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»Von einem Freund Sheng Tis.«

»Einem Freund? Einem Freund Sheng Tis?«

Mit einem Mal hatte Mrs. Pollifax den Eindruck, als sei es sehr wichtig, zu betonen, daß Sheng Ti durchaus ein paar Freunde hatte. »Wundert Sie das?« fragte sie herausfordernd.

»Mich wundert nur, daß jemand wie Sie Sheng Ti kennt«, erwiderte Feng gelassen.

»Ich verstehe zwar nicht, was Sie das angeht«, entgegnete Mrs. Pollifax ebenso gelassen, »doch wenn es Sie beruhigt, kann ich Ihnen das gerne erklären: Ich habe ihn in Rotchina kennengelernt. In der Nähe von Turfan, in der Provinz Xinjiang. Unter äußerst dramatischen und für eine amerikanische Touristin sehr aufregenden Umständen übrigens... «

»Sie sprechen Chinesisch?« fragte er interessiert.

»Mein Begleiter sprach ein paar Brocken«, erklärte sie ungeduldig. »Sheng Ti schilderte uns seine verzweifelte Situation und deutete an, er hätte eine Möglichkeit in Aussicht, das Land zu verlassen. Dies war natürlich gegen das Gesetz und für alle Beteiligten überaus gefährlich.. .« Es gelang ihr, ein dramatisches Zittern in ihre Stimme zu legen. »Ich habe natürlich alles - alles - unternommen, um herauszufinden, was aus ihm geworden ist.« Sie schüttelte erschöpft den Kopf und fügte betrübt hinzu: »Mit anderen Worten: Ich habe unzählige Briefe geschrieben, an sehr viele Türen geklopft und mich nicht abweisen lassen. Und dies gedenke ich auch jetzt nicht zu tun!«

Er reichte ihr die Notiz Bishops. »Es tut mir leid, aber man hat Sie falsch informiert, Mrs. - äh -«

»Pollifax.«

»Mrs. Pollifax. Wir betreiben hier eine Importfirma, und einen Sheng Ti gibt es hier nicht.«

Sie sah ihm geradewegs in die Augen, doch er wich ihrem Blick aus. »Wieso haben Sie dann so viele Fragen gestellt? Ganz offen gesagt, Sir, ich glaube Ihnen nicht.« A

Hinter dem Perlvorhang war ein leises Lachen zu hören, und eine Stimme rief belustigt: »Bringen Sie unsere hartnäckige Freundin herein, Feng.«

Fengs Lippen wurden noch schmaler. »Aber ich glaube nicht, daß...«

»Bringen Sie sie herein!« Die unverkennbare Schärfe, die nun in der Stimme mitschwang, schüchterte Feng offenbar ein, denn er erhob sich hastig und winkte Mrs. Pollifax, ihm zu dem Perlvorhang zu folgen.

Die bunten Glasperlen klirrten erneut leise, und Mrs. Pollifax trat in ein winziges Büro, in dessen Ecke das Mädchen, das Feng Lotus genannt hatte, an einem Tisch saß und Perlen auf einen Faden reihte. Der Mann, der ihr Gespräch mit Feng belauscht hatte, ging voran und öffnete eine Tür an der Rückwand des kleinen Büros. Er trug einen gutgeschnittenen Anzug aus schwarzer Seide. Von hinten wirkte er ziemlich großgewachsen, und Mrs. Pollifax stellte fest, daß er leicht hinkte.

Als Mrs. Pollifax durch die Tür trat, mußte sie unwillkürlich die Augen schließen. Nach der dumpfen Dunkelheit des Ladens konnte sie nur vorsichtig in das helle Licht blinzeln, das durch ein riesiges, schräggestelltes und ziemlich hoch eingesetztes Fenster in den Raum fiel. Zwei der Wände wurden von Regalen eingenommen, auf welchen Hunderte von erlesenen und zum Teil wohl antiken Jade- und Elfenbeinfiguren und -Schnitzereien standen. In dem Regal an der Wand hinter ihr erkannte Mrs. Pollifax Stapel von Holzkisten und anderes Verpackungsmaterial. An der Stirnwand, unterhalb des mächtigen Fensters, stand ein großer Arbeitstisch, auf dem Mrs. Pollifax ein ansehnliches Häufchen kleiner, glitzernder Steine entdeckte.

Doch der Unbekannte interessierte sie im Augenblick wesentlich mehr, und entschlossen wandte sie sich ihm zu.

Er verneigte sich förmlich. »Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte er und über die Schulter gewandt fügte er hinzu: »Danke, Mr. Feng. Das ist vorläufig alles.« Er ging zu einem kleinen Sekretär in der Ecke des Raums und lud sie ein, auf einem der Stühle daneben Platz zu nehmen.

