»Wer sind Sie?« fragte Mrs. Pollifax, als die Laterne Simons Gesicht beleuchtete.
»Das ist nicht wichtig«, war seine Antwort.
»Aber Sie sind keine Sambier?«
»Nein«, sagte er lachend, »Sambier nicht.« Er rollte einen Schlafsack aus, schob ihn Amy Lovecraft hin und sagte: »Sie - da drüben hin. Sitzen Sie still. Ich will diese Frau hier verhören.«
Amy Lovecraft trug ihren Schlafsack in die Ecke und setzte sich mit den Rücken gegen die Wand, ihre gefesselten Hände hielt sie im Schoß. Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen und schwieg auch jetzt, aber ihre Augen beobachteten Simon genau. Vielleicht erwog sie die Möglichkeiten, mit weiblichen Tricks zu arbeiten, dachte Mrs. Pollifax.
Simon schob eine der Kisten mitten in die Hütte und befahl Mrs. Pollifax, sich zu setzen. Sie überhörte es und sagte: »Meine Handgelenke tun mir weh. Mrs. Lovecrafts Hände haben Sie vorn gefesselt. Warum meine nicht auch?«
Simon warf Amy Lovecraft einen Blick zu und zuckte die Achseln. »Reuben«, rief er. »Du bewachst diese Frau, während ich die Fessel an ihren Gelenken ändere.«
Immerhin, dachte Mrs. Pollifax und stellte sich einen Würgegriff von hinten oder einen Faustschlag auf den Solarplexus oder einen Handkantenschlag gegen die Halsschlagader vor, was sie ohne Anwesenheit der zweiten Wache hätte versuchen können. Dennoch war sie dankbar, daß ihre Arme wenigstens nicht mehr hinten gebunden waren, und das Gefühl der Entspannung in ihren Schultermuskeln war köstlich. Sie setzte sich. Und er setzte sich ihr gegenüber, so dicht, daß ihre Knie sich berührten. »Nun«, sagte er.
»Ja nun«, antwortete Mrs. Pollifax trocken. »Was wollen Sie von uns? Welche Art Lösegeld verlangen Sie?«
»Die Lösegeldforderungen sind schon der Fernsehstation in Lusaka übermittelt worden, Madam. Wir erwarten von Ihnen nur, daß Sie mit uns zusammenarbeiten. Es handelt sich um Fotos.«
»Fotos?« wiederholte sie, plötzlich beunruhigt.
Er bemerkte ihre Reaktion nicht, sondern nahm aus einem Umschlag vier Hochglanzabzüge, und Mrs. Pollifax erkannte sofort, daß es nicht ihre Bilder waren.
»Hier«, sagte er, legte sein Gewehr auf den Boden und reichte ihr die Fotos. »Sie werden mir sagen, welchen von diesen Männern Sie kennen.«
»Kennen?« fragte sie verblüfft. »Ich bin doch erst seit Montag in Sambia. Wie könnte ich da schon jemanden kennen?«
»Sehe Sie sich die Fotos an«, sagte er nur. »Sie sind groß und deutlich. Wir wollen Ihren Eindruck wissen.«
Als sie die Abzüge in die Hand nahm, rückte er näher heran, ließ die Augen nicht von ihrem Gesicht, und sie dachte: Vorsicht, das ist eine Falle. Deshalb betrachtete sie die Aufnahmen, anstatt sie flüchtig durchzusehen, eingehend, eine nach der andern. Die erste zeigte einen Mann mit schmalem Gesicht und einem schwungvollen Schnurrbart wie eine Lenkstange und gewelltem, grauem Haar. Noch nie gesehen. Auf der zweiten sah sie einen Mann mit einem Schnurrbart wie ein Eisenfresser. Sie nahm dann die dritte: ein Bild John Sebastian Farrells, wie sie erstaunt feststellte. Farrell! Mit verzweifelter Anstrengung gelang es ihr, keine Reaktion zu zeigen. Sie betrachtete die letzte Aufnahme ohne Reaktion, das Bild eines dicken Mannes mit harten Zügen.
