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Sie trat in ihr Zimmer und legte die Handtasche auf den Schreibtisch neben die Buddhastatue. Nachdenklich betrachtete sie die Figur, und der Ausdruck heiterer Gelassenheit, der auf dem glatten Jadegesicht lag, erfüllte sie mit Neid. Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie das Telegramm. Es war nicht von Carstairs - es war von Cyrus! Sie las: DAUERREGEN STOP KAM FRÜHER ZURÜCK STOP KOMME MIT DER ERSTEN MASCHINE STOP DONNERSTAG ABEND HONGKONG' STOP DU FEHLST MIR STOP BIS BALD IN LIEBE CY-RUS.

Sie las es noch einmal und fühlte, wie die Müdigkeit wie ein abgetragener Mantel von ihr abfiel. Cyrus war auf dem Weg zu ihr! Cyrus!

Sie jauchzte vor Freude hell auf, und einen Augenblick schien es ihr, als lächelte ihr der Buddha gütig zu. Einer spontanen Eingebung folgend verneigte sie sich leicht vor der Statue. Dann löschte sie das Licht.

MITTWOCH 

9

Unruhig wälzte sich Mrs. Pollifax im Schlaf hin und her. Ein Angsttraum verfolgte sie, bis sie schließlich erwachte und die Augen aufschlug. Es war noch immer Nacht, und sie schloß die Augen wieder, doch das beklemmende Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung sei, schnürte ihr die Kehle zu. Die Augen noch immer geschlossen, versuchte sie zu erfühlen, was sie beunruhigte. Cyrus war es nicht, der jetzt bereits unterwegs nach Hongkong war; ebensowenig konnte... Sie erstarrte, als sie ganz nah eine raschelnde Bewegung wahrnahm. Was sie beunruhigte, war ganz dicht bei ihr! Es war hier in diesem Zimmer.

Sie war nicht alleine!

Mrs. Pollifax öffnete die Augen und drehte vorsichtig den Kopf, um das Zimmer besser überblicken zu können. Sie hatte die schweren Vorhänge am Abend anscheinend nicht ganz zugezogen, denn ein fahles, gespenstisches Licht sickerte von draußen durch einen Spalt in das Zimmer. In der Mitte des Raums stand ein Mann! Deutlich konnte sie seine Silhouette vor dem hellen Rechteck des Fensters erkennen. Er war zur Bewegungslosigkeit erstarrt; denn offenbar hatte sie sich im Schlaf unruhig herumgeworfen oder sogar gesprochen, und er wartete nun, daß sie wieder fest einschlief.

Mrs. Pollifax war allerdings weit entfernt davon, wieder einzuschlafen. Sie war hellwach und beobachtete die Gestalt durch halbgeschlossene Lider. Das Laken und eine leichte Decke behinderten sie, und als sich der Eindringling wieder bewegte, schob sie behutsam ein Bein unter der Decke hervor. Ihr Fuß berührte den Teppich, und ohne das geringste Geräusch zu verursachen, glitt sie aus dem Bett und richtete sich auf.

Der Eindringling stand nun dicht vor dem Lattengerüst der Gepäckablage, auf der ihr Koffer lag. Plötzlich zuckte ein bleistiftdünner Lichtstrahl auf und schnitt einen hellen Kreis aus der Dunkelheit. Einen Augenblick klebte er an der Wand und fiel dann auf den geöffneten Koffer. Als sich die Gestalt über den Koffer beugte, näherte sich Mrs. Pollifax lautlos. Fast schon eine unfair leichte Übung, beileibe keine echte Herausforderung, dachte sie. Sie hatte die vornüber gebeugte Gestalt des Eindringlings bereits erreicht, als er erstarrte. Möglicherweise hatte ihn ein Rascheln ihres Schlafanzugs oder eine undeutliche Bewegung im Spiegel an der Wand vor ihm gewarnt, doch es war zu spät, denn Mrs. Pollifax stand bereits dicht hinter ihm. Ihre Hand zuckte wie eine gespannte Feder nach unten und traf ihn an der Basis seines Hinterkopfs. Er gab einen keuchenden Laut von sich, schwankte und wollte sich herumwerfen, doch ein zweiter, etwas stärker geführter Karateschlag von Mrs. Pollifax gegen den Hals schickte ihn bewußtlos zu Boden.

