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Sie hatte keine Ahnung, was Cyrus hinter dem Landrover getan haben mochte. Noch kroch er auf Händen und Knien, als er aber die ihr zugewandte Seite des Landrovers erreicht hatte, stand er langsam auf und kam auf Zehenspitzen lautlos auf sie zu. Erst nachdem er sich auf seinen Schlafsack gesetzt hatte, rührte sie sich, und sogleich fuhr Reuben zusammen, öffnete die Augen und griff nach seinem Gewehr.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?« fragte Cyrus ausdruckslos.
»Viel besser«, antwortete sie höflich.
Jetzt regten sich auch die ändern, setzten sich auf, streckten sich und gähnten. Alle Gesichter waren frei von Spannung und Feindseligkeit, so daß sie für den Augenblick eine PicknickGesellschaft hätten sein können, die von einem Mittagsschläfchen im Busch erwacht war.
Amy Lovecraft setzte sich auf und strich ihr zerzaustes Haar zurück. »Ach, ein Bad müßte herrlich sein«, sagte sie. Aber das einzige Wasser, das sie an diesem Morgen zu sehen bekommen sollten, wurde ihnen von Reuben in einem wasserdichten Segeltuchsack gebracht. Sie tranken reihum daraus und aßen ein paar geschälte Erdnüsse, die er ihnen gab. Mrs. Pollifax versuchte, jede Nuß ganz gründlich zu kauen. Wer weiß, wann sie wieder etwas zu essen bekämen. Wenn heute Donnerstag war, fiel ihr plötzlich ein, so war es Zeit für eine weitere Malariatablette. Dann kam es ihr aber doch etwas lächerlich vor, sich wegen Malaria Gedanken zu machen, da sie vielleicht den heutigen Tag nicht überleben würde. Und genau so lächerlich war es wohl, sich über Aristoteles Gedanken zu machen.... Cyrus war auffallend schweigsam. Er sah begreiflicherweise müde aus, weil er vermutlich überhaupt nicht geschlafen hatte. Warum war er nur hinter den Landrover gekrochen? Sie drehte sich nach Amy um, und nicht zum erstenmal fragte sie sich, welche Rolle Amy wohl bei dieser Entführung spielte. Konnte Amy Aristoteles sein? Es gab genügend Fälle, wo Frauen als Mörderinnen entlarvt worden waren. Aber Aristoteles, das spürte sie, war jemand anderer. Bishop hatte ihn als einen Profi und als käuflichen Mörder geschildert, der keinem Land verbunden war. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß er mit Entführungen arbeitete. Außerdem kannte Amy diese Männer, und Aristoteles handelte immer allein. Simon unterbrach ihre Gedanken. »Los!« rief er. Wieder einmal wurden sie zum Landrover getrieben und lose auf ihren Sitzen angebunden. Im warmen Morgenlicht brachen sie auf, und Mrs. Pollifax fiel auf, daß sie jetzt die offene Savanne mieden. Also erwarteten sie einen Suchtrupp. Beim Überqueren einer Lichtung schreckten sie eine Zebraherde auf, die reglos in der Sonne stand. Die Tiere ergriffen sofort die Flucht. Plötzlich schlingerte der Wagen seitwärts und hielt.
»Reifenpanne«, sagte Simon.
Sie stiegen aus und setzten sich auf den Boden. Mainza wechselte den Reifen. Sonderbar war, daß der neue Reifen kurz darauf ebenfalls die Luft verlor. Mrs. Pollifax dachte nach und zog ihre Schlüsse. Sie betrachtete Cyrus mit neuem Interesse. Er wirkte außergewöhnlich schläfrig und wich ihren Blicken aus. Sie lächelte in sich hinein. Cyrus begann sich wirklich als sehr nützlich zu erweisen. Simon, Reuben und Mainza standen vor einem Rätsel. Sie begannen sich gegenseitig zu beschuldigen, untersuchten die beiden Reifen und gestikulierten. Sie stellten fest, daß beide Reifen die Ventilkappen verloren hatten. Aber konnte dadurch soviel Luft entweichen? Mehrere mißtrauische Blicke trafen Mrs. Pollifax und Cyrus. Da sich aber keiner der Männer erinnern konnte, sie einen Augenblick unbewacht gelassen zu haben, so beschuldigte man sie auch nicht irgendeiner Tat.
»In den Wagen«, kommandierte Simon schließlich mit säuerlicher Stimme.
