Drittes Capitel.
Die Kosaken, die mich gefangen genommen hatten, waren im Begriff, ein Piquet zu beziehen, und nahmen mich dahin mit. Hier plünderten sie meine Taschen aus, zogen mir den Ueberrock ab, und verlangten nun mein Geld. Zufälligerweise hatte ich dieses den Tag zuvor meinem Bedienten zum Einkauf von Lebensmitteln in Dresden übergeben, und so befand ich mich gänzlich von aller Baarschaft entblöst. Meine Zeichen, // S. 123// daß ich ohne Geld sey, wurden zwar von den Kosaken wohl verstanden, aber nicht geglaubt. Schon machten sie Miene, mich durch Schläge zu Herausgabe des verborgenen Geldes zu vermögen, als ich meine Uhr, die sie noch nicht gefunden hatten, hervorzog, und sie dem Unterofficier anbot. Hiedurch rettete ich mich vor Mißhandlungen, und dem nemlichen Unterofficier hatte ich es auch zu danken, daß mir meine Stiefeln{710} blieben, die mir die Kosaken schon auszuziehen begannen. Erst, als sie sahen, daß weiter nichts bey mir zu erbeuten sey, machten sie durch Zeichen verschiedene Fragen an mich, deren Beantwortung ich aber meistentheils schuldig blieb. Nun zog ein Kosake Brod, Butter und Branntwein hervor, und ich ward genöthigt, mit zu essen und zu trinken. Nach dem Frühstück ward ich zum Schwadrons-Commandanten geführt, der bey Schwepnitz bivouacquirte, und bey dem Anblick meiner Uniform, die er von gestern her kannte, sehr erfreut war. Nach einigen unbedeutenden Fragen schickte er mich etwa 1. Stunde weit zu seinem General, der in gutem Deutsch mich um Namen und Charge162, die Art meiner Gefangennehmung, die Stärke der französischen Armeen, ihre Stellung, das Hauptquartier Napoleons p.p. befragte, und mich sofort zum Vorposten-Commandanten, General Lanskoy nach Bernsdorf, 3. Stunden von Kamenz, sandte. Auch hier wurden mir mancherley Fragen gestellt, und Abends ward ich einem Kosackencommando übergeben, das die Bagage rückwärts // S. 124// führen sollte, aber der Unsicherheit der Straße wegen bald wieder nach Bernsdorf zurückkehrte, und dort übernachtete.
Den folgenden Morgen ward ich mit dem gleichfalls gefangenen königl[ich] sächsischen Amtshauptmann v[on] Carlowitz und seinem Secretär Conradi auf einen Wagen gepackt, um mit ihnen nach Bautzen geschickt zu werden. Um die Mittagszeit wollten wir eben durch ein Dorf fahren, als ein russischer Uhlanenoberst unserer ansichtig wurde, und uns nach kurzem Gespräch in das Schloß der Geheimenräthin v[on] Glass aus Berlin mitnahm, und zu Mittag behielt. Während des Essens, bey dem unter andern auch ein alter Kosaken-Major anwesend war, wurde das Gespräch frey und ungezwungen geführt, und kein Russe sah mich darum feindlicher an, weil ich gestand, den Feldzug in Rußland mitgemacht zu haben. Beym Caffee beschenkte mich der Verwalter des Guts, so bald er hörte, daß mir bey der Gefangennehmung meine Tabackspfeife abgenommen worden sey, mit einer seiner eigenen, die zwar von geringem Werthe, mir aber doch höchst willkommen war. Nachmittags fuhren wir noch ein Stück Wegs weiter, mußten aber bald wieder umkehren, und giengen nun links rückwärts bis nach Wittichenau, wo wir die Nacht in Einem Zimmer, sorgfältig bewacht, zubrachten. Am 16. Vormittags wurden wir einer Schwadron brauner Husaren übergeben, und kamen links an Bautzen vorbey durch das Hauptquartier des Generals von Blücher, wo dieser // S. 125// General selbst, im Oberrock, den Kopf mit einem Czakow{711} bedeckt, eine lange Tabackspfeife im Munde, zu Pferde uns begegnete, einige Fragen an mich richtete, und dabey über den Kampf der Süd- gegen die Norddeutschen sich hart aussprach, und wo wir darauf von preussischen Soldaten und Unterofficieren einige Zeit insultirt{712}, hernach aber von den herbeygekommenen Officieren gegen weitere Ungebühr beschützt wurden, Abends in Steindörfel (1 1/2. Stunden von Bautzen) im Hauptquartier des Generals Grafen von Wittgenstein an, wo die 2. sächsischen Beamten von mir getrennt wurden, und ich bis zum andern Abend mit andern Gefangenen unter Kosaken campirte. Gegen Abend wurde ich mit einem Transport von etwa 200. Gefangenen zu Fuße nach Weissenberg und von da zurück nach Würschen (2. Stunden von Bautzen) dem Hauptquartier des Kaisers Alexander, gebracht. Es war Nachts 10. Uhr, als wir hier ankamen. Ueber eine Stunde lang harrten wir mit