»Aristoteles, ja Madam.« Er warf ihr einen forschenden Blick zu.
Sie stieg aus und sah ihn ernsthaft an. »Ich verlasse mich auf Sie. Sie sind meine einzige Hoffnung.«
»Ja, Madam.«
Vor sich sah sie Kleiber um die Zuschauermenge herumschlendern. Er suchte eine Möglichkeit durchzukommen. Sie eilte ihm nach und probte innerlich einen Karateschlag, um ihn zu Boden zu werfen, ehe er Präsident Kaunda erschießen konnte. Das mußte der Grund sein, warum er sich maskiert hier aufhielt. Und das bedeutete, daß ihr Instinkt, Steeves betreffend, richtig gewesen, war, nur daß Steeves jetzt im Gefängnis saß und Aristoteles noch frei herumlief, und niemand es wußte...
Es war furchtbar.
Im strahlenden Sonnenschein warteten buntgekleidete Frauen mit ihren Babys auf dem Arm, barfüßige Kinder und Männer in ihrem Sonntagsstaat. Es war eine Gasse für den Präsidenten freigehalten worden und Mrs. Pollifax sah Kleiber den Weg abschätzend betrachten, aber bevor sie ihn erreichen konnte, war er in der Menge verschwunden.
Leutnant Bwanausi stand neben einem Polizeiwagen südlich der Menge und wartete auf seinen Präsidenten, dessen Foto an allen Wänden seines kleinen Hauses hing. Ein Freund rief ihm einen Gruß zu, kam herüber, um ihm die Hand zu schütteln und fragte, wie es ihm ginge. Noch ganz erschüttert von der Tatsache, daß es beinahe einem Attentäter gelungen wäre, seinem Präsidenten das Leben zu nehmen, antwortete er, daß es ihm gutginge. Der Freund schlenderte weiter, und als Dundu es im Autoradio knacken hörte, griff er nach dem Hörer. »Hier Bwanausi.«
Zuerst verstand er gar nicht, was Soko sagte. »Wieso nennst du den Namen Aristoteles, Soko?« fragte er. »Zwei Meldungen?«
Einmal kam eine Meldung von einem Mann aus dem Hotel Intercontinental, die Soko ihm nun vorlas. »Aber Dundu«, unterbrach dieser sich, »ich glaube, der Mann war betrunken. Jetzt ist ein zweiter Anruf von einem Taxifahrer gekommen. Der Mann sagte, sein Fahrgast sei eine Frau gewesen, und er hätte ein Taxi zur Manchinchistraße verfolgen müssen. Diese Frau habe ihn dann dringend gebeten, uns anzurufen und zu sagen, Aristoteles sei an der Schule.«
Dundu spürte, wie Angst ihn packte. War das möglich? Sollte John Steeves vielleicht doch nicht Aristoteles sein? Aber es war doch bewiesen. »Mann, das ist eine schlechte Nachricht«, sagte er zu Soko. »Ist es noch nicht zu spät, KK und seine Begleitung zu erreichen? Aristoteles ist der Deckname des Attentäters, den wir gestern abend glaubten erwischt zu haben.«
Betroffene Stille. »Oh Gott«, sagte Soko, »ich will's versuchen, Dundu, ich will's versuchen.«
»Tu das, schick eine...« Er hielt inne, als er die Sirenen hörte. »Zu spät, der Präsident ist schon hier, Soko.« Er ließ den Hörer fallen und begann zu rennen...
Auf der Suche nach Kleiber drängte sich Mrs. Pollifax durch die Menge, aber in ihrer Panik schien jeder Kleiber ähnlich zu sehen. Sie konnte sein Gesicht nicht mehr von den anderen unterscheiden. Sie zwang sich zur Ruhe und näherte sich der für den Präsidenten freigelassenen Gasse. In der vordersten Reihe angelangt, dankte sie einem Mann, der sie durchgelassen hatte. Sie beugte sich vor und blickte die Gasse hinunter, durch die der Präsident kommen würde. Ein Blick genügte. In der Ferne sah sie ihn aus einer Limousine steigen und mehreren Leuten die Hand schütteln. Zu ihrer Linken, höchstens sechs Meter von ihr entfernt, erblickte sie Kleiber, eine Hand in der Tasche, ein leichtes Lächeln um die Lippen. Mrs. Pollifax begann eilig, sich zu ihm durchzukämpfen.
