Das monotone Summen des Ackameters und Robins nervöse Unruhe erfüllten den Raum mit einer schier unerträglichen Spannung. Um halb zwölf meldete sich Krugg erneut: »Immer noch nichts...« Robin setzte mit einem Ruck die Tasse ab und begann, im Zimmer auf und ab zu marschieren.
Sie hatten ihre Ankunft für spätestens elf Uhr vierzig kalkuliert. Um elf Uhr vierzig begann Robin leise vor sich hin zu fluchen. Er ging zum Funkgerät, drehte es an und bellte: »Was ist los?!«
»Nichts«, erwiderte Krugg.
»Over... aber ich ruf dich zurück.« Er rief den Funkortungswagen. »Hier Blauer Drachen. Ich bitte um eine sofortige Standortbestimmung des Ackametersignals! Da ist möglicherweise was schiefgegangen... Ja, jetzt sofort! Bericht an Funk Eins.« Robin wandte sich an Marko und fragte ihn mit einem bedrückten Lächeln: »Was meinst du dazu? Verkehrsstau, Unfall, ein platter Reifen - oder ernsthafte Schwierigkeiten?«
Ohne zu antworten setzte sich Marko an das Funkgerät und schaltete auf Kruggs Kanal. »Laßt das Objekt keine Sekunde aus den Augen«, sagte er. Außerdem müssen wir unbedingt wissen, wer bisher den Laden verlassen hat. Am besten liest du mir deine Notizen vor. Und du hast doch auch Witkowskis Liste, oder?«
»Ja... Augenblick... Als ich meine Schicht antrat, kam gerade dieser alte Chinese an. Er hatte ein Einkaufsnetz mit Obst dabei und verschwand damit im Laden. Um acht kam dann der junge Mann Sheng Ti und vierzig Minuten später das Mädchen - Lotus heißt sie, nicht? Und dann... «
»Nicht so schnell! Noch mal zurück«, unterbrach ihn Marko. »Wenn >dieser alte Chinese<, er heißt Feng, um sieben Uhr den Laden betreten hat... wann hat er ihn dann verlassen?«
Nach einem längerem Schweigen brummte Krugg: »Wenn ich das nur wüßte, verdammt. Ich hab' soeben Witkowskis Notizen überflogen - er machte hier um halb sieben Schluß -, aber ich kann keine Eintragung darüber entdecken, wann Feng den Laden verlassen hat.«
Aufgeregt mischte sich Robin ein und schnaubte wütend. »Hat dieser Witkowski gepennt, oder was?! Weshalb schicken die uns verdammt noch mal Agenten, die noch vom letzten Job fix und fertig sind?... Er muß eingeschlafen sein, denn Feng muß ja irgendwann das Haus verlassen haben, wenn er um halb sieben zurückgekehrt ist.«
»Ich hab' schon öfters mit Witkowski gearbeitet«, erwiderte Krugg bestimmt, »und er ist bei einem Job noch nie eingeschlafen.«
Robin zog scharf die Luft ein. »O Gott!« ächzte er. »Kann es sein, daß es einen anderen Ausgang gibt? Einen, den wir übersehen haben?«
»Langsam, langsam«, sagte Marko und wählte die Nummer des Funkortungswagens. »Hier Funk Eins, Blauer Drachen. Habt ihr was Neues über das Ackametersignal?«
»Im Augenblick scheint sich das Objekt nicht zu bewegen. Es bleibt unverändert in der Nähe des Man Mo Tempels, Sir«, berichtete der Mann. »Wir sind auf dem Weg dorthin - in der Queen's Road Central... zähflüssiger Verkehr, aber in höchstens zehn Minuten müßten wir eigentlich dort sein.«
»Danke. Wir bleiben in Verbindung«, sagte Marko und wandte sich Robin zu. »Das ist beruhigend; sie ist immer noch im Western District.«
»Ich gehe«, verkündete Robin und griff nach seiner Jacke. »Der Renault steht noch immer am Hintereingang des Hotels. Ich kann genauso schnell am Man Mo Tempel sein wie die Kollegen von der Funkortung - vielleicht sogar schneller.«
»Nimm deine Kanone mit«, sagte Marko ruhig.