unserer Bedeckung auf weitere Befehle. Endlich erschien die Ordre{713}, die Gefangenen in den Bivouacq der Baschkiren und Kalmuken166 zu bringen. Alsbald schlossen diese einen engen Kreis um uns, und nöthigten uns, nachdem sie den Haufen mehreremale abgezählt hatten, zum Niederliegen. Der Platz war sumpfig, und zu einem Nachtlager für ein lebendes Geschöpf keineswegs geeignet. Gleichwohl mußten wir in dem Wasser liegen bleiben, uns es ward uns nicht einmal vergönnt, nur den Kopf ausserhalb des Wassers zu halten, // S. 126// denn jedes Mal kam ein Baschkire, der den Kopf sogleich in das Wasser niederdrückte mit den Worten: Spiz (schlaf) Kamerad, Spiz! Es war dieß die härteste Nacht meines Lebens. Als der Tag angebrochen war, erhielten wir zwar die Vergünstigung aufzustehen, aber es verflossen noch ein paar Stunden, ehe uns gestattet ward, unsere durch Nässe und Kälte völlig erstarten Glieder an einem Feuer zu wärmen. Um 10. Uhr ward ich vor den Adjutanten des Kaisers, General v[on] Wolzogen, gebracht, und von ihm ausgefragt. Er hatte einst in württembergischen Diensten gestanden, und sagte mir dieß, aber er zeigte nicht die mindeste Lust, mir mein Schicksal zu erleichtern. Auf denselben Bivouacq zurückgebracht, traf ich mit dem Herrn v[on] Carlowitz und seinem Secretär wieder zusammen. Bald ward ich noch einmal in das Schloß berufen, vor einen andern General, der mir den Antrag machte, in der deutschen Legion Dienste zu nehmen, und mir dabey einerseits die Vörtheile dieses Vorschlags und andererseits das Ungemach auseinander setzte, dem ich als Gefangener entgegen gehe. Ich wies seine Anträge zurück, und ward in den vorigen Bivouacq zurückgebracht. Nun kam ein französischer Deserteur, der sich für einen Adjutant Major{714} ausgab, und sich den Namen Laudon beilegte, (nachher erfuhr ich, er sey Adjutant sous Officier gewesen, und heisse Mercier,) zu uns, um mich zu bearbeiten, allein auch seine Bemühungen und Vorstellungen bewogen mich zu keinem anderen Entschlüsse. Gegen Abend // S. 127// wurden wir einer Wache von russischer Landwehr übergeben. Diese Soldaten trugen eine ziemlich hohe runde Mütze von Filz, vornen mit einem A[lexander] I.{715} und einem Kreutz, einen braunen Rock mit Riemen gegürtet, und einen Spieß als Waffen{716}. Sie behandelten uns besser, als die Baschkiren und Kalmuken, und bekümmerten sich wenig, ob wir die Nacht stehend, sitzend oder liegend zubringen wollten. Indessen wurden wir von ihnen ebenso kärglich verköstigt, als es seit mehreren Tagen der Fall war, und ich kann wohl sagen, daß mir seit dem 15.ten Mittags zu jeder Stunde ein Bissen Pferde- oder Hundefleisch eine willkommene Speise gewesen wäre.
Am 19.ten Vormittags wurden endlich die vorhandenen Gefangenen rückwärts transportirt. Meine Unglücksgefährten waren ein Capitän Fischer vom Stabe des Generals Bertrand, und einige hundert Soldaten, Franzosen, Deutsche, Italiener, zum Theil im elendsten Aufzuge, und halb nackt. Auch wurde uns zu unserem grosen Leidwesen Herr Laudon zugestellt. Unsere Escorte bestand aus einem donischen Kosakenlieutenant170 mit seinem Unterofficier , 1. Baschkirenlieutenant und 20. Baschkiren. Die gefangenen Officiere erhielten Wägen, die Unteroffiziere und Soldaten gingen zu Fuß. Am ersten Tage erreichten wir die Stadt Görlitz, in deren Nähe wir bivouacquirten. Tags darauf stiessen neben mehreren Soldaten der Lieutenant Colliva und der SousLieutenant Rompani vom ersten italienischen Linieninfanterie-Regiment zu uns. Ueber Lauban, Naumburg und Bunzlau kamen wir // S. 128// am 21. ten May in Schlesien an. Den ganzen folgenden Tag über, wo wir rasteten, ward eine starke Canonade gehört, die gegen Abend immer näher kam, und uns darum erfreute, unsere Escorte aber mit Unruhe erfüllte. Am nächsten Tage vernahmen wir, daß die Russen und Preussen eine Schlacht verloren hätten, und in vollem Rückzuge nach der Oder begriffen seyen;{717} den 24. wurden wir von den fliehenden Bagagewägen erreicht, und während des ganzen Marsches von den Schmähungen und theilweisen Thätlichkeiten der rohen Trainknechte{718} verfolgt. Bey Steinau setzten wir über die Oder, und gelangten über Winzig, Trachenberg und Suhlau am 26. nach Militsch, dem lezten schlesischen Städtchen, wo wir abermals einen Ruhetag machten.