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»Du meinst es ernst«, sagte ich.

Also stiegen wir die Südseite hinab.

Peter Habeier, Messners Partner bei der ersten Besteigung des Everest ohne Sauerstofflaschen im Jahre 1979, ist den Grat vom Gipfel bis zum Südpaß in einer Stunde hinabgerast. Er hatte Angst vor Gehirnschäden; meines Erachtens ist die Geschwindigkeit seines Abstiegs der beste Beweis dafür, daß sie schon eingetreten waren. Wir gingen, so schnell wir konnten, was beunruhigend schnell war, und brauchten fast drei Stunden dafür. Einen Schritt nach dem anderen, einen steilen, verschneiten Grat hinab. Ich weigerte mich, in die tiefen Schluchten zu meiner Rechten und Linken hinabzuschauen. Die Wolken unter uns schwollen an wie die Flut in der Fundy-Bai; unser schönes Wetter würde bald ein Ende finden.

Ich kam mir völlig losgelöst von meinem Körper vor, beobachtete einfach, wie er marschierte. Unter mir sang Freds »›I get up, I get dow-wow-wown‹« aus dem Lied »Close to the Edge« von Yes. Wir gelangte an eine große, schneegefüllte Rinne und rutschten sie achtlos hinab, glitten bei jedem verträumten Schritt acht oder zehn Meter weit. Wir alle drei taumelten mittlerweile. Wolken strömten hinauf, und wie durch Zauberei erschien überall um uns herum Nebel, aber wir waren schon unmittelbar über dem Südpaß, und es spielte keine Rolle mehr. Ich sah, daß man im Paß ein Lager aufgeschlagen hatte, und seufzte erleichert auf. Ansonsten wären wir verloren gewesen.

Die Inder sicherten noch ihre Zelte, als wir hineinmarschierten. Eine Woche perfektes Wetter, und sie waren nur bis zum Südpaß gekommen. Sehr langsam, dachte ich, als wir näher kamen. Eine Besteigung im Belagerungsstil, eine logistische Pyramide, völlig auf Nummer Sicher — und so langsam wie der Bau der anderen Art von Pyramide.

Als wir den Paß überquerten und uns den Zelten näherten, wobei wir Abfallhaufen von vorherigen Expeditionen ausweichen mußten, stellten sich die ersten Sorgen bei mir ein. Sie müssen wissen, daß die indische Armee auf dem Everest unglaubliches Pech gehabt hat. Sie haben mehrmals versucht, den Berg zu besteigen, und sind, soweit ich weiß, immer gescheitert. Hauptsächlich wegen der Stürme, doch die Menschen neigen dazu, dies zu ignorieren, und die Inder haben von der Bergsteigergemeinde in Nepal ziemliche Kritik abbekommen. Man hat sie sogar ›schreckliche Bergsteiger‹ genannt. Sie waren also ziemlich empfindlich in dieser Hinsicht, und mir kam sehr langsam in den Sinn, daß sie nicht allzu erfreut sein würden, im Südpaß von drei Bergsteigern begrüßt zu werden, die gerade auf der Nordseite vom Gipfel hinabkamen.

Dann sah uns einer. Er ließ den Holzhammer in seiner Hand fallen.

»Hallo«, krächzte Freds.

Schnell versammelten sich einige von ihnen um uns. Der Wind wehte nun heftiger, und wir alle waren ihm ungeschützt ausgeliefert. »Wer sind Sie?« rief der älteste Inder dort verdrossen, wahrscheinlich ein Major.

»Wir haben uns verirrt«, sagte Freds. »Wir brauchen Hilfe.«

Ah, gut, dachte ich. Freds hat auch daran gedacht. Er wird ihnen nicht sagen, woher wir kommen. Freds hat noch alle Gedanken beisammen. Er wird dieses Problem richtig angehen.

»Woher kommen Sie?« brüllte der Major.

Fred deutete auf die Westseite. Gut, dachte ich. »Unsere Sherpas haben gesagt, wir sollten uns rechts halten. Und das haben wir seit Jomosom auch getan.«

»Woher kommen Sie, bitte?«

»Jomosom!«

Der Major richtete sich auf. »Jomosom«, sagte er scharf, »liegt im westlichen Nepal.«

»Oh«, sagte Freds.

Und wir alle standen da. Anscheinend hatten wir das Freds’ Erklärung zu verdanken.

