Barmherziger Samariter: Hilf Verzweifeltem und Selbstmordgefährdetem. Schreib an Postfach 1 A oder ruf an unter..
Verloren: Mercedesschlüssel auf dem Ladentisch der Nationalen Handelsbank liegengelassen, Montag, 10 Uhr 30. Finder wird um Rückgabe gebeten.
Mrs. Pollifax kam eine Idee. Wagenschlüssel hatte sie nicht verloren, wohl aber Farrell. Selbstmordgefährdet war sie nicht, im Augenblick aber sah ihre Enttäuschung einer Verzweiflung sehr ähnlich. Sie suchte nach dem Impressum der Zeitung und kam zu einem Entschluß. Abermals lenkte sie ihre Schritte zu Barclays Bank und erkundigte sich nach dem Weg zur Geschäftsstelle der Times. Sie bekam ihre Auskunft, und zehn Minuten später betrat sie das Gebäude der Times of Sambia, nur wenige Blocks von der Cairostraße entfernt, wo man ihr ein Formular zum Ausfüllen gab.
Sie schrieb ihren Namen und ihre Heimatadresse und dann:
John Sebastian Farrelclass="underline" Bin hier auf Safari, möchte Sie sehen.
Zurück am 16. Juni, Intercontinental-Hotel. Herzogin.
Während sie dies schrieb, merkte sie, daß ein Herr am Schreibpult gegenüber ein ähnliches Formular auszufüllen begann, und als sie aufblickte, sah sie, daß er sie starr anstarrte. Er war groß, mindestens ein Meter neunzig, hatte ein gefurchtes, dunkelbraungebranntes Gesicht und einen weißen Haarschopf. Als ihre Blicke sich begegneten, nickte er. »Gutes Gesicht.«
»Wie bitte?« fragte sie verblüfft.
»Gutes Gesicht«, wiederholte er mit einem Akzent, der den Amerikaner verriet. »Sehen alt genug aus, um so was nicht übelzunehmen.«
»Alt genug, ja«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Hab' meine Brieftasche verloren«, erklärte er mit einer Handbewegung, die das Büro miteinbezog.
»Ich hab' einen Freund verloren«, sagte sie und ging mit ihrem Formular zu dem jungen Mann hinter dem Schalter. »Wie schnell können Sie dies in Ihrem Blatt veröffentlichen?«
Der junge Mann nahm das Formular und las es ihr mit seiner hellen Stimme unnötig laut vor. »John Sebastian Farrelclass="underline" Bin hier auf Safari, möchte Sie sehen. Zurück am 16. Juni. Intercontinental-Hotel. Herzogin.« Nach einem Blick auf seine Uhr versicherte er ihr, daß die Anzeige bestimmt in der nächsten Morgenausgabe erscheinen werde und daß sie einen Kwacha und zwanzig Ngwee koste.
»Ungefähr zwei amerikanische Dollar«, warf der riesige Mann ein, der wartend neben ihr stand, und während er in ihre Geldbörse schaute, deutete er auf eine der größeren Silbermünzen. »Das da ist Ihr Kwacha, und die kleine ist die zwanziger Ngwee.«
»Ja, vielen Dank«, stammelte sie, bezahlte die Gebühr und eilte zum Ausgang. Hinter sich hörte sie den Amerikaner sagen: »Morgen, mein Name ist Cyrus Reed. Hab' eine Brieftasche verloren.«
Draußen auf der Straße fand sie ein Taxi, aus dem gerade ein Fahrgast ausstieg, und fuhr zum Hotel. Zurück in ihrem Zimmer, stieg sie in ihren Flanellpyjama und beschloß, jeden Gedanken an Farrell zunächst beiseite zu schieben. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand. Wenn er noch in Sambia war, würde er die Anzeige lesen, alles Weitere war nun seine Sache.
Jetzt lag anderes vor ihr: wilde Tiere und Aristoteles. Lächelnd schlief sie ein.
4
Ihr Wecker rasselte um ein Uhr, und sie sprang aus dem Bett. Eifrig öffnete sie den Koffer, nahm die neue Buschjacke, eine lange Hose, einen pflegeleichten blauen Rollkragenpullover und ihre bequemen Laufschuhe heraus. Das Entfernen der Preisschildchen hielt sie ein bißchen auf. Als sie aber ihre Safarikleidung anhatte, war die Wirkung verblüffend: die alte Emily Pollifax, Vizepräsident des Komitees für Umweltschutz und Schriftführerin des Gartenklubs von New Brunswick, war zusammen mit dem Strohhut, den sie in ihren Koffer gesteckt hatte, verschwunden. Sie sah aus - toll, fand sie, ja, einfach toll.