Cyrus hatte die Suche nach Leutnant Bwanausi aufgegeben, hatte sich auf einen Spielplatz hinter der Menschenmenge zurückgezogen und war auf ein geeignetes Klettergerüst gestiegen, um nach Mrs. Pollifax Ausschau zu halten, wenn er auch wenig Hoffnung hatte, sie zu finden. Ob Emily von ihm erwartete, daß er sich Präsident Kaunda in den Weg warf? Vermutlich, so dachte er, und als er aus der Ferne zu seiner Rechten plötzlich Hochrufe vernahm, wußte er, daß es ein Uhr und Präsident Kaunda angekommen war. Er, Cyrus, mußte etwas unternehmen. Ehe er herunterkletterte, warf er noch einen letzten Blick auf die Menschenmenge, die sich vor der Mauer jenseits der Gasse befand. Da fiel ihm auf, daß er schon seit mehreren Augenblicken geistesabwesend auf einen roten Stengel oder Wimpel sah, der sich von rechts nach links bewegte. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und da wußte er, was es war.
Emilys Feder, was denn sonst! Er kletterte nach unten und drängte sich durch die Menge. Er hatte Glück. Sie stand etwa sechs Meter vor ihm. Als in diesem Moment die Menge in Bewegung geriet, bekam er Emily zu Gesicht. Und nicht weit von ihr entfernt, den schwarzen Mann im dunkelgrau gestreiften Anzug. Kleiber!
Auch Emily hatte Kleiber gesehen. Sie schlich vorwärts - die Feder wirkte etwas lächerlich -, und als sie neben dem Mann stand, stieß Cyrus ein paar kleine Kinder beiseite, um sie zu erreichen. Er erriet, was sie vorhatte. Gerade hatte sie die rechte Hand erhoben, da sah Kleiber sich um und erblickte sie. Cyrus sah die beiden einen langen Blick wechseln, bemerkte dann die Pistole in Kleibers Hand, und vor Entsetzen stockte ihm der Atem. Langsam hob Kleiber die Waffe und richtete sie auf Mrs. Pollifax, die ihn, zu Stein erstarrt, ansah.
»Nicht Karate, Emily. Judo!« ächzte Cyrus. Erinnerungen an den lange zurückliegenden Sportunterricht waren plötzlich da, Abende, an denen man abwechselnd seinen Partner auf die Matte warf und selbst von ihm auf die Matte geworfen wurde. Ohne einen Gedanken an seine alten Knochen zu verschwenden, warf Cyrus sich nach vorne. Seine Schultern trafen auf festes Fleisch, Knochen knirschten, und Aufschreie ertönten, als er, Emily, Kleiber und zwei kleine Buben in einem wilden Durcheinander zu Boden stürzten.
Nur Dundu Bwanausi, der ihnen von der anderen Seite her entgegengerannt kam, wußte, daß die fünf am Boden liegenden Menschen nicht zufällig von der Menge zu Boden gerissen worden waren. Mit grimmiger Miene beugte er sich über Kleiber, steckte dessen Pistole in die Tasche und ließ Hand schellen um seine Gelenke schnappen. Dann hob er die beiden weinenden Kinder auf, klopfte ihnen den Staub von den Kleidern, reichte Cyrus die Hand, half Mrs. Pollifax auf die Beine und rückte sorgsam ihren Hut zurecht. Erst als er ihr ins Gesicht sah, veränderte sich sein Ausdruck. Leise und voll leidenschaftlichem Eifer sagte er: »O Madam, zikomo, zikomo kuambeia, zehntausendmal zikomo.«
Aber Cyrus hatte auch etwas zu sagen. »Verflixt noch mal, Emily«, sagte er vorwufsvoll, »einzige Möglichkeit, ein wachsames Auge auf Sie zu haben, ist, Sie zu heiraten. Meinen Sie, wir finden einen ruhigen Ort, wo wir darüber reden können?«
16
In Langley, Virginia, war es Montagmorgen. Carstairs, der von einer Konferenz beim Chef zurückkam, blickte finster drein.
»Irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Bishop.
»Nichts Besonderes«, sagte er, »nur daß mein Selbstbewußtsein einen kleinen Knacks abgekriegt hat.«
»So?«
Carstairs verzog sein Gesicht. »Von den Briten ausgebootet zu werden, hab ich noch nie leiden können... Der Chef verlangte heute morgen einen Überblick über den Fall Aristoteles, und da sagt doch, zum Teufel, der Verbindungsmann, daß der Britische Geheimdienst auch einen Mann auf Aristoteles angesetzt hatte.«
Bishop begann zu verstehen. »Sie meinen, einer von Emilys Safarigefährten war ein Agent vom Geheimdienst?«
Carstairs nickte. »Irgend so ein Reiseschriftsteller namens Steeves. Scheint mir eine verdammte Talentverschwendung.«