Выбрать главу

9

Erstaunlich, wie wütend sie auf Aristoteles sein konnte, dachte Mrs. Pollifax, als sie in der Dunkelheit dahinrumpelten. War es nicht der Gipfel der Ungerechtigkeit, daß sie, die seinetwegen nach Afrika gekommen war, jetzt in die Nacht hinaus entführt wurde, während er sicher, warm und unerkannt am Lagerfeuer zurückblieb und - das empörte sie am meisten - demnächst Abendessen bekam? Bestimmt hatte Carstairs ein solches Ende ihrer Mission niemals geahnt. Ihre Reaktion auf die Entführung war eigentlich ein frommer Stoßseufzer gewesen. Dem Himmel sei Dank, daß Chanda ihren Film hatte. Sollte ihr irgend etwas zustoßen, dann enthielt der Film brauchbare Information für Carstairs. Ihre zweite Reaktion war weniger edel. Sie wollte einfach nicht, daß ihr etwas zustieß. Sie war außerordentlich empört, daß die Safari unterbrochen worden war. Sie war hungrig. Als sie zu Amy Lovecraft hinüberschaute, bemerkte sie trotz der trüben Beleuchtung, daß deren Hände vorn gefesselt waren und nicht auf dem Rücken, und auch dagegen hatte Mrs. Pollifax sehr viel einzuwenden. Das Ausmaß ihres Zorns überraschte sie selbst. Da ihre Hände auf dem Rücken gebunden waren, konnte sie sich nicht anlehnen, um sich auch nur eine Sekunde zu entspannen. Außerdem kostete es sie große Anstrengung, sich auf dem Sitz zu halten, da er glatt war. Der Gedanke bedrückte sie, daß es gerade Amy Lovecraft war, mit der sie diese Situation erleben mußte. Die Frau war unberechenbar.

Nachdem sie sich ihren Groll und ihren Ärger eingestanden hatte, begann Mrs. Pollifax sich wohler zu fühlen. Gegen ihren Hunger und gegen ihre Entführung konnte sie nichts machen, aber wenigstens konnte sie versuchen, Mrs. Lovecraft zu mögen. Es mußte doch etwas Liebenswertes an ihr sein, und wenn sie miteinander in Gefangenschaft gerieten, dann wäre es sehr viel besser, wenn sie das jetzt gleich herausfände. »Man wird uns folgen, wissen Sie, es wird alles in Ordnung kommen«, sagte sie tröstend.

Amy Lovecraft wandte sich ihr zu. »Uns folgen?« Sie verzog spöttisch den Mund. »Ja, aber wann? Und was zum Teufel verstehen Sie unter in Ordnung kommen?«

Na ja, viel Liebenswertes hatte sie nicht, stellte Mrs. Pollifax fest und beschloß, einen weiteren Versuch zunächst aufzuschieben. Auch hatte sie herausgefunden, daß sie, wenn sie sich seitwärts in die Ecke drückte, ihr Gleichgewicht halten konnte, was ein Glück war, weil der Landrover plötzlich vom Wege abwich, hohes Gras durchfuhr und dann wieder auf den Weg zurückkam.

»Ich frage mich, was das alles soll«, sagte sie.

»Ich verstehe nur ein paar Worte Nyanja«, erklärte Mrs. Lovecraft, beugte sich vor und sprach mit dem Fahrer. Sie schien eine ganze Menge Worte zu kennen, und der Fahrer antwortete ziemlich ausführlich.

»Er verweigert die Auskunft«, sagte Mrs. Lovecraft und sank auf ihren Sitz zurück. »Und wir sollen auch nicht reden.«

»Vermutlich ein Versuch, jeden, der uns folgt irrezuführen«, meinte Mrs. Pollifax weise. »Und irgendwann wird er uns ja wohl sagen, hoffe ich, warum wir Geiseln sind.«

Amy Lovecraft zuckte die Achseln. »Meistens geht es um Geld, nicht wahr?« Ihre Stimme klang unbeteiligt.

Mrs. Pollifax rutschte auf ihrem Sitz nach vorn und versuchte, sich mit beiden Füßen gegen den Boden zu stemmen. Der Weg vor ihnen war unbelebt, jetzt zur Nachtzeit auch ohne Perlhühner. Sie konnte nichts erkennen, außer im trüben Schein des Armaturenbretts die Silhouetten der beiden Männer sowie das Licht der Scheinwerfer, die den steinigen Weg erfaßten. Sie und Amy Lovecraft hockten zusammengedrängt hinter den beiden, hinter ihnen saß der dritte Mann. Ab und zu konnte sie seinen Atem im Nacken spüren.

