»Bald leider nicht«, gestand Cyrus. So viele Ersatzreifen sind nicht vorhanden. Julian hat vier für seinen Landrover bekommen, weitere vier befinden sich am Wagen, der draußen im Busch festliegt. Ist aber nur noch eine Sache von Stunden.«
»Wie - wie tröstlich«, sagte Mrs. Lovecraft und versuchte abermals ein dünnes Lachen.
Während Amy lachte, kämpfte Mrs. Pollifax mit den Tränen. Niemals hatte sie sich so elend gefühlt. Bei Cyrus' Anblick waren ihre Lebensgeister schlagartig wieder erwacht. Nachdem sie jedoch begriffen hatte, was sein Kommen für Folgen hatte, wurde sie wieder mutlos. Sie war gerührt über seinen Mut, entsetzt über seine Unbekümmertheit und getröstet durch seine Gegenwart. Gleichzeitig war ihr nach Lachen zumute wegen der zusätzlichen Verwirrung, in die er sie alle brachte. So hinderte er jetzt Simon am Eintritt in die Hütte. Was diesen dazu veranlaßte, sich überaus deutlich bemerkbar zu machen und dann hereinzukommen.
In scharfem Ton befahl er Mrs. Lovecraft: »Hinaus, schnell. Ich werde Sie jetzt trennen. In die andere Hütte.«
Mrs. Pollifax hatte sich schon gefragt, wie die beiden sich wohl über die neue Entwicklung verständigen würden, und sie fand, daß Simon sehr überzeugend wirkte. Auch Mrs. Lovecraft brachte es fertig, entsetzt auszusehen, als sie vor ihm hinausging. Sobald die Zeltplane sich hinter ihnen geschlossen hatte, flüsterte Mrs. Pollifax: »Seien Sie vorsichtig mit allem, was Sie sagen. Tatsache ist, daß er sie hinausbringt, um sich mit ihr zu beraten.«
»Beraten?« Cyrus starrte sie verblüfft an. Sie nickte. »Als Amy dachte, ich wäre eingeschlafen, ist sie nach draußen gegangen und hat mit ihnen über mich gesprochen. Es hat sich herausgestellt, daß sie hinter dieser Entführung steckt und noch jemand, der Sikota heißt.«
»Gütiger Himmel«, sagte Cyrus entsetzt, »und ich habe gerade fragen wollen, ob wir besorgt sein müssen, weil er sie allein hinausgenommen hat. Bin froh, daß Sie es mir gesagt haben. Bin auch verdammt froh, daß ich gekommen bin.«
»Ja, denn wenn Chanda sich beeilt... Wie lange, meinen Sie, wird er brauchen, um zu Fuß nach Kafwala zu kommen?«
»Zu lange«, sagte er beunruhigt. »Und sie werden das wissen. Hätte Amy nichts von Chanda sagen sollen.«
»Aber wieso hätten Sie ihr denn nichts sagen sollen, da Sie sie für eine echte Geisel hielten?« protestierte Mrs. Pollifax. »Und die anderen hätten darauf bestanden zu erfahren, wie Sie uns gefunden haben, Cyrus. Wenn Sie die Auskunft verweigert hätten, hätten sie Ihre Spuren bis zum Landrover verfolgt.«
»Hätte auch nicht sagen sollen, daß so wenige Reifen da sind«, sagte Cyrus grimmig. »Sehr schlimm. Wer ist dieser Bursche Sikota?«
»Das muß der Mann sein, der der Fernsehstation in Lusaka zur selben Zeit, als wir entführt wurden, eine Lösegeldforderung zugespielt hat. Sie haben über Funk mit ihm gesprochen.«
Diese Neuigkeit mußte Cyrus erst verdauen. »Bedaure Julian, der das ja nicht wissen konnte, ehe er davongebraust ist, um die Nachricht nach draußen zu bringen. Hätte besser getan, Ihnen zu folgen.«
»Wie Sie es getan haben«, sagte sie lächelnd.