Robin wirbelte zu ihm herum und fauchte: »Jetzt tue bloß nicht so, als würde dir das mit deinem kaltschnäuzigen Optimismus was ausmachen!« Er unterbrach sich und murmelte betreten: »Entschuldige, Marko. Tut mir leid.«
»Schon in Ordnung... viel Glück«, erwiderte Marko und reichte Robin, nachdem dieser seine Pistole in den Halfter geschoben hatte, den Minidetektor für den Ackameter. Dieser Empfänger war zwar bei weitem nicht so leistungsfähig wie die Geräte des Funkortungswagens, doch er würde seine Dienste tun und Robin zu dem Ackameter führen, den Mrs. Pollifax bei sich trug. »Ich bleibe hier am Funkgerät«, sagte Marko, »und halte die Verbindung mit Krugg und Upshot.«
Die Hand bereits an der Türklinke, hielt Robin inne. Er wandte sich um und mit erstickter Stimme sagte er: »Wir sind davon ausgegangen, daß sowohl Detwiler als auch Feng im Laden sind und Mrs. Pollifax erwarten ...Im Laden, Marko! Falls einer der beiden irgendwie den Laden verlassen hat und uns abschütteln konnte, ohne daß wir es bemerkt haben... « Er öffnete die Tür, ging hinaus und knallte sie hinter sich ins Schloß. Er spurtete den Korridor hinab zum Lastenaufzug und zwei Minuten später saß er am Steuer des Renaults. Er scherte sich keinen Deut um Geschwindigkeitsbegrenzungen, verfluchte mit Inbrunst jede rote Ampel und traktierte ausgiebig die Hupe, sobald ein langsamer Wagen seine Spur blockierte.
Nach wenigen Minuten hatte er eines der ältesten und belebtesten Viertels Hongkongs erreicht, und der chaotische Verkehr in den engen Straßen und Gäßchen strapazierte seine Nerven und brachte ihn schier zur Verzweiflung. Als er eine Parklücke erspähte, manövrierte er den Renault an den Bordstein, sprang aus dem Wagen und rannte los. Der Ackameter in seiner Hand summte beruhigend, und der eingebaute Distanzmesser, der die Entfernung zwischen ihm und dem in Mrs. Pollifax' Rocksaum genähten elektronischen Verbündeten anzeigte, klickte leise. Er bog um eine Ecke, sprintete an dem altehrwürdigen Suzie Wong Hotel vorbei und entdeckte eine Stück die Straße hinab die rot und golden leuchtende Fassade des Man Mo Tempels. Das Summen des Ackameters schwoll zu einem hysterischen Pfeifen an. Verwirrt blieb Robin stehen. Nirgendwo war ein Taxi zu entdecken, und von Mrs. Pollifax war weit und breit nichts zu sehen. Ratlos irrte sein Blick die parkenden Wagen entlang, als ihm eine grauer Lieferwagen ohne Firmenaufschrift auffiel, der dem Tempel gegenüber schräg auf den Gehsteig fuhr und stehenblieb. Ein Mann in grauem Overall stieg aus, und Robin überquerte die Straße. »Sonderdezernat?« fragte er leise.
Unbewegt starrte ihn der Mann an. »Sonder was?«
»Funk Eins«, sagte Robin. »Blauer Drachen.«
Der Mann entspannte sich sichtlich. »Können Sie sich ausweisen?«
Robin fischte aus einer Geheimtasche seines Jacketts seinen zerknitterten Ausweis und brummte: »Eigentlich müßte mein Ackameter Ausweis genug sein... Sollten wir die Versammlung nicht auflösen, ehe sich hier eine neugierige Menge zusammenrottet?«
Der Mann im Overall brachte ein sparsames Grinsen zuwege. »Wir haben den Standort des Ackameters genau lokalisiert - er muß drüben im Tempel sein. Ich bin übrigens Harold Lei, und das ist Jim Bai. Er nimmt den Hintereingang. Worauf warten wir also?«
Sie liefen zum Eingang des Tempels, und Robin registrierte nur beiläufig die vollendete Schönheit des alten Bauwerks. Drinnen glänzte Bronze matt zwischen leuchtenden Rottönen. Der Rauch von Räucherstäbchen hing wie ein hauchdünner, kunstvoller Baldachin unter der Decke des Innenraums. Doch Robin hatte kein Auge für den Zauber dieses Orts. Vergeblich suchte er alle Winkel des Tempels ab; Mrs. Pollifax war nicht hier.
»Verdammt!« fluchte er laut und handelte sich einen mißbilligenden Blick des Tempelwächters ein, der in einer Ecke saß und erschreckt von seiner Zeitung aufsah.
Die beiden Kollegen von der Hongkonger Polizei warteten bereits vor dem Tempel auf Robin.
»Nichts zu entdecken am Hintereingang«, berichtete Jim Bai. »Was sagt Ihr Ackameter?«
Robin warf einen Blick auf den Empfänger in seiner Hand. »O Gott!« ächzte er. »Der Distanzmesser steht auf Null!«
»Es muß hier sein«, stellte Harold Lei mit einem ratlosen Stirnrunzeln fest.