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»Nein«, sagte er.

Sie war verwirrt, fühlte sich betrogen und hintergangen und sie spürte, wie kalter Zorn in ihr aufstieg. »Sie wollen mir nicht

helfen?«

»Nein«, sagte er leise. »Nein - Sie verstehen mich falsch. Ich werde zum Funkgerät kriechen - nicht Sie.« Er sah ihr ins Gesicht. »Sie dürfen mir das nicht abschlagen!« Ein seltsames Lächeln trat auf sein Gesicht. »Ich war bisher keine große Hilfe und... Wissen Sie, was es bedeutet, süchtig zu sein? Geben Sie mir die Chance, mich wieder wie ein menschliches Wesen zu fühlen.«

»Aber...«

Er berührte ihre gefesselten Hände mit den seinen. »Es ist in Ordnung so. Glauben Sie mir - es ist in Ordnung! Es ist doch der Schalter auf der linken Seite?«

Sie nickte. »Legen Sie ihn nur um, und kommen Sie dann sofort zurück.« Irgend etwas an ihm irritierte sie. »Kommen Sie zurück, und wir zählen gemeinsam die Sekunden.«

Er lächelte matt, nickte und wälzte sich auf die Knie. Dann ließ er sich auf die Ellenbogen sinken und begann, ungeschickt die Holzkisten entlang zu kriechen. Die Männer am Fenster waren noch immer mit den Geschehnissen auf der Straße beschäftigt, und als sich einer von ihnen umwandte, um eine weitere Kiste unter den Flaschenzug zu schieben, hob er nicht einmal den Blick.

Detwiler war unter dem Funkgerät angelangt, und Mrs. Polifax fühlte, daß sie vor Anspannung den Atem anhielt. Nun kam der gefährlichste Augenblick - wenn er sich aufrichten und sich über die Holzkiste beugen mußte, um den Schalter zu erreichen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Detwiler kniete geduckt vor der Kiste und sah zu ihr herüber. Sie begriff, daß er auf ein Zeichen wartete. Die Männer standen noch immer mit dem Rücken zu ihnen. Sie nickte heftig. Atemlos beobachtete sie, wie Detwiler sich mit einem Bein hochstemmte, das zweite Bein... Er stand aufrecht, beugte sich vor und legte den Schalter um.

»Großartig!« flüsterte Mrs. Pollifax. »Einfach großartig!« Sie erlaubte sich einen tiefen Seufzer der Erleichterung als sie sah, wie Detwiler auf den Boden zurückglitt. Sie hob ihre gefesselten Hände und begann, die Sekunden zu zählen. Es war genau sechs Uhr neunundzwanzig und null Sekunden. >0 Gott!< dachte sie, als sie registrierte, wie langsam der Sekundenzeiger vorwärts kroch. >Das sind Ewigkeiten! Wie oft muß er die Distanz von einer zur anderen Ziffer überwinden, bis zweieinhalb Minuten. vorbei sind?... Dreißigmal? <

>Vier Sekunden, ßüsterte sie. >Fünf... acht... neun Sekunden... <

Detwiler kam nicht zurück. Ihr Blick huschte kurz zu ihm hinüber, doch sie sah nur seinen Rücken, der sich unter dem Funkgerät zusammenkauerte. Ihr Blick flog zurück auf das Zifferblatt ihrer Uhr und verfolgte gebannt den Sekundenzeiger. >Fünfzig Sekunden... sechzig... eine Minute! <

Eine Minute und drei Sekunden. Eine Minute und fünf Sekunden... acht... neun...

>Was für ein erstaunliches Phänomen die Zeit doch ist<, dachte sie. >Wie quälend lange eine Sekunde sein kann! War den Menschen das bewußt?<

Eine Minute und fünfzig Sekunden... achtundfünfzig. Zwei Minuten! Das Funkgerät sendete seit zwei Minuten!

Zwei Minuten und eine Sekunde... Allmählich begann Mrs. Pollifax zu hoffen... Vor ihrem geistigen Auge sah sie die zwei Männer im Funkortungswagen sitzen, wie sie mit fliegender Hast die Antennen drehten und Koordinaten bestimmten. Wenn nur nicht...

Zwei Minuten und zwanzig Sekunden... »Bitte, o bitte«, flüsterte sie. Zwei Minuten und fünfundzwanzig Sekunden... sechundzwanzig... neunundzwanzig... dreißig Sekunden. Zweieinhalb Minuten!

Beinahe hätte sie vor Freude laut losgejubelt und Detwiler zugerufen, daß er es geschafft hatte. Das Funkgerät war noch immer auf Sendung; inzwischen bereits zwei Minuten und achtundfünfzig Sekunden... neunundfünfzig... Drei Minuten!