»Ja.« Er sah sie nachdenklich an. »Vermutlich ist Ihnen klar, daß die drei hier dieselben Männer sind, die wir heute Mittag im Lager Lufupa gesehen haben. Welcher von ihnen hat Sie geschlagen?«
»Das spielt keine Rolle, Cyrus.«
»Sollen das nur nochmal versuchen«, sagte er streng, »dann bekommen sie es mit mir zu tun.«
Mit zitternder Stimme sagte sie: »Sie hätten uns niemals, niemals folgen sollen, Cyrus. Es war Wahnsinn.«
»Einzige Möglichkeit, die mir eingefallen ist, Ihnen Eindruck zu machen, meine Liebe.«
»Eindruck zu machen?«
»Na ja«, sagte er und grinste wie ein Junge. »Konnte ja nicht annehmen, daß Sie einen Gedanken an mich verschwenden würden, wenn Sie sich hier mit diesen Gaunern herumschlagen. Bin aber kaum zu übersehen, wenn ich hier bin. Einfach zu groß.«
Sie mußte lachen, und ein stechender Schmerz riß ihre geplatzte Lippe wieder auf und zog über ihr Gesicht; danach aber war ihr wohler, beinah leicht beschwingt zumute. Simon konnte kommen. Und kurze Zeit darauf stand er vor ihnen. Er warf Cyrus einen gehässigen Blick zu. »Ihretwegen brechen wir jetzt auf«, sagte er kalt. »Wir warten nicht bis zur Morgendämmerung.«
Cyrus seufzte. »Tut mir leid, meine Liebe.«
»Ist schon in Ordnung«, erwiderte sie, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. Für ein paar kurze Augenblicke hatte die Hoffnung bestanden, Chanda könnte es möglich gemacht haben, vor Tagesanbruch Hilfe zu bringen. Und es war auch wirklich ungerecht, dachte sie ärgerlich, daß nun alle ihre Pläne, Aristoteles zu entlarven, so fehlschlugen.
»Mainza...« Simons Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück, und sie wußte, daß in diesem Augenblick ihre Sorgen um Aristoteles sinnlos waren. Sie konnte sich keine Ablenkungen leisten. Cyrus und ihr Leben waren gefährdet.
»Mainza, pack alles ein bis auf diese Laterne!«
Mainza nickte und begann, die Schlafsäcke zusammenzurollen. »Während der Wagen beladen wird, setzen wir unser Gespräch fort«, sagte Simon zu Mrs. Pollifax und sah sie grimmig an. »Setzen Sie sich bitte, und Sie«, er deutete auf Cyrus, »Sie werden sich da drüben in die Ecke stellen, dort kann ich Sie im Auge behalten.«
»Glaube ich nicht«, sagte Cyrus sanft. »Hab' nicht die Absicht, mich einen Zentimeter vom Fleck zu rühren.«
Simon starrte ihn lange an. »Sie wollen statt dessen lieber erschossen werden?«
Cyrus zuckte die Achseln. »Nicht nötig, wissen Sie. Bin ja nur gekommen, um den Damen Gesellschaft zu leisten. Ich bleib stehen, wo ich stehe, und habe ein wachsames Auge - wie ein UNBeobachter«, fügte er erklärend hinzu.
Mochte es nun Cyrus' Länge sein, seine Freundlichkeit oder seine Autorität, Simon wußte nicht, wie er mit ihm umgehen sollte. Er sah ihn haßerfüllt an und zog es vor, weiter keine Notiz mehr von ihm zu nehmen.
»Wie ich schon sagte, sprechen wir weiter.« Er mußte zurücktreten, weil Mainza mit einem Arm voller Schlafsäcke an ihm vorbeiging. Dann setzte sich Simon auf die andere Kiste. »Jetzt werden Sie mir genau berichten, wie Sie diesen Mr. Farrell kennengelernt haben.«
»Farrell?« fragte Cyrus überrascht. »Also darum geht es?«
»Ja, Farrell.« Mrs. Pollifax nickte. Sie begann abermals, ihre Geschichte zu erzählen, die sie fantasievoll ausschmückte.
Simon enthielt sich jeder Bemerkung. Er holte die vier Fotos heraus und hielt sie nacheinander hoch. »Welcher?« fragte er. Er fuhr fort: »Vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Leben davon abhängt.«
Mrs. Pollifax prüfte ein Foto nach dem anderen und achtete auf ihre Mimik, weil Simon sie genau beobachtete. Sie bemerkte, daß inzwischen jedes Foto mit einer Bleistiftnummer versehen worden war. Sicherlich war das eine Idee von Mrs. Lovecraft. »Ich kenne keinen dieser Männer«, sagte sie endlich.
»Was dagegen, wenn ich sie sehe?« fragte Cyrus. Nachdem er die Bilder betrachtet hatte, schüttelte er den Kopf. »Unmöglich«, sagte er einfach. »Von diesen Männern kann keiner je neben Mrs. Pollifax gewohnt haben.«
»Ich darf vielleicht fragen, warum nicht?« fragte Simon ironisch.
»Schauen Sie sie doch an, und schauen Sie die Männer an. Hartgesottene Burschen. So jemanden kann sie niemals gekannt haben. Keiner von denen«, sagte er überzeugt, »hat in seinem Leben je ein Seifenkistenauto gebaut.«
Lieber, guter Freund, dachte Mrs. Pollifax und lächelte ihm zu, es gibt so vieles, was du über meine Freunde nicht weißt. Aber daß du mein Freund geworden bist, das ist sicher.
Simon beugte sich über sie. »Ich glaube, Sie haben mich immer noch nicht verstanden. Wenn Sie stur bleiben, dann töten wir Sie ohne weiteres.« Er schnippte mit den Fingern. »Und diesen Mann töten wir auch.«