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Über die Schreibpraxis der württembergischen Autoren von Kriegs- memoiren liegen nur fragmentarische Informationen vor. Die meisten Veteranen des Feldzugs von 1812 dürften ihre Darstellung auf der Grundläge von Aufzeichnungen verfasst haben, die sie im Feld angefertigt hatten. Diese Materialien sind in der Regel nicht überliefert. Bei der Ausarbeitung der — zumeist wenig detaillierten — originalen Notizen zu ausführlichen Kriegsmemoiren schöpfte die Mehrzahl der Autoren in erster Linie aus der persönlichen Erinnerung. In verschiedenen Fällen benutzten die Veteranen bei der Niederschrift von Memorialwerken die vorhandene historiografische Literatur, die Berichte anderer Felzugsteilnehmer sowie, in seltenen Fällen, amtliche Dokumente. Nur von wenigen Soldaten, die über ihre Kriegserfahrungen in den Jahren 1812 bis 1814 berichteten, sind mindestens zwei Textzeugen erhalten; in diesen Fällen lässt sich die Entstehung der jeweiligen Memoiren etwas konkreter nachvollziehen.{103}

Die überlieferten Erinnerungswerke württembergischer Soldaten unterscheiden sich in Form und Inhalt stark. So beziehen sich die Memoiren auf unterschiedliche Zeitspannen. Zum Teil handelt es sich um Autobiografien, die das gesamte Leben des Autors behandeln, zum Teil wird nur ein bestimmter Lebensabschnitt, zum Beispiel die Teilnahme an einem Feldzug, thematisiert. Einige Memoiren sind als Erzählung, andere in der Tagebuchform der originalen Aufzeichnungen verfasst. Die subjektive Perspektive des autobiografischen Berichts ist in den Erinnerungswerken unterschiedlich stark ausgeprägt. In einigen Werken wird sie durch eine Schilderung des allgemeinen Kriegsverlaufs ergänzt. Grundlegend verschieden ist auch der intellektuelle Anspruch der Texte. Während viele Memoiren primär eine Chronologie der Kriegsereignisse bieten, bemühen sich einige Autoren erkennbar um eine gedankliche Durchdringung und Analyse ihrer individuellen Erfahrungen. Schließlich differiert auch das sprachlich-stilistische Niveau der Memoiren enorm.

Die große Mehrzahl der württembergischen Erinnerungswerke zum Feldzug von 1812 wurde veröffentlicht.{104} Die Publikation erfolgte dabei zum Teil zu Lebzeiten des jeweiligen Autors, zum Teil posthum. Nicht wenige Texte wurden erst viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung herausgegeben.{105}

Einige derjenigen Autoren, deren Aufzeichnungen zu Lebzeiten erschienen, publizierten anonym.{106}

Mehrere württembergische Erinnerungswerke, die bereits im 19. Jahrhundert zum Druck gelangten, stießen auf großes Interesse des Lesepublikums und erfuhren bis zum Ersten Weltkrieg mehrere Auflagen. Zu diesen Texten zählen die Kriegsmemoiren von Christian von Martens, Heinrich von Roos, Karl von Suckow und Christoph Ludwig von Yelin.{107} Der Text von Roos wurde 1912 ins Russische und 1913 ins Französische übersetzt.{108} Die Erinnerungen von Suckow erschienen 1901 in französischer Sprache.{109} Eine überaus beeindruckende Rezeptionsgeschichte wurde in jüngerer Vergangenheit den Erinnerungen des einfachen Infanteristen Jakob Walter zuteil. Das Werk Walters, 1938 erstmals in deutscher und englischer Sprache publiziert, liegt inzwischen in sieben Sprachen im Druck vor (Deutsch, Englisch, Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Französisch, Spanisch).{110}

