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»Wenn er hier lebt«, erklärte Mrs. Pollifax, und da sie hoffte, daß Simon hinter der Plane lauschte, sprach sie besonders deutlich. »Tatsächlich war er vor vielen Jahren unser Nachbar in New Brunswick, New Jersey. Das liegt in den Vereinigten Staaten«, fügte sie hinzu. »Ein ganz reizender junger Mann, nur daß er jetzt nicht mehr jung sein kann, denn ich habe ihn seit mindestens zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen. Damit Sie verstehen, was für ein netter Mann er ist, will ich Ihnen erzählen, daß er meinem damals zwölfjährigen Sohn Roger beim Bauen eines Seifenkistenautos geholfen hat. Er mochte Roger so gern.« Sie merkte, daß Amy Lovecraft sie erstaunt betrachtete, und verbreitete sich über Bubenstreiche, sprach von Familien, die wegzogen, so daß man den Kontakt verlor, und dann: »Es kam durch Mr. McGillicuddy« - die Geschichte begann ihr Spaß zu machen -, »den ich vor ein paar Wochen zufällig auf der Straße traf. Er war höchst erstaunt, als er hörte, daß ich nach Sambia auf Safari ging, und erzählte mir, John Sebastian lebe hier. Er wußte das, weil sie sich immer noch Weihnachtskarten schicken, und er richtet die an John Sebastian an Barclays Bank.«

Amys Mund, der offengestanden hatte, schnappte zu. »Und deswegen haben Sie in einer Zeitungsanzeige nach ihm gesucht? Wie konnten Sie so etwas Törichtes tun? Jetzt sehen Sie, wohin das geführt hat!«

»Na, ich habe bestimmt nicht erwartet, daß es hierher führen würde«, erklärte Mrs. Pollifax. »Aber was Simon nicht versteht, ist eben, daß es schwer ist, einen Mann wiederzuerkennen, den man seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen hat. Vielleicht würde ich ihn erkennen, wenn er hier hereinkäme, aber auf einem Foto nach fünfundzwanzig Jahren?« Sie zögerte und berichtete dann mit liebevollem Lächeln: »Er nannte mich Herzogin, wissen Sie, im Spaß natürlich. Er war sehr liebevoll gegen Erwachsene und so gescheit. Ein richtig netter Junge«, schloß sie, und ihr sehnsüchtiges Lächeln war ganz echt. Sie hörte geradezu Farrells schallendes Gelächter über ihre Geschichte. Amy schwieg unbewegt. »Ich verstehe nicht, warum Sie mir nicht vertrauen«, sagte sie. »Ich glaube, daß Sie mir einen Haufen Unsinn erzählt haben. Sie waren diesem schrecklichen Simon gegenüber sehr tapfer, aber jetzt reden Sie nicht mit Simon. Ich glaube, Sie spielen Verstecken mit mir.«

Mrs. Pollifax wünschte sich, Amy würde etwas verständnisvoller sein und ihre Lage begreifen. »Meine Lippe blutet«, sagte sie, »mein Kiefer schmerzt, und mir ist nicht nach Spielen zumute, das können Sie mir glauben.«

»Aber Sie müssen einen dieser Männer kennen«, sagte Amy. »Und ich nehme es Ihnen sehr übel, daß Sie mir gegenüber nicht offen sind. Es geht ja auch um mein Leben. Wir sollten miteinander reden - Pläne machen -, denn wenn Sie diesen Mann einmal identifiziert haben, bringen sie uns zur Safari zurück; dann haben wir diesen Alptraum hinter uns.«

Mrs. Pollifax bezweifelte das sehr. Sie fand es aber vernünftiger, die Fassade aufrechtzuerhalten, eine naive Frau zu sein, die nie Schlimmeres erlebt hatte als eine Zurechtweisung ihres Gartenklubpräsidenten, weil sie eine Flockenblume nicht hatte identifizieren können. Sie fand es ziemlich naiv von Amy zu glauben, daß Simon sie zur Safari zurückbrächte, wenn sie Farrell identifizierte. Es war viel wahrscheinlicher, daß er sie im Busch zurücklassen oder noch etwas viel Schlimmeres mir ihr tun würde. Sie hatte an dem Mann keine Anzeichen von Menschlichkeit entdeckt. »Das ist alles schön und gut«, sagte sie ärgerlich, »aber ich kann ihnen nicht sagen, was ich nicht weiß.«

Mrs. Pollifax stand auf und begann ruhelos in der Hütte umherzugehen, wobei Amy ihr mit den Augen folgte. Sie ging in die Ecke, schob mit ihren gefesselten Händen die Plane beiseite und schaute hinaus.