Es gab eine weitere Verzögerung, als sie den Khakihut und die Sonnenbrille aufprobierte, den Staubschleier überwarf und zuletzt den Schirm aufspannte, aber schließlich hatte sie alles übrige wieder in den Koffer gepackt und war zum Aufbruch bereit. Sie fuhr mit dem Aufzug nach unten, bezahlte am Empfang ihre Rechnung, stellte den Koffer beim Pförtner am Eingang ab und ging mit dem Schirm in der Hand zum Terrassenrestaurant, um vor ihrer Abfahrt nach Chunga zu Mittag zu essen.
An der Tür zögerte sie einen Augenblick, als eine Männerstimme hinter ihr sagte: »Na also - hab' Sie doch wiedergefunden. Mittagessen?«
Mrs. Pollifax drehte sich um und starrte auf ein giftgrünes Hemd. Als sie den Blick hob, erkannte sie Cyrus Reed, den sie zuletzt im Büro der Times of Sambia gesehen hatte. »Das habe ich vor, ja.«
»Gut. Essen wir zusammen«, sagte er, griff sie fest am Ellbogen, führte sie auf die Terrasse und setzte sie nachdrücklich an einen Tisch unter einem Sonnenschirm. »Hab' Ihnen gar keine Chance gelassen abzulehnen«, sagte er, als er sich ihr gegenübersetzte.
»Nein, das haben Sie nicht.«
»Lade nicht oft Frauen zum Mittagessen ein«, sagte er barsch. »Zum Abendessen übrigens auch nicht. Langweilige Geschichten. Hoffe, daß Sie keine wirkliche Herzogin sind? Konnte leider nicht vermeiden, Ihre kleine Anzeige im Zeitungsbüro mitzuhören.«
»Er hat sie laut genug vorgelesen«, mußte sie zugeben. »In Wirklichkeit heiße ich Emily Pollifax. Herzogin war eine Art Spitzname.«
Er streckte den Arm über den Tisch, und sie schüttelten sich feierlich die Hände. Wirklich ein großer Mann, stellte sie fest, das lag an seinem Körperbau und den Muskeln. Dick war er jedenfalls nicht. Er bewegte sich langsam, und auch seine Sprechweise wirkte träge, aber sein Lächeln war bei aller Schläfrigkeit besonders warm und ansprechend. Seine Augen verliehen ihm ein leicht orientalisches Aussehen. Sie saßen in seinem Gesicht wie Mandeln, die man einer Lebkuchenfigur eingedrückt hat. Unter seinen schrägstehenden Lidern wirkte der Blick noch schläfriger. Sie gaben ihm das Aussehen eines leicht runzligen Mandarins.
Jetzt sagte er, während er sie aufmerksam ansah: »Sie hatten einen abwesenden Blick, als Sie den Spitznamen erklärten. Guter Freund, dieser Farrell?«
»Ein sehr guter Freund, ja.«
»Einzige Sorte, die sich lohnt«, meinte er und nickte. »Guter Einfall zu inserieren. Übrigens: Mein Name ist Cyrus Reed, Rechtsanwalt, Connecticut. Möchten Sie vor dem Essen etwas trinken?«
Mrs. Pollifax lächelte dem wartenden Kellner zu, schüttelte aber den Kopf. »Ich hab' nicht viel Zeit«, erklärte sie. »Ich werde um halb drei abgeholt.«
»Dann wollen wir bestellen. Ich kann das Hähnchen empfehlen, weil ich es jeden Tag gegessen habe, seit ich hier bin.«
Es stellte sich heraus, daß Mr. Reed seit vier Tagen in Lusaka war. »Meine Tochter«, erklärte er, »kann einem den Nerv töten. Hatte darauf bestanden, daß wir auf dem Weg hierher in Rom Station machten, und jetzt ist sie nach Livingstone gefahren, um die Victoria-Fälle zu besichtigen, während ich hier wieder zu Atem komme. Hat für den Ausflug einen Wagen gemietet, sagte, sie wolle mehr von diesem Land sehen.«
»Das wird sie denn wohl auch«, sagte Mrs. Pollifax freundlich.
»Ist schon überfällig. Sollte vor drei Stunden zurück sein. - Und was führt Sie hierher?«
»Ich breche heute nachmittag zu einer Safari auf«, erzählte sie ihm.
Sein schläfriger Blick wurde munter. »Doch wohl nicht zu der Kafue-Nationalpark-Safari, die offiziell morgen früh beginnt?«
Sie sah ihn erstaunt an. »In der Tat, ja. Sie wollen doch nicht sagen... «
»Doch!« Er nickte. »Ankunft im Safaridorf Chunga heute am späten Nachmittag. Morgen früh Exkursion, erste Gelegenheit, wilde Tiere zu beobachten, nachmittags Aufbruch zum Safaridorf Kafwala.«