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Sie lächelte ihn an, und in dem kurzen Augenblick, bevor Simon sie trennte, flüsterte sie ihm zu: »Cyrus... der Wilderer muß ein Messer bei sich haben.«

12

Nachdem ihr diese Idee gekommen war, beschloß Mrs. Pollifax nun vor allen Dingen, Kontakt zu dem Wilderer herzustellen. Unter den gegebenen Umständen konnte sie ihn kurz, aber herzlich in ihrem Kreis willkommen heißen. Vielleicht ergab sich dann die Möglichkeit, ihm zu zeigen, daß sie und Cyrus Gefangene waren. Wenn Mainza mit seiner Zeichensprache bei ihm Erfolg gehabt hatte, dann war nicht einzusehen, warum sich das nicht wiederholen ließe.

Sie beschleunigte ihren Schritt, bis sie neben ihm war. Als er sie ansah, lächelte sie ihn an, was er indessen nur mit einem Grinsen erwiderte. Bestimmt war er der größte Sambier, den sie bisher gesehen hatte. Sie schätzte ihn auf einen Meter achtzig, wenn er aufrecht stand. Er war so mager, daß man seine Rippen sehen konnte. Das Gesicht war länglich und hager, und wegen der vorstehenden Zähne wirkte sein breites Grinsen dümmlich, was noch durch das komische grünschwarz-karierte Wollkäppchen verstärkt wurde, das er trug. Immerhin war er keiner von denen. Sie war überzeugt, daß er ein Messer bei sich hatte, und sie setzte nun alle Hoffnung auf ihn.

Nachdem die beiden sich einige Male eifrig angelächelt hatten, spürte Mrs. Pollifax, daß sie auf dem Weg zu einer komplizierten Verständigung war. Als er sie wieder einmal anschaute, hob sie ihre gefesselten Hände. Sie tat es ganz verstohlen. Als aber sein Blick auf ihre Hände fiel, grinste er noch breiter und warf dann zu ihrem Entsetzen den Kopf zurück und lachte.

Das war ohne Zweifel eine Niederlage. Auf das Lachen hin schaute Simon zurück, und sie mußte so tun, als hätte sie die Hände gehoben, um ihr Haar zurückzustreichen. Da der Versuch, Jonesis Freundschaft zu gewinnen, in diesem Augenblick gefährlich werden konnte, zog sie sich wieder auf ihren Platz hinter ihm in der Reihe zurück.

Das ließ ihr Zeit für eine weitere Überlegung. Wo trug ein nur mit Turnschuhen, Shorts und Kappe bekleideter Mann ein Messer? Mainza hatte Jonesis Hosentaschen durchsucht und offenbar festgestellt, daß er keine Waffe bei sich hatte. Wenn also nicht in seinen Hosentaschen, dann mußte das Messer entweder in dem aufgerollten Pullover, den er um die Taille trug, oder in der Kappe stecken, und sie tippte auf die Kappe. Sie begann alle Möglichkeiten durchzuspielen, um die Kappe zu bekommen, und bemerkte dabei, daß jeder Gedanke an Hunger und Durst verflogen war.

Nachmittags erreichten sie die Fahrstraße. Simon deutete an stehenzubleiben. Nachdem sie sich zu einer Rast niedergelassen hatten, hörte Mrs. Pollifax das unverkennbare Geräusch eines sich nähernden Lastwagens. Er war schnell vorbei. Simon wartete, bis die Gruppe einen Kreis um ihn gebildet hatte. Er ähnelte einem Pfadfinderführer, der sich anschickt, Instruktionen zu erteilen. »Die Straße liegt vor uns«, erklärte er. »Wir überqueren sie immer zu zweit und sehr schnell, verstanden?« Er deutete auf Mrs. Pollifax und bestimmte: »Sie gehen zuerst mit Reuben und Mainza. Dann kommst du, Reuben, zurück und holst diesen Mann. Ich folge mit der andern Frau. Horch, ehe du die Fahrbahn überquerst. Der Wind bläst von Westen.«

Die beiden Männer führten Mrs. Pollifax durch ein paar Baumgruppen hindurch zur Straße, eine zweispurige asphaltierte Fahrbahn, die von Westen nach Osten führte und zur Zeit bedauerlicherweise leer war. Reuben ergriff sie an einem und Mainza am anderen Arm, dann zogen sie sie im Eiltempo hinüber in den Schatten der Bäume auf die andere Seite. Als Reuben zurückkehrte, um die übrigen zu holen, setzte Mrs. Pollifax sich nieder und versuchte, nicht daran zu denken, wie nahe sie dem Friedhof schon gekommen waren. (»Wieviel Zeit bleibt uns noch, ehe wir sie umbringen? Bis Sikota kommt. Wir treffen ihn auf einem alten Friedhof jenseits der Lusaka-Mumbwa-Straße.«) Diese Worte gingen ihr immer wieder durch den Kopf.