»Müßte ich einen von ihnen kennen?« fragte sie. »Alle haben Schnurrbärte.«
»Sie kennen einen von ihnen!« Zorn schlich sich in Simons Stimme ein, »Sie haben nach ihm eine Suchanzeige in der Zeitung aufgegeben.«
Sie tat überrascht, aber nicht aus dem Grunde, den er vermutete. »Die Anzeige betraf einen Mann namens John Sebastian Farrell«, erklärte sie ihm. »Haben Sie mich deshalb entführt? Sie haben doch gerade gesagt, es ginge um Lösegeld.«
Er zuckte die Achseln. »Das Lösegeld spielt keine Rolle. Sie kennen diesen Farrell, Sie können ihn für uns identifizieren. Darum geht es. Das Lösegeld ist nur eine - wie nennen Sie das? - eine Finte.«
Das war eine recht verblüffende Nachricht, die ihr den Atem verschlug. »Sie setzen mich in Erstaunen«, sagte sie und fuhr dann anklagend fort: »Warum mußten Sie denn zwei von uns entführen? Warum auch Mrs. Lovecraft?«
»Als Geisel für Sie«, sagte er mit einem schwachen Lächeln. »Außerdem sind zwei besser als eine.«
Mrs. Pollifax schaute über seine Schulter hinweg zu Mrs. Lovecraft hinüber, aber die hatte sich in eine eigene Welt zurückgezogen, ihre Augen blickten ins Leere. Im trüben Licht der Laterne war ihr Gesicht so fahl wie ihr Haar. »Warum«, fragte Mrs. Pollifax und wandte sich Simon wieder zu, »warum ist denn Farrell so wichtig?«
»Das ist unsere Sache.« Er kniff die Augen zusammen. »Wir wissen, daß einer dieser Männer Mr. Farrell ist, wir wissen es, und Sie werden uns jetzt sagen, welcher.«
»Aber keiner ist Mr. Farrell«, log sie.
Er schlug ihr mit dem Handrücken hart ins Gesicht. »Ich nehme an, Sie haben die Frage nicht verstanden.«
Das Blut lief aus ihrer geplatzten Lippe. Nicht weniger zornig als er sah sie ihn an. »Und Sie sind nicht sehr nett«, sagte sie.
»Das haben Sie eingesehen? Gut, fangen wir noch einmal von vorne an.«
»Nein«, sagte sie standhaft. »Diese Männer sind mir völlig fremd.«
»Sehen Sie sie an«, schrie er und hielt ihr das erste der Fotos vor die Augen. Er ergriff mit einer Hand ihren Nacken und zwang sie, das Bild zu betrachten. »Ist es dieser?«
»Nein«, sagte sie schwer atmend.
Er hielt ihr das zweite hin. »Der?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann dieser!«
»Ich hab's Ihnen gesagt, ich kenne keinen«, rief sie. Ihr Zorn war jetzt stärker als ihre Angst.
Er schlug sie wieder, diesmal so heftig, daß sie von der Kiste herunterfiel. Mrs. Lovecraft hinter ihm hustete. Simon stellte Mrs. Pollifax auf die Beine und sagte in hartem Ton: »Für mich sind Sie ein Dreck. Ehe wir diesen Ort bei Sonnenaufgang verlassen, bekomme ich diese Information von Ihnen. Sie werden mir geben, was ich brauche, ob Sie wollen oder nicht. Denken Sie darüber nach, Sie haben die Wahl,« Steifbeinig stolzierte er nach draußen.
Nach einer langen Stille regte sich Amy Lovecraft in der Ecke und seufzte. Sie sah Mrs. Pollifax an und sagte: »Sie waren wirklich toll, meine Liebe. Ich hoffe, ich hätte auch so widerstanden.«
Mrs. Pollifax leckte die blutende Lippe und sagte wütend: »Einfach lächerlich. Ich dachte wirklich, wir wären wegen Geld entführt worden.«
»Ja, aber was wollen Sie machen, wenn dieser Simon wiederkommt?« fragte Amy. »Wie lange glauben Sie, ihn hinters Licht führen zu können?«
Mrs. Pollifax hatte darüber nachgedacht, warum Simon das Verhör unterbrochen haben mochte. Ein paar weitere Schläge hätten sie vielleicht mürbe gemacht; es war doch sonderbar, fand sie, ihr Zeit zum Erholen zu lassen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Amy Lovecraft zu. »Ihn hinters Licht führen?« fragte sie. Wenn Amy glaubte, sie könne Farrell identifizieren, dann wollte sie diesen Verdacht am besten gleich zerstreuen. »Ihn hinters Licht führen, Mrs. Lovecraft?«
»Nennen Sie mich doch Amy«, sagte sie ungeduldig. »Natürlich haben Sie ihn reingelegt, ich hätte es auch getan, aber Sie können so nicht weitermachen. Was sollen wir tun?«
»Wir können gar nichts tun«, sagte Mrs. Pollifax und setzte sich ihr gegenüber. »Keiner dieser Männer war Mr. Farrell.«
»Simon schien seiner Sache ganz sicher.«
»Das ist sein Problem.«
»Sie müssen doch einsehen, daß wir beide in dieser schrecklichen Klemme stecken«, rief Amy. »Es ist so unfair. Sie haben etwas zu tauschen, aber ich, ich hänge völlig von Ihnen ab.« Sie hob hilflos die gefesselten Hände, ihre Stimme zitterte. »Wer ist denn dieser Farrell überhaupt? Und wie kommt es, daß Sie jemanden kennen, der in Sambia lebt?«