Ich stieß ihn zur Seite. »In Wahrheit haben wir uns gedacht, wir könnten Ihnen etwas helfen. Wir haben nicht gewußt, worauf wir uns einlassen.«

»Ja!« sagte Freds und machte sich diese neue Taktik dankbar zu eigen. »Vielleicht könnten wir ein paar Lasten für Sie runtertragen?«

»Wir steigen noch hinauf!« bellte der Major. »Wir brauchen niemanden, der Lasten nach unten trägt.« Er deutete auf den Grat hinter uns, der allmählich im Nebel verschwand. »Das ist der Everest!«

Freds blinzelte ihn an. »Sie machen Witze.«

Ich stieß ihn wieder an. »Wir brauchen Hilfe«, sagte ich.

Der Major betrachtete uns eindringlich. »Gehen Sie ins Zelt«, sagte er schließlich.

17

Nun ja, schließlich reimte ich eine halbwegs zusammenhängende Geschichte über uns zusammen: Wir wollten freiwillig Lasten für eine Everest-Expedition tragen, obwohl ich niemanden kannte, daß der so dumm sein würde, diesen Wunsch zu verspüren. Freds war mir nicht die geringste Hilfe — er vergaß meine Version immer wieder, kehrte zu seiner ersten Geschichte zurück und sagte Sätze wie »Wir müssen ein falsches Flugzeug erwischt haben.« Und in beide Versionen paßte Kunga Norbu nicht so recht hinein; ich behauptete, er sei unser Führer, doch wir verstanden seine Sprache nicht. Klugerweise blieb er stumm.

Trotz alledem gab das indische Team uns zu essen und Wasser, damit wir unseren quälenden Durst stillen konnten, und sie begleiteten uns an ihren Leitseilen zu den tieferliegenden Lagern hinab, um auch ganz sicher zu gehen, daß wir ihnen wirklich nicht mehr im Weg standen. Im Verlauf der nächsten paar Tage führten sie uns das westliche Cwm, das vergletscherte Tal der Stille, und den Khumbu-Eisfall zum Basislager hinab. Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine minutiöse Schilderung des berühmten Khumbu-Eisfalls geben, doch leider erinnere ich mich kaum daran. Er war groß und weiß und unheimlich, und ich war müde. Das ist alles, was ich noch weiß. Und dann waren wir in ihrem Basislager, und ich wußte, daß es vorbei war. Die erste illegale Besteigung des Everest.

18

Nun ja, nach dem, was wir durchgemacht hatten, sah Gorak Shep wie Irland aus, und Pheriche wie Hawaii. Und die Luft war die reinste Sauerstoffsuppe.

Wir erkundigten uns nach den Engländern, nach Arnold und Laure und hörten immer wieder, daß sie vielleicht einen Tag unter uns waren. Wie es sich anhörte, jagten die Engländer Arnold, dem es unter äußersten Anstrengungen gelang, seinen Vorsprung zu halten. Also eilten wir ihnen nach.

Auf unserem Abstieg kehrten wir jedoch im Kloster Pengboche ein, einem dunklen, unheimlichen alten Gemäuer in einem kleinen Hain schwarzer Kiefern, bei denen es sich angeblich um den Backenbart des ersten Abtes handelte. Dort ließen wir Kunga Norbu zurück, der ziemlich mitgenommen wirkte. Die Mönche im Kloster machten ein großes Getue um ihn. Er und Freds verabschiedeten sich überschwenglich, und er bedachte mich mit einem breiten Grinsen, als er mich zum letzten Mal mit diesem allumfassenden Blick seiner schwarzen Augen durchbohrte. »Guten Morgen!«, sagte er, und wir waren wieder unterwegs.

Und so trotteten Freds und ich nach Namche hinab, das mich stark an Manhattan erinnerte, und stellten dort fest, daß unsere Freunde, noch immer auf der Jagd nach Arnold, gerade nach Lukla aufgebrochen waren. Unterhalb von Namche beeilten wir uns wirklich, sie einzuholen, doch das gelang uns erst in Lukla selbst. Und dort erwischten wir nur die Engländer — sie standen an der Landepiste und beobachteten, wie das letzte Flugzeug des Tages über das schiefe Gras brummte, während Arnold McConnel, wie wir schnell herausfanden, an Bord eben jenes Flugszeugs war, nachdem er einem Passagier der Maschine einen beträchtlichen Stapel Rupien für dessen Ticket bezahlt hatte. Arnolds Sherpas standen an der Piste und winkten ihm zum Abschied; wie sich herausstellte, hatten sie alle mit dieser einen Klettertour etwa ein Jahreseinkommen verdient und den alten Arnold ziemlich in ihr Herz geschlossen.

Die Engländer hatten das keineswegs. Im Gegenteil, sie schäumten geradezu vor Wut.

»Wo seid ihr gewesen?« fragte Trevor.

»Wir haben den Gipfel bestiegen«, erklärte Freds entschuldigend. »Kunga mußte es aus religiösen Gründen.«