Verblüfft nannte sie den Namen.
»Gut, Bishop besucht Sie. Irgendwann zwischen eins und zwei?«
»Jederzeit.« Sie legte auf und begann im selben Augenblick zu spüren, wie ein nervöser Schauer ihre Wirbelsäule Zentimeter um Zentimeter überlief bis in die Zehenspitzen. Was war denn in sie gefahren, ja zu sagen? Keinesfalls konnte sie nächstes Wochenende nach Afrika fliegen, die Idee war einfach absurd. Afrika lag auf der anderen Seite der Erde, und auf eine solche Reise bereitete man sich sorgfältig vor, teilte sie seinen Freunden mit, las Reiseführer und legte Listen an, damit man nichts vergaß.
So reiste ihre Nachbarin, Miss Hartshorne, und im Augenblick fand Mrs. Pollifax diese aufwendige Art vernünftig.
Dann aber fiel ihr ein, daß sie bei anderen Gelegenheiten genau dasselbe empfunden hatte: wenn nämlich ihre stille Welt mit Carstairs rauher und gefahrvoller zusammengestoßen war, und nachdem sie sich das eingestanden hatte, erinnerte sie sich an frühere Abenteuer. Wunderbarerweise war sie immer noch am Leben, frisch und munter, und ihr Leben war um Dimensionen erweitert worden, die sie in seltenen Augenblicken zum Kichern brachten, wie damals zum Beispiel, als im Gartenklub ein preisgekrönter Colin Ramsey-Film über die Türkei gezeigt wurde, und sie zwei Frauen in Schleier und Pluderhose, die aus einem Brunnen Wasser heraufzogen, wiedererkannt hatte.
Diesmal also Afrika.
Sie sprach es laut vor sich hin - »Afrika« -, und beim Klang dieses Wortes begann ihr Herz schneller zu schlagen, und sie bemerkte, daß sie lächelte. Der Schwarze Kontinent. Tarzan. Ihr fiel ein, daß sie ihren Sohn Roger, als er noch klein war, in jeden Tarzanfilm mitgenommen hatte, der ins >Rivoli< kam, und als sein Geschmack zu Rita Hayworth abgewandert war, hatte sie sich Tarzan allein angesehen, begeistert von den Tieren, dem dampfenden Urwald, vergifteten Pfeilen und dem Brüllen der Löwen... Löwen! Bei diesem Gedanken holte sie tief Atem. Auch für den Fall, daß Carstairs sie ins Gewühl einer Stadt schickte, mußte sie eine Gelegenheit finden, Löwen zu sehen. Löwen mußten sein!
Wie eintönig ihr Leben in letzter Zeit geworden war, dachte sie, und wie aufregend der Gedanke, daß sie Afrika sehen sollte. Plötzlich fand sie, daß sie noch eine Unmenge zu tun hatte. Sie mußte alle Artikel in der Nationalen Geographie durchsehen und dann das ganze Material über Wildschutz in ihrer Schreibtischschublade studieren.
Schuldbewußt fuhr sie hoch. Es war neun Uhr und das Frühstücksgeschirr noch nicht abgewaschen. In wenigen Stunden kam Bishop. Ob er wohl immer noch für Schokoladeneclairs schwärmte? Auf der Stelle mußte sie zu Mr. Omelianuks Delikatessenladen gehen. Sie schlüpfte in ihren Mantel, steckte ihr Haar unter einen Schlapphut aus Stroh und verließ das Haus.
Es war ein leuchtender Junimorgen, aber nichtsdestoweniger ging sie vorsichtig und bedächtig; mochte der Weg unter ihren Füßen asphaltiert, mochten ihre Augen von der Strohkrempe beschattet sein, im Geiste trug Mrs. Pollifax einen Tropenhelm und bewegte sich lautlos durch hohes Gras, die Ohren gespitzt, den Trommeln der Eingeborenen lauschend.
2
Punkt zwei Uhr erschien Bishop, und obwohl er gehetzt wirkte, hatte er nichts von seiner unbekümmerten Art verloren, was - wenn man bedachte, daß er seit Jahren Carstairs Assistent war - Mrs. Pollifax immer in Erstaunen setzte.
»Warum werden Sie eigentlich nicht älter?« fragte sie vorwurfsvoll, als sie ihm den Mantel abnahm. »Sie sehen immer gleich aus, das beunruhigt mich geradezu.«
»Sie auch«, versicherte er ihr galant und küßte sie auf die Wange, »aber was mich angeht, so weiß ich, daß ich älter werde, weil mein Schwung nachläßt, und wenn Carstairs wütend auf mich ist, dann spüre ich manchmal einen unwiderstehlichen Drang zu weinen. Gilt das mir?« fragte er und blickte fasziniert auf den Wohnzimmertisch, der mit einem Damasttischtuch, Teekanne mit Tassen aus geblümtem Haviland und Gebäck gedeckt war.