5. Heinrich von Vossler (1791—1848):

KÖNIGLICH-WÜRTTEMBERGISCHER OFFIZIER UND BEAMTER

Heinrich August Gottlieb Vossler (Voßler, Vosseier, Voßeler) wurde am 3. November 1791 in Tuttlingen geboren, einer etwa 3.500 Einwohner zählenden Oberamtsstadt, die im äußersten Süden des Herzogtums Württemberg gelegen war.{111} Er entstammt einer bürgerlichen Familie.{112} Der Vater Johann Vossler (1735—1808) bekleidete in Tuttlingen das Amt eines „Heiligenvogts“. Unter der Oberaufsicht des evangelischen Kirchenrats in Stuttgart war er verantwortlich für die Verwaltung der örtlichen „pia Corpora“, d. h. der frommen Stiftungen sowie der von der Kirche getragenen Sozialeinrichtungen.{113} Die Mutter Heinrichs, Maria Magdalena (1765—1840), stammte aus der Tuttlinger Apothekerfamilie Megenhart.{114} Heinrich hatte drei Geschwister: zwei Brüder, Johann Christian Friedrich (1786—1866) und Gustav Friedrich Rudolph (1797—1847), sowie eine Schwester, Christiana Magdalena Judith (1788—1847).

In der Familie Vossler wurde Wissen und Bildung ein hoher Stellenwert eingeräumt. Deutlich erkannte der Vater Johann die damit verbundenen Aufstiegschancen für seine Kinder. Er ließ seinen beiden ältesten Söhnen, deren Entwicklung er bis an die Schwelle des Erwachsenenseins erlebte, eine gute Ausbildung angedeihen. Dies war nicht selbstverständlich, weil die Familie Vossler wie alle Einwohner Tuttlingens am 1. November 1803 von einer Katastrophe betroffen war: An diesem Tag brannte die gesamte württembergische Oberamtsstadt innerhalb der Mauern nieder. Die Bildungsund Karrierewege der ältesten Vossler-Söhne verliefen sehr unterschiedlich: Der Erstgeborene, Johann Christian Friedrich, studierte Jurisprudenz an der Universität Tübingen und trat anschließend in den württembergischen Staatsdienst ein.{115} Er sollte bis zum Ober-Tribunalrat in Tübingen aufsteigen. Heinrich besuchte das Gymnasium Illustre in Stuttgart, das einzige weiterführende Gymnasium, das im Herzogtum Württemberg bestand. Er war — wie er selbst schreibt — wie sein Bruder „zum Studiren bestimmt“. Doch war es Heinrich nicht möglich, eine Universität zu besuchen, da er im Jahr 1809 die hierfür erforderliche königliche Erlaubnis nicht erhielt. Kurzzeitig in einer Schreibstube tätig, wo er nicht glücklich wurde, trat Heinrich Vossler am 8. Juni 1809, mit 17 Jahren, als Freiwilliger in das württembergische Heer ein.{116} Eine Einberufung zum Militär war angesichts der Zeitläufte ohnehin zu erwarten gewesen.

Kurz nach seinem Dienstbeginn in der Armee als Kadett der Depotkompanie beim Garde-Regiment zu Fuß nahm Heinrich Vossler an der Niederschlagung des Aufstands der Vorarlberger gegen die bayerische Herrschaft teil. Im Frühjahr 1810 wechselte er auf eigenen Wunsch zur Kavallerie: Er gehörte zunächst vier Wochen lang als Kadett dem Leibregiment Chevauxlegers an. Seit dem 2. Juni 1810 diente er als Unterleutnant beim Jäger-Regiment zu Pferd Herzog Louis, das seit den Militärreformen von 1811/12 offiziell den Namen Kavallerie-Regiment Nr. 3 Jäger Herzog Louis trug.{117} Das Regiment Vosslers stellte eine Neuformation des Jahres 1805 dar; es war seit März 1807 nach Herzog Ludwig von Württemberg (1756—1817), einem Bruder König Friedrichs, benannt.{118} Vosslers Garnisonsorte — Zwiefalten, Ehingen und Riedlingen — waren alle in Oberschwaben, d. h. im südlichen Landesteil des Königreichs Württemberg, gelegen.