Daß sie in nördlicher Richtung fuhren, wußte sie, weil sie vom Safaridorf aus genau dieselbe Richtung eingeschlagen hatten wie Julian, als er sie zu den Löwen im Norden gefahren hatte. Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich ihre Karte des Kafue-Nationalparks vorzustellen, der ihrer Erinnerung nach ungefähr die Form des Staates Florida hatte. Er war lang und breit, und an seinen Grenzen waren in verschiedenen Abständen Polizeiposten stationiert. Nur zwei Straßen durchquerten ihn. Auf der Nordsüdstraße fuhren sie gerade. Dieser schmale Feldweg voller Elefantenlöcher stellte die Versorgungslinie dar, die die Lager des Kafueparks miteinander verband. Der zweite Weg von Osten nach Westen war die asphaltierte Lusaka-Mumbwa-Fahrstraße, auf der sie am Montag den Park erreicht hatten. Als sie sich dies vergegenwärtigte, kam sie zu dem Schluß, daß ihre Entführer entweder verrückt oder unheimlich schlau waren. Sie fuhren genau dahin, wo sie nicht hinfahren sollten. Sie hatten das Lager Lufupa vor sich, wo sie heute zu Mittag gegessen hatten, und noch weiter nördlich das Lager Moshe fast am Ende des Parks. Hinter ihnen lagen das Lager Kafwala und die Lusaka-Mumbwa-Straße. Somit blieb nur ein breiter Landstrich übrig, in dem sie sich bewegen konnten. Sie stellte sich die Frage, wie sie aus diesem Gebiet herauskommen wollten. Ferner begann Mrs. Pollifax sich zu wundern, warum sie ihre Geiseln in einem Park geschnappt hatten. Es gab doch in viel zugänglicheren Gebieten ebenfalls Touristen... Lusaka z. B. oder Livingstone. Es erschien ihr alles recht unlogisch.

Sie öffnete die Augen und bemerkte, daß der Landrover abermals den Weg verließ und hielt. Diesmal stieg einer der Männer aus und ging durch das hohe Gras zurück. Der Fahrer hatte Zeit, sich eine Zigarette anzuzünden. Als der Mann zurückkam, drückte er seine Zigarette aus, ließ den Wagen an, doch wendete er diesmal nicht, sondern fuhr weiter in den Busch hinein. Damit änderte sich die Situation. Der Weg war schlecht genug gewesen, dachte Mrs. Pollifax sehnsüchtig, aber immerhin war es ein Weg, der nach Kafwala zurückführte oder vorwärts nach Lufupa oder indirekt sogar nach Lusaka. Ihn zu verlassen, erschien ihr bedrohlich.

Das Gelände war flacher, und sie fuhren schnell über kleine Löcher und Unebenheiten hinweg, so daß Mrs. Pollifax nur schwer das Gleichgewicht halten konnte und schließlich auf dem Boden landete. Irgendwo in der Ferne heulte eine Hyäne, und Mrs. Pollifax war ebenfalls den Tränen nahe. Sie fuhren und fuhren. Unendlich lange. Es dauerte geraume Zeit, ehe sie hielten. Und bevor die Scheinwerfer verloschen, erkannte Mrs. Pollifax die Umrisse zweier einsamer, baufälliger Hütten, die auf einer Lichtung standen.

Der hinter ihr sitzende Mann sagte scharf: »Stell das Funkgerät auf, Reuben! Wir sind zehn Minuten zu spät.«

»Aber Simon...«

»Später. Stellt das Funkgerät auf - irgendwohin - aber schnell!«

Aus einer der beiden Hütten holten zwei Männer einen schweren, dunklen Gegenstand, setzten ihn ins Gras und beugten sich darüber. Eine Kerze wurde angezündet und Simon hockte sich vor den Apparat, zog die Antenne heraus und begann auf der Skala herumzusuchen. Als er sprach, war seine Stimme in der Stille der Nacht deutlich zu hören. »Simon an Grünen Vogel, Simon an Grünen Vogel...« Plötzlich unterbrach er sich. »Hab' ihn«, sagte er triumphierend und dann: »Alles in Ordnung hier, Grüner Vogel. Könnte nicht besser sein. Was ist mit Ihrem Ziel?« Er kicherte. »Prima. Wir folgen wie geplant. Nach meiner Uhr ist es neun Uhr fünf... Richtig. Einundzwanzig Stunden ab jetzt am Standort B -Letzte Meldung, Grüner Vogel. Ende.«

Er schob die Antenne ein und nickte zufrieden. »Alles glatt wie Seide, Mainza. Du und Reuben nehmt die Kerze und versteckt den Sender.« Er hielt inne und sah sich um. »Ich nehme die Hütte rechts, Reuben, du bewachst die Tür.«

Er wandte sich ihnen zu und sagte munter: »Heraus, meine Damen. Steigen Sie aus und folgen Sie mir!«

Man brachte sie in die linke Hütte. Und im Laternenschein sahen sie, daß die Männer zweifellos schon hier gewesen waren. Außer dem Funkgerät gab es Schlafsäcke, zwei Holzkisten und eine Plane. Die Hütte war kaum mehr als zweieinhalb Quadratmeter groß, und die vierte Wand fehlte. Simon entfaltete die Plane und hing sie über das Rahmenwerk der zerfallenen Wand.