Sie konnte sehen, daß Simon ihre Unterhaltung überhaupt nicht belauscht hatte. Sie sah ihn und Mainza im Licht von zwei Laternen aus einem Faß Benzin in den Tank des Landrovers füllen. Über der Lichtquelle war ungeschickt ein Stück Segeltuch angebracht worden, damit man von oben nichts sehen konnte. Offensichtlich befürchteten sie Suchaktionen.

Die Erkenntnis, daß sie nicht belauscht worden waren, wirkte niederschmetternd auf Mrs. Pollifax. Als der Wachtposten sich umwandte, sie entdeckte und drohend sein Gewehr hob, ließ sie die Plane fallen und kehrte auf ihre Orangenkiste zurück. Sie fragte sich, warum Simon nicht gelauscht hatte. Er schien ein cleverer junger Mann zu sein, und sie konnte einfach nicht begreifen, warum er eine solche Gelegenheit nicht wahrnahm: Zwei Frauen nach ihrer Gefangennahme im Lager Kafwala zum erstenmal allein. Sie mußten doch miteinander sprechen. Er hatte die für ein Geständnis denkbar günstige Situation nicht genutzt. Er mußte sich doch gesagt haben, daß über Farrell gesprochen würde und doch hatte er sich aber nicht einmal die Mühe gemacht zu lauschen. Entweder war er sehr sicher, genug Zeit zu haben, jede Information aus ihr herauszuholen, oder er war nicht so clever, wie sie gedacht hatte, oder...

»Ich werde ein bißchen schlafen«, sagte sie unvermittelt. »Simon hat ja gesagt, wir bleiben bis zur Morgendämmerung, nicht wahr?«

»Schlafen?« schrie Amy Lovecraft.

»Ja, schlafen. Ich bin wirklich sehr müde, und ich bin nicht so jung wie Sie«, erklärte sie und zog sich einen Schlafsack heran. Sie strich ihn mit den gefesselten Händen glatt, setzte sich nieder und schob sich hinein. »Hätten Sie etwas dagegen, die Laterne zu löschen?«

»Ich hätte etwas dagegen«, fauchte Mrs. Lovecraft.

Mrs. Pollifax nickte nur und drehte das Gesicht zur Wand. Sie streckte erst ein Bein und dann das andere aus. Der Boden war sehr hart und ihre Knochen nicht weniger, aber sie hatte ja auch gar nicht die Absicht zu schlafen. Draußen hörte sie die Männer flüstern und irgendwo in weiter Ferne den Jagdschrei eines Tieres. Sie versuchte ein leises Schnarchen und täuschte Schlaf vor. Es war schwieriger, als sie gedacht hatte.

Worüber sie besonders gründlich nachdenken wollte, war die Tatsache, daß sie nicht zufällig für diese Entführung ausgesucht worden war. Daran mußte sie sich erst gewöhnen. Die Entführung war ausschließlich für sie arrangiert worden, und da der Grund ihre Anzeige in der Times of Sambia vom Dienstagmorgen war, hatte man sie in aller Eile arrangiert.

Sie dachte an Farrell und fragte sich: Wo war Farrell jetzt, und was hatte er unternommen, um zum Gegenstand einer polizeilichen Befragung und zum Anlaß dieser verrückten Entführung zu werden?

Sie versuchte sich die Fotografie von ihm vorzustellen, die sie vorhin gesehen hatte. Aber das einzige, woran sie sich erinnern konnte, war ihre eigene Reaktion, der Schock, der sie wie ein Peitschenhieb getroffen hatte. Es war nicht die beste Aufnahme gewesen, aber sie hatte ihn sofort erkannt. Doch woran? Bestimmt nicht an der Form des Mundes oder der Nase oder des Kinns. Etwas, was sie nicht bestimmen konnte, war ihr bekannt vorgekommen. Und nun würde sie ihm Rückendeckung geben müssen, solange sie konnte, während sie auf ihre Befreiung oder auf eine Fluchtgelegenheit wartete. Ein erfreulicher Gedanke war das nicht.

Etwa eine Viertelstunde lang hatte sie sich schlafend gestellt, als sie das erwartete Geräusch hörte. Amy Lovecraft erhob sich aus ihrem Schlafsack, blies die Laterne aus und blieb reglos lauschend stehen, kam dann geräuschlos zu Mrs. Pollifax und beugte sich über sie. Dann schlich sie auf Zehenspitzen durch die Hütte, und ging nach draußen.

Keinerlei Aufschrei erfolgte.

»Sie schläft«, sagte Amy leise zur Wache, und dann: »Wo ist Simon?«

Mrs. Pollifax schob ihren Schlaf sack zurück und setzte sich auf.

»Sie schläft«, hörte sie Amy wiederholen.

»Hat sie gesprochen? Hat sie Ihnen alles erzählt?«