»Okay«, nickte Robin und sprang auf. Mit langen Schritten eilte er ins Nebenzimmer.
Als er eine halbe Stunde später zurückkehrte, war Marko soeben dabei, Cyrus Mr. Hitchens und Ruthie vorzustellen. »Wir konnten es einfach nicht mehr aushalten, alleine und untätig herumzusitzen«, erklärte Mr. Hitchens Cyrus ihren Besuch. »Nicht, solange Ihre Frau in Gefahr ist, und wir dachten, wir sehen mal vorbei, um zu erfahren, ob es etwas Neues gibt.«
Marko wandte sich an Robin. »Genau das ist es, was ich von Robin hören möchte. Hast du den Gouverneur erreicht?«
Robin verzog das Gesicht. »Das schon, aber es hat Ewigkeiten gedauert, ihn an den Apparat zu bekommen. Er ist auf einer Dinnerparty, und die Verbindung war furchtbar. Aber ich denke, er hat trotz des Geschnatters im Hintergrund begriffen, worum es geht. Er ruft später zurück... Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist es nicht so einfach, die Armee zu mobilisieren. Selbst wenn es nur eine Handvoll Männer sind, die wir brauchen, sind einige Formalitäten zu erledigen.«
»Und was, zum Teufel, bedeutet das?« knurrte Cyrus gereizt.
»Er ist von der Queen ernannt«, bemerkte Ruthie. »Heißt das, daß er ihr Einverständnis einholen muß?«
»Wohl kaum«, erwiderte Marko. »Ich schätze, es existiert ein Senat oder Verwaltungsrat oder ähnliches. Und um diese Uhrzeit dürfte es gar nicht so einfach sein, jedes einzelne der Ratsmitglieder zu kontaktieren.« Nach einer Weile allseitigen bedrückten Schweigens räusperte er sich vernehmlich, um mit einem gewollt charmanten Lächeln vorzuschlagen: »Setzen wir uns doch alle. Ich werde den Zimmerkellner anrufen und eine Kleinigkeit zum Essen bestellen... Dann reden wir uns wenigstens nicht um den Rest unserer Nerven, während wie hier warten... «
»Wer traurig ist, weiß Geselligkeit zu schätzen«, sagte Ruthie und schenkte Cyrus ein mitfühlendes Lächeln. »Wie fühlen Sie sich, Cyrus?«
»Es geht so«, antwortete Cyrus, doch Robin bemerkte sehr wohl, wie müde und angegriffen er aussah.
Während die anderen auf der Couch und in den Sesseln Platz nahmen, hielt Marko Mr. Hitchens am Arm zurück und fragte ihn leise: »Glauben Sie, es würde Cyrus helfen, wenn Sie mit einer Kostprobe Ihrer Fähigkeiten bestätigten, daß es Mrs. Pollifax den Umständen entsprechend gutgeht?«
»Großer Gott, nein!« fuhr Mr. Hitchens auf. »Ich habe es bereits versucht... Sie befinden sich in einem winzigen dunklen Raum, und dieser Mann...« Seine Stimme versagte ihm den Dienst. »Ich mußte abbrechen! Das ist sehr unprofessionell von mir, aber wissen Sie, ich kenne Mrs. Pollifax und das macht alles so schwer. Um sie steht es gar nicht gut!«
»Ich verstehe«, sagte Marko leise und ließ Mr. Hitchens' Arm los. Er ging zum Telefon, um den Zimmerservice anzurufen.
Um 22 Uhr kam ein Anruf für Robin. Sheng Ti war am Apparat, der vergebens versucht hatte, Mrs. Pollifax in Zimmer 614 zu erreichen. »Haben Sie das Geld für das Taxi noch?« fragte Robin. »Gut. Setzen Sie sich in ein Taxi, und kommen Sie sofort zum Haupteingang des Hilton. Ich erwarte Sie dort.«
Als Sheng Ti gemeinsam mit Robin die Suite betrat, stand ihm der Schock, den ihm die Nachricht von Mrs. Pollifax' Verschwinden offenbar versetzt hatte, ins Gesicht geschrieben. Er nahm nicht einmal den für ihn sicherlich ungewohnten Luxus der Suite wahr, und schüttelte ungeduldig den Kopf, als ihm Marko etwas zu essen anbot. Cyrus wurde ihm als Mrs. Pollifax' Mann vorgestellt, und er eilte auf ihn zu und schüttelte ihm überschwenglich die Hand, dann setzte er sich neben ihn auf die Couch und wich keine Sekunde mehr von seiner Seite -ganz so, als sei er entschlossen, die für ihn einzig greifbare Verbindung zu Mrs. Pollifax nie wieder aufzugeben.