Sie stiegen ein und holperten auf luftleeren Reifen mehrere hundert Meter weiter dahin. Doch schon nach kurzer Zeit war der Wagen nicht mehr lenkbar. Simon brachte ihn zum Stehen. »Wir müssen zu Fuß!« sagte er erbittert.
»Tut mir leid«, flüsterte Cyrus, als er ihr aus dem Wagen half.
Sie warf ihm einen bewundernden Blick zu. »Sie erweisen sich wirklich als Sand im Getriebe.«
»Sie haben's bemerkt? Hat mir geholfen, meiner schlechten Laune ein bißchen Luft zu machen.«
»Machen Sie ihr noch mehr Luft«, sagte sie eindringlich, worauf Simon ihr befahl, still zu sein und ihren Platz in der Reihe einzunehmen.
Mit Simon an der Spitze begannen sie ihren Marsch. Das Gelände war eben und mit Gruppen von hohen Dornbüschen durchsetzt, recht geeignet für Wanderungen. Wogegen Mrs. Pollifax etwas einzuwenden hatte, war das aufgezwungene Schweigen. Simon hatte ihr befohlen, direkt hinter ihm zu gehen, darum folgte Mainza dann Amy und Cyrus. Reuben bildete das Schlußlicht. Es war so still, daß sie hören konnte, wie Mainzas Gewehr bei jedem Schritt gegen seine Hüfte schlug. Manchmal knackten Zweige unter ihren Füßen. Als die Sonne höher stieg, fühlte Mrs. Pollifax immer stärker, wie hungrig sie war. Und die Sonne übte eine sonderbare Wirkung auf sie aus. Ihr Kopf fühlte sich ganz leicht an, ob vom Hunger oder von der Sonne, das wußte sie nicht, und im Augenblick war es ihr auch egal. Quälender Durst befiel sie, und nachdem sie unendlich lange gewandert waren, spürte sie, daß sich an ihrer rechten Ferse auch noch eine Blase zu bilden begann. Tse-Tse-Fliegen umschwärmten sie, und mit ihren gefesselten Händen konnte sie sie nur schwach abwehren. Aber Simon machte keine Anstalten, eine Ruhepause einzulegen, und sie fühlte nicht einmal genügend Energie in sich, sich zu beklagen. Schläfrig trottete sie dahin.
»Pause«, sagte Simon plötzlich, und sie ließen sich unter einem Baum auf den Boden fallen, zu müde, um zu reden. Mainza holte den Segeltuchsack herbei und ließ jeden ein paar Schluck Wasser nehmen.
»Hoffentlich abgekocht«, sagte Cyrus.
Bei dieser Bemerkung rümpfte Amy die Nase. »Hier kann auch abgekochtes Wasser Magenverstimmung hervorrufen. Wenn Sie ihnen nur erzählen würden, was sie wissen wollen«, fuhr sie Mrs. Pollifax an, »dann könnten wir schon wieder bei der Safari sein, statt... statt hier!«
Da sie sich besser fühlte, blieb Mrs. Pollifax ihr die Antwort nicht schuldig. »Unsinn! Ich glaube nicht, daß sie uns laufen ließen, was immer ich ihnen auch sagen würde, denn wir können sie ja jetzt identifizieren. Und warum sollten sie das riskieren?«
Amy kam näher und sagte mit gesenkter Stimme: »Ich habe versucht, mich mit Simon anzufreunden, vielleicht haben Sie es bemerkt.«
»Nein«, erwiderte Mrs. Pollifax.
»Jedenfalls ist es so, und ich denke«, sie lächelte ein bißchen zaghaft, »ich denke, daß sie mich nicht umbringen würden. Es wäre möglich, daß ich die Männer so ablenken könnte, daß Sie und Cyrus entwischen könnten. Nicht jetzt, aber später.«
Auf der Flucht erschossen, dachte Mrs. Pollifax. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah sie Cyrus an, der zuhörte, dann wandte sie sich wieder an Amy und sagte mit entsetzter Stimme: »Oh, das halte ich nicht für ratsam. Und Sie? Ich vermute, Sie denken an eine Flucht. Daran liegt mir nicht und Ihnen Cyrus?«
»Nein«, gab er unumwunden zu. »Zu anstrengend. Außerdem sind ja unsere Hände gefesselt.«
»Meine auch«, sagte Amy, »aber ich könnte Simon vielleicht überreden, unsere Fesseln zu lösen.«