Der Mann war offensichtlich Eurasier, und Mrs. Pollifax nahm an, daß es sich um Mr. Detwiler handelte, obwohl lediglich der Schnitt seiner Augen auf asiatische Vorfahren schließen ließ. Sein Gesicht war breit und ziemlich fleischig, die Nase flach und der Mund auffallend groß. Seine nach oben verlaufenden Mundwinkel verliehen ihm ein freundliches Aussehen und erweckten den Eindruck, als läge das stete und weise Lächeln einer Buddhastatue in seinen Zügen. Zu dem schwarzen Anzug trug er ein blütenweißes Hemd, eine schwarze Krawatte, die eine goldene Nadel zierte, und goldene Manschettenknöpfe; der Duft von Moschus umgab ihn.

»Ich suche Sheng Ti, wie Sie wahrscheinlich gehört haben«, erklärte Mrs. Pollifax energisch.

»Ja - das habe ich gehört«, erwiderte er, und sein Lächeln schien eine Nuance breiter zu werden. »Was wollen Sie von ihm?«

»Ich möchte mich nur vergewissern, daß es ihm gutgeht«, antwortete sie. »Aber... Darf ich offen sein?«

»Ich bitte Sie darum«, sagte er und nickte ihr ermutigend zu.

Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken und ohne die geringsten Gewissensbisse erzählte Mrs. Pollifax das Lügenmärchen, das sie sich ausgedacht hatte, während sie Feng vom Laden in das Hinterzimmer gefolgt war. »Sie müssen wissen«, begann sie und beugte sich vertraulich näher zu Detwiler, »daß mir das Schicksal Sheng Tis sehr auf der Seele lastet. Ich habe bisher eine Menge Unannehmlichkeiten auf mich genommen, um ihn wiederzufinden. Als ich damals in die Staaten zurückkehrte, erzählte ich in meinem Gartenbauverein - gegenwärtig bin ich Präsidentin des Clubs - von meinen Erlebnissen mit Sheng Ti. Und Sie werden es nicht glauben...«, ihre Augen leuchteten vor Begeisterung, »... aber die Damen unseres Gartenbauvereins haben sich einmütig dafür ausgesprochen, die Patenschaft für den jungen Mann zu übernehmen und sich für seine Einreise in die USA einzusetzen!«

»Ich muß zugeben. Sie waren sehr rührig«, lächelte er und musterte sie aufmerksam. »Darf ich bitte mal einen Blick auf den Zettel werfen, den Sie Feng gezeigt halben?«

»Selbstverständlich.« Sie reichte ihm Bishops Notiz. »Ist Sheng Ti bei Ihnen?«

Der Mann studierte das Stück Papier eingehend. »Wie sind Sie eigentlich zu dieser Adresse gekommen?« fragte er.

Mrs. Pollifax holte tief Atem und plapperte munter drauflos. »Ich lernte damals auch den Mann kennen, der Sheng Ti zur Flucht verholten hatte. Ich versuchte also zunächst, diesen Mann ausfindig zu machen, und er erklärte mir, man habe Sheng Ti damals nach Hongkong gebracht. Er gab mir auch eine Adresse, wo man mir eventuell weiterhelfen würde... Eine Adresse in Washington übrigens«, fügte sie treuherzig hinzu. »Nach endlosen Telefongesprächen und zahllosen, hartnäckigen Briefen gab man mir schließlich diese Adresse.«

Der Mann sah von dem Zettel auf und nickte. »Sie haben tatsächlich die einzige Informationsquelle ausfindig gemacht, die über Sheng Tis Aufenthaltsort Bescheid weiß. Niemand sonst hat eine Ahnung, daß sich Sheng Ti hier aufhält.«

»Er ist also tatsächlich hier?«

»Ja«, erwiderte er und reiche ihr lächelnd die Notiz über den Schreibtisch. »Sie müssen verstehen, daß uns Ihre Kenntnis von Sheng Tis Aufenthaltsort äußerst merkwürdig erscheinen mußte. Wie lange werden Sie in Hongkong bleiben?« erkundigte er sich freundlich.

»Eine Woche. Ich werde mir natürlich vor allem die Parks und die Blumenpracht hier ansehen. Ich habe für meine Geranien eine Reihe von Preisen gewonnen und...«

»Ich verstehe«, unterbrach er sie, »aber leider müssen Sie sich den Gedanken, Sheng Ti zu treffen, aus dem Kopf schlagen. Ich hoffe. Sie verstehen... Es geht ihm wirklich gut. Er arbeitet sehr viel, und ich muß Ihnen leider sagen, daß ein Zusammentreffen mit Ihnen für ihn gar nicht von Vorteil wäre.«

»Aber weshalb denn nicht?« rief Mrs. Pollifax enttäuscht aus. »Ich habe eine so weite Reise auf mich genommen, und ich dachte... der gesamte Gartenbauverein dachte...«

»Aber es geht ihm wirklich gut«, versicherte Detwiler. »Vielleicht können Sie ihn später einmal besuchen. In ein paar Jahren vielleicht... Im Augenblick ist er für mich einfach unabkömmlich. Und wenn er seine Englischkenntnisse vervollkommnet hat, brauche ich ihn erst recht. Sie müssen verstehen«, erklärte er freundlich, doch energisch, »ich kann Ihnen diesen Gefallen leider nicht tun. Zumindest nicht im Augenblick...«, fügte er etwas versöhnlicher hinzu.