Sheng Ti hatte nicht allzuviel zu berichten. Das meiste davon war ihnen ohnehin bekannt - abgesehen von der Tatsache, daß Detwiler den ganzen Tag über nicht im Laden gewesen war und daß Feng mehrere Stunden in seinem Zimmer über dem Laden zugebracht hatte. Wie sich herausstellte, stimmte die Zeit von Fengs angeblichem Aufenthalt in seinem Zimmer genau mit den Stunden überein, die er nachweislich außerhalb von Feng-Imports verbracht hatte. Er und Lotus, erzählte Sheng Ti weiter, hatten den ganzen Tag eine Menge längst fälliger Exportaufträge zusammengestellt und verpackt, und Lotus sei bereits erschöpft zu Bett gegangen.
»Ich bleibe«, verkündete er entschlossen. »Sie müssen Mrs. Pollifax finden - bitte. Sie ist großer Freund, aus Turfan - aus China.«
Cyrus beugte sich zu ihm und tätschelte beruhigend seine Hand. »Sie bleiben hier«, sagte er.
Um 23 Uhr kam ein Anruf von Duncan, der mitteilte, daß seine Männer Donald Chang, dem Sheng Ti das Päckchen mit Diamanten geliefert hatte, ohne großes Aufsehen zu erregen am Flughafen verhaftet hatten. Wie es schien, hatte Chang keine Ahnung von irgendwelchen terroristischen Aktivitäten; seine Aufgabe war es lediglich gewesen, bestimmte, besonders gekennzeichnete Kisten und Pakete am Zoll vorbeizuschmug-geln. Er hatte angenommen, es handele sich um Diamanten, für die Feng keine Steuern zahlen wollte. Keinerlei Neuigkeiten gab es - laut Duncan - von seiten der Streifen der Stadtpolizei, die nach den beiden angeblich verschwundenen Touristen suchten.
Gegen Mitternacht meldete sich Krugg aus der Dragon Alley und berichtete, bei Feng-Imports sei alles ruhig - kein Licht im ganzen Haus. Eine Viertelstunde später kam vom Funkortungswagen die Meldung >keine Sendeaktivitäten<.
Um ein Uhr ähnelte die Suite in gewisser Weise einem Feldlager. Cyrus, der es nicht mehr auf der Couch ausgehalten hatte, marschierte unruhig im Zimmer auf und ab. Sheng Ti lag zusammengerollt auf der Couch und schlief fest. Mr. Hitchens blätterte desinteressiert in einer Illustrierten, während Ruthie neben ihm mit hängendem Kopf vor sich hin döste. Die Tische waren inzwischen von zerknüllten Servietten und Pappbechern übersät.
Doch keiner dachte daran, zu gehen; keiner brachte es fertig, die angespannte und bange Atmosphäre der Suite mit seinem eigenen ruhigen Zimmer zu tauschen, denn jeder wußte, wenn etwas geschehen würde, dann würde es hier geschehen. Jeder einzelne der Anwesenden hoffte auf die erlösende Nachricht, und jedesmal, wenn das Telefon klingelte oder das Funkgerät quakte, beobachtete Robin, wie in den Gesichtern von neuem Hoffnung aufkeimte. Doch allmählich beschwichtigte der Schlaf ihre Besorgnis und Unruhe, und Robin wünschte, dies träfe auch auf ihn selbst und Cyrus zu, doch das Gefühl der Hilflosigkeit nagte an ihm, machte ihn wütend - und hellwach. Irgendwo im Westen der Stadt verbrachte auch Mrs. Pollifax eine sicherlich schlaflose Nacht; in der Gewalt von Terroristen, die offenbar nicht im Traum daran dachten, längere Gespräche per Funk zu führen oder sich von einer Polizeistreife aufstöbern zu lassen...
Als das Telefon um halb eins erneut losschrillte, war Robin der schnellste und riß den Hörer ans Ohr. »Ah -ja... Eure Exzellenz«, sagte er. Cyrus unterbrach abrupt seine rastlose Wanderung, Marko erhob sich vom Funkgerät und Mr. Hitchens ließ die Illustrierte sinken.
»Nein, noch noch nichts Neues von unserer Agentin«, sagte Robin. »Ihr Mann ist inzwischen bei uns... ja, ihr Ehemann. Die Idee mit der Armee stammt von ihm. Was ist mit der Armee, Sir? Mit der gebotenen Geheimhaltung.. .« Er unterbrach sich und lauschte in den Hörer. Seine Miene hellte sich zusehends auf. »Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht, Sir. Aber wann...?« Er verstummte und seine Miene verdüsterte sich wieder. Als er wieder sprach, klang seine Stimme spröde: »So spät?! .Früher ist es gar nicht möglich? Ja, ich weiß, daß es mitten in der Nacht ist, aber unter den besonderen Umständen. .. Nein, die einzige Information, die wir in dieser Richtung haben, ist, daß es innerhalb der nächsten Woche geschehen soll. Doch es handelt sich um eine äußerst unzuverlässige Information, Sir; im Grunde genommen reine Spekulation... Eine Haushälterin - richtig. Ich habe Ihnen bereits davon berichtet... Ja. Sicherlich hilft uns das weiter, aber ich muß zugeben, es beunruhigt mich, daß... Ja, Sir. Ich verstehe. Sehr gut. Ich danke Ihnen.«