Auch hatte sie heute auf nyanja >Danke< sagen gelernt - zikomo kwambeiri - und im Safaridorf Lufupa...
Lieber nicht an Lufupa denken. Die Erinnerung weckte Zweifel, die letztlich, auch wenn sie sie mit Vernunftgründen zu vertreiben versuchte, immer wieder zu Cyrus zurückkehrten. Immerhin war es ja Cyrus gewesen, der ihr erzählt hatte, daß im Hotel ein Mann nach ihr gefragt hatte, und es war Cyrus, der darauf bestanden hatte, daß sie denselben Mann in Lufupa gesehen hätten. Sie besaß lediglich sein Wort, daß es einen solchen Mann gab. Was sollte sie davon halten? Wenn Cyrus Aristoteles war - sie fröstelte bei dieser Vorstellung, drehte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch. Aber wenn Cyrus Aristoteles war, dann ergab es doch keinen Sinn, daß er einen Mr. X. erfand, der nach ihr gesucht hatte. Und wenn er diesen Fremden nicht erfunden hatte... wenn es diesen Mann wirklich gab... »Da sind Sie ja!« sagte plötzlich eine Männerstimme und Mrs. Pollifax fuhr zusammen.
Draußen vor der Duschkabine erwiderte Lisas Stimme: »Hallo, John, ich halte gerade Ausschau nach einem sonnigen Platz, um mein Haar zu trocknen.«
»Wo sind die anderen?«
»Oh, irgendwo. Mrs. Pollifax wollte gerade duschen, als ich aus der Kabine kam, aber sie ist jetzt gegangen. Dad und Chanda sind drüben in der Küche und sehen dem Chef beim Kochen auf dem ulkigen Ofen zu, den sie hier haben. Mr. Kleiber hat sich in den Finger gestochen, und Tom versichert ihm, daß er keine seltene afrikanische Krankheit bekommt. Mclntosh macht ein Schläfchen und...«
»Genug, genug!« sagte er mit gespielter Verzweiflung. »Was ich wirklich wissen wollte, ist, warum Sie mich seit dem Lunch gemieden haben. Ich suche nach dem Grund. Hat es Ihnen wirklich einen Schock versetzt, als ich Ihnen sagte, daß ich einmal - nur kurze Zeit - verheiratet war, vor vielen Jahren?«
»Einen Schock? Lieber Himmel, John, nein.«
»Was haben Sie gedacht?«
Mrs. Pollifax, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich bemerkbar zu machen oder zu lauschen, entschied sich für das letztere und fuhr fort, sich anzuziehen.
»Ich dachte«, sagte Lisa langsam, »wenn ich mich genau erinnere, daß ich nicht überrascht war, daß es nur sechs Monate gedauert hat. Ich dachte, es müßte ziemlich schwierig sein, mit Ihnen verheiratet zu sein.«