Ein heiserer Aufschrei schreckte sie auf. »Oh, nein!« stöhnte sie laut, als ihr Blick auf den Mann fiel, der über Detwiler gebeugt stand und ihn ungläubig anstarrte. Sie sah, wie Verstehen im Gesicht des Mannes dämmerte, sah, wie er den Schalter zurückwarf. Nun eilten auch die übrigen Männer hinzu und scharten sich um Detwiler. Waffen wurden gezogen. Mrs. Pollifax schloß die Augen. Ein Schuß fiel. Als sie die Augen wieder öffnete, lag Detwiler leblos hingestreckt auf den staubigen Dielen vor der Holzkiste. Seine Augen starrten sie blicklos an.

17

Gewaltsam löste Mrs. Pollifax ihren Blick von der leblosen Gestalt Detwilers. >Er muß es geahnt haben<, dachte sie bestürzt. >Das war es, was er mir zu sagen versucht hat: Er sah keine Perspektive mehr für sich, und er wußte, daß es kein Zurück mehr für ihn gab ... <

»Arme Mrs. O'Malley«, flüsterte sie.

Nun erst begriff sie allmählich, daß Detwiler ganz bewußt sein Leben riskiert hatte. Vermutlich hatte er ihr durch seine mutige Tat das Leben gerettet, denn schließlich hatte sie vorgehabt, selbst zum Funkgerät zu kriechen. Ungeschickt wischte sie sich mit den gefesselten Händen die Tränen aus den Augen. Neben ihr war Alec Wi aus dem Schlaf hochgefahren. »Was ist?« rief er verstört um sich blickend. »Was ist passiert?«

Sie nickte mit dem Kopf in Richtung Detwilers. »Sie haben ihn erschossen.«

Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er Detwiler liegen sah. »Ist er tot?« flüsterte er und starrte sie betroffen an. »Ich dachte, man würde zuerst Sie erschießen. Ich habe nicht erwartet, daß... «

»Ich weiß«, sagte sie.

»Sind jetzt wir an der Reihe?« fragte Alec mit unsicherer Stimme. »Hört denn dieser Alptraum nie auf?!« Mrs. Pollifax hatte beobachtet, wie die Männer das Fenster wieder in den Rahmen gesetzt hatten, und als sie sah, daß Eric der Rote sich zu ihr und Alec umwandte und auf sie zusteuerte, sammelte sie ihre letzten Kraftreserven. »Aufstehen - los! « sagte e rbarsch. »Wir brechen auf.«

>Der Augenblick der Wahrheit! < dachte sie. >Nun muß sich zeigen, wozu der Orangensaft und die Vitamintabletten all die Jahre zum Frühstück gut waren... Los, Emily, du magst dich vielleicht nach einem weichen Bett, einer kräftigen Mahlzeit und liebevoller Pflege sehnen, aber das beste, was du jetzt tun kannst, ist, dich von diesem einladenden, wundervollen Fußboden zu erheben und irgendwie die Treppe hinabzusteigen<

Alec half ihr auf die Beine zukommen - eine äußerst galante Geste, wie sie fand: ihr war entgangen, daß Alec entsetzt ihren blutverkrusteten Rücken anstarrte, als sie sich nach vorn auf die Hände gestützt hatte. Sie taumelte leicht und stellte fest, wenn sie sich auf Detwilers letzte, heldenhafte Tat konzentrierte, war der Schmerz, den die Berührung ihrer Bluse mit ihrem Rücken verursachte, leichter zu ertragen. Stufe um Stufe folgte sie Eric dem Roten die Stiege hinab, und jedesmal, wenn sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte, stützte sie Alec von hinten.

Die ehemals blaue Tür stand offen, und sie konnte den Wagen erkennen, der in dem schmalen Gäßchen stand, in das sie Feng - wie es ihr schien vor Ewigkeiten - gebracht hatte. Es war kein Lieferwagen, wie sie ihn zusehen erwartet hatte, sondern ein verblüffend harmlos anmutender Volkswagenbus, der aussah, als hätte man unter einer Zeltplane auf dem Dachständer das Reisegepäck verstaut. Und - >welch ein gerissener Einfall!<, stellte sie fest - an dessen Rückfront man zwei Fahrräder angebracht hatte. Lediglich vor den beiden hintersten Seitenfenstern waren Vorhänge gespannt. Die übrigen Fenster waren für jedermann leicht einsehbar, ganz so, als wollte man betonen, daß es in diesem Bus nichts zu verbergen gebe. Mrs. Pollifax stellte jedoch beim Einsteigen fest, daß sich unterhalb der hinteren Fenster ein Stapel Maschinenpistolen, einige Tragnetze mit Konservendosen und etliche Holzkisten mit der Aufschrift AMMO befanden.