Als sie Reuben mit Cyrus auf sich zukommen sah, dachte sie wiederum, was für ein erstaunlicher Mensch Cyrus doch war, und wie tröstlich sein Anblick. Bestimmt war er müde, doch er blieb vollkommen gelassen, ein Mann, der auch mitten in Sambia nicht vergaß, wer und was er war. Und plötzlich wußte sie, daß sie sich.sehr verlassen fühlen würde, wenn sie ihn nie wiedersähe.

»Sogar hier sehen Sie aus wie ein Richter«, sagte sie matt lächelnd.

»Fühle mich sehr unrichterlich im Augenblick«, erwiderte er und hockte sich neben sie. »Ich würde jedem von dieser Bande sechs Monate Einzelhaft geben. Ohne Kaution. Sie gehen zu schnell.«

»Ich finde«, sagte sie, von Dankbarkeit überwältigt, »ich finde es ja sehr selbstsüchtig von mir, aber ich bin so schrecklich froh, daß Sie gekommen sind, Cyrus. Sie sind eben nicht zu übersehen.«

»Hab ich Ihnen ja gesagt.« Seine Stimme klang erfreut.

»Es war so sehr tapfer«, erklärte sie. »Nur, wenn, wenn Sie es mit dem Leben bezahlen müßten... «

»Nicht nötig, soweit im voraus zu denken, meine Liebe«, unterbrach er sie ruhig. »War mein freier Wille, wissen Sie, mußte ja nicht kommen. Viel wichtiger«, fuhr er heiter fort, »ist mir das Abendessen, zu dem ich Sie einzuladen gedenke, wenn wir wieder in Lusaka sind. Das Menü beschäftigt mich seit Stunden.«

Ihr war klar, daß Cyrus nur zu gut wußte, wie nahe sie dem Friedhof waren. »Es muß in seinem Pullover oder in seiner Kappe stecken«, sagte sie leise. »Das Messer meine ich- falls er eins hat.«

»Hmmm«, murmelte Cyrus, »hoffen wir, daß es bis dahin kalt wird.« Er hob die Hände hoch und sah auf seine Uhr. Fast vier Uhr.«

»Oh, lieber Himmel, und in zwei Stunden ist es dunkel?«

»Müssen an die dreißig Kilometer gelaufen sein. Hab' übrigens einen Data-Vogel gesehen. Tat mir leid, daß ich Sie nicht darauf aufmerksam machen konnte.« Er brach ab, weil Simon auf sie zukam. Jonesi trottete neben ihm her, und Amy ging einen Schritt hinter ihm.

»Aufstehen«, sagte Simon, und somit war ihre Unterhaltung zu Ende.

Ungefähr zehn Minuten später stieß Jonesi einen scharfen Laut aus, deutete nach links und plapperte eine Weile in seiner eigenen Sprache, die niemand verstand. Er schien das Gelände jetzt zu erkennen, denn nachdem sie links abgebogen waren, kamen sie auf einen schmalen, hartgetretenen Pfad und bald zu den Überresten mehrerer Hütten.

Und dann waren sie plötzlich auf dem Friedhof.

Im Sonnenschein lag er am Rande einer weiten Savanne, und wenn Jonesi sie nicht geführt hätte, hätten sie ihn wohl kaum gefunden. Er war nicht groß. Vielleicht hatte hier einmal eine Schlacht stattgefunden, vielleicht wurden hier auch die Häuptlinge oder die Medizinmänner des Dorfes begraben, Mrs. Pollifax zählte nur zwölf Gräber. Hier war einmal ein Dorf gewesen, hier hatten

Menschen gelebt und die Gräber gepflegt. Als dann das Land zum Wildpark geworden war, hatte man das Dorf verlegt, aber der Friedhof schien den Einheimischen immer noch etwas zu bedeuten, denn die Pfähle an Kopf- und Fußende der Gräber standen aufrecht, waren unversehrt, und die Scherben der irdenen Töpfe, die bei der Beerdigung zerbrochen worden waren, lagen noch zwischen den Pfählen. Eine schöne Sitte, dachte Mrs. Pollifax, so viel persönlicher als Blumen. Ein Topf gehörte zu den persönlichen Dingen eines Menschen und war jeden Tag gebraucht worden.

Cyrus unterbrach ihre Gedanken. Er stieß sie an, und als sie seinem Blick folgte, sah sie, daß Jonesi den Pullover abnahm. Sie beobachteten, wie er ein trockenes Blatt von ihm entfernte, ihn glatt strich und dann über den Kopf zog. Da kein Messer zum Vorschein gekommen war, blieb nur noch die Kappe.

»Wir warten jetzt auf Sikota, er kommt in der nächsten Stunde«, erklärte Simon und zu Mrs. Pollifax gewandt, fügte er mit leisem Triumph in der Stimme hinzu: »Sikota hat noch niemand Widerstand geleistet. Er kennt vielerlei Tricks, das verspreche ich Ihnen.« Dann forderte er die Gruppe auf: »Sie können jetzt wieder die >Toilette< aufsuchen.«