Mrs. Pollifax knipste das Licht an, und zu ihrer grenzenlosen Überraschung stellte sie fest, daß es der junge Mann mit dem Diplomatenköfferchen war, der zu ihren Füßen lag. Sie hatte erwartet, einem Hoteldieb das Handwerk gelegt zu haben, und als ihr bewußt wurde, was dies bedeutete, fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Sie kniete neben dem Mann nieder und fühlte seinen Puls. Sie nickte zufrieden und ging zum Telefon, um Robin anzurufen.

»Robin, in meinem Zimmer ist ein Mann!« rief sie in den Hörer.

»Einen Augenblick lang dachte ich jetzt, du hättest gesagt, ein Mann sei in deinem Zimmer«, erwiderte Robin glucksend.

»Das habe ich auch«, erklärte sie. »Er liegt hier auf meinem Teppich.«

»Schon wieder?« staunte Robin ungläubig. »Doch nicht etwa derselbe?«

»Nein. Es ist der Mann, der mich am Montag nachmittag verfolgt hat - von Feng-Imports.«

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung bewies, daß Robin ebenfalls seine Zeit brauchte, bis er begriff, was dies bedeutete.

»Er ist bewußtlos«, fuhr Mrs. Pollifax fort. »Das wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten ein, zwei Stunden auch nicht ändern, aber dann... «

»Ich bin sofort unten«, sagte Robin und legte auf.

Sie wartete in der Tür, bis sich endlich die Aufzugstür öffnete, und Robin den Korridor herabeilte.

»Wo... ah ja«, brummte er und trat beiseite, damit sie die Tür schließen konnte. »Diesmal ist es aber hundertprozentig Karate gewesen.«

Sie nickte. »Ich bin aufgewacht, und er war... er war einfach da. Vielmehr dort... Er darf auf keinen Fall in meinem Zimmer wieder zu sich kommen. Robin.«

»Das kann ich sehr gut verstehen«, stimmte Robin zu. »Eine entspannte Unterhaltung würde sich unter diesen Umständen wohl schwerlich entwickeln, und womöglich würde er es dir sehr übelnehmen, daß du derart rüde mit ihm umgesprungen bist.«

Sie überging seine Bemerkung und schnitt statt dessen ein anderes Problem an: »Das Schlimme dabei ist nur, daß er bestimmt nicht vergessen wird, wer ihn niedergeschlagen hat -egal, was wir mit ihm machen. Er wird es Detwiler erzählen, und mein Image als harmlose Touristin löst sich in nichts auf.«

»Ein für allemal.«

»Es sei denn...«, überlegte sie weiter,»... es sei denn, wir könnten ihn irgendwie derart stümperhaft aussehen lassen, daß... Er hat mich ganz sicher nicht gesehen... Ich hab' mich ihm von hinten genähert, und erkannt hat er mich bestimmt nicht.«

In Robins Augen tanzte ein schelmischer Funken. »Das eröffnet uns natürlich zahllose und wundersame Möglichkeiten. Er drang in ein dunkles Hotelzimmer ein und... « »Warum nicht in das falsche?« rief sie erregt. »Genau! Wir müssen ihn nur an den richtigen Ort schaffen, und am Ende wird er selbst noch glauben, er habe sich im Zimmer geirrt. Und wer wird Mrs. Pollifax, der Präsidentin eines Gartenbauvereins schon zutrauen, daß sie des Nachts Männer mit Karateschlägen ins Land der Träume schickt?«

Sie lächelte zufrieden und freute sich im stillen, wie überaus produktiv und anregend es doch ist, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich auf derselben Wellenlänge befindet. »Wir sollten überlegen, aus welchem Grund ihn Detwiler hergeschickt hat und warum... «

»Später«, unterbrach Robin sie. »Zuerst sollten wir ihn von hier wegschaffen, und vor allem sollten wir überlegen, wohin... Das Wie ist kein Problem: Wir nehmen ihn zwischen uns und bringen ihn zum Lastenaufzug... Für uns inzwischen ja ein Routinegang..., und sollte uns jemand begegnen, wird er annehmen, der Mann sei betrunken. Aber wohin mit ihm? Wohin?«