»Eigens für Sie. Nehmen Sie bitte Platz. Fünf Eclairs sind da."
»Ich zähle sechs.«
»Eins ist für mich«, erklärte sie vorwurfsvoll.
»Vermutlich haben Sie zu wenig Personal und sind wegen der Untersuchungen, die der Kongreß vergangenes Jahr angestellt hat, so überarbeitet? Erschreckend waren sie, das muß ich sagen. Selbst Sie brauchen Kontrollen und Überwachung, das wissen Sie.«
»Wir werden und wurden nicht untersucht«, sagte er, setzte sich und nahm ein Eclair. »Carstairs hat mich beauftragt, Ihnen mit aller Deutlichkeit zu sagen, daß seine Abteilung in all ihren Unternehmungen gewissenhaft bis zum Tz geblieben ist.« Er zögerte und sagte dann trocken: »Wenigstens so gewissenhaft, wie man es von uns erwarten kann, da unser Geschäft darin besteht, mit ruchlosen Mitteln Erkundigungen zu beschaffen, lästigen Personen eins auf den Deckel zu geben und uns anderen interessanten Gaunereien zu widmen.«
Da Mrs. Pollifax sich gewisser Personen erinnerte, denen sie ihrerseits eins auf den Deckel gegeben hatte, enthielt sie sich jeden Kommentars. Es war nur eine ganz bescheidene Zahl gewesen, natürlich, aber sie war sicher, daß weder ihr Gartenklub noch ihr
Pfarrer ihr Verhalten gebilligt hätten. Sie goß Tee ein und bemerkte, daß Bishop schon sein zweites Eclair verschlang. »Sie haben nicht zu Mittag gegessen?«
»Ihnen kann nichts verborgen bleiben«, sagte er und schluckte. »Carstairs hat mich um dreiviertel neun mit tausend Aufträgen losgeschickt, und jetzt müssen Sie Ihren Teil tun. Er hat Ihnen wohl noch nichts gesagt?«
»Nichts, außer daß es Afrika ist.«
»Er will Sie auf Safari schicken.«
»Auf Safari!« Völlig perplex starrte Mrs. Pollifax ihn an. »Safari?« wiederholte sie ungläubig.
Bishop beobachtete, wie ihre Augen fast unmerklich abschweiften, als starrte sie auf etwas Unsichtbares, das sehr weit weg lag. In der Tat sah sie aus, als werde sie von einer beseligenden Vision heimgesucht, und da er verstand, was in ihr vorging, schüttelte er den Kopf. »Nein, Mrs. Pollifax«, sagte er bestimmt, »in Afrika werden keine Tropenhelme mehr getragen.«
Sie verzieh ihm die hinterhältige Bemerkung, wenn auch nicht ohne einen empörten Blick, und sagte mit Würde: »Ich gehe mit Begeisterung auf Safari, mit und ohne Tropenhelm. Aber warum? Es muß doch etwas dahinterstecken?«
»Natürlich. Es ist eine ganz besondere Safari, die am kommenden Montag zum Kafue-Nationalpark in Sambia aufbricht. Sambia liegt, wie Sie vielleicht wissen, im südlichen Zentralafrika und hieß, ehe es 1964 unabhängig wurde, Nordrhodesien. Sie können alles darüber lesen, denn ich habe Ihnen einen Haufen Broschüren mitgebracht. Es ist für Safaris wie geschaffen, vielleicht nicht so bekannt wie Kenia oder Tansania, wird aber zur Zeit entdeckt. Es ist von Touristen nicht so überlaufen, ist natürlicher und unverdorbener geblieben. Tatsächlich ist der Kafue-Nationalpark einer der größten Wildparks der Welt - halb so groß wie die Schweiz -, und natürlich liegen auch die Victoria-Fälle in Sambia.«
»Natürlich«, sagte sie, »und der Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, war kürzlich in Washington.«
Das beeindruckte ihn sichtlich. »War mir entfallen«, sagte er. »Nun ja, wir möchten, daß sie sich dieser Safari anschließen,
Bekanntschaften machen und jeden Ihrer Reisegefährten knipsen, entweder offen oder heimlich.«
»Und das ist alles?« fragte Mrs. Pollifax verdutzt.
»Glauben Sie mir, es ist schrecklich wichtig«, erklärte ihr Bishop. »Wir brauchen über jeden Teilnehmer Beobachtungen und schriftliche Berichte, und dazu ist jemand nötig, der immer schon von einer Safari geträumt hat und dessen höchstes Entzücken eine Löwin im Busch ist; der Vögel und Blumen liebt und der- natürlich-das Knipsen einfach nicht lassen kann. Im Ernst«, sagte er lächelnd, »ich möchte Ihnen zureden, eine Unmenge Schnappschüsse von Ihren Enkelkindern mit sich zu führen, und falls Sie keine haben, leihen Sie sich welche. Mit einer Kamera können Sie umgehen?«