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«Von wem sind die?«

Für einen Moment erwäge ich zu behaupten, sie seien von mir, aber Aimee würde mir sowieso nicht glauben.»Spencer«, sage ich.»Ich war heute an seinem Grab.«

Aimee hat die Zeichnung von sich entdeckt und steht auf, um sie aus der Nähe zu betrachten.»Wow«, sagt sie leise, nachdem sie ewig vor dem Bild gestanden hat. Sie setzt sich zurück in den Sessel und trinkt die Flasche leer. Dann schabt sie mit dem Fingernagel am Etikett, löst kleine Papierfetzen vom Glas.

«Alles in Ordnung?«

Aimee sieht mich an, als würde die Frage sie überfordern.

«Du bist irgendwie seltsam. «Ich gehe zu ihr und knie mich neben dem Sessel hin, lege die Arme auf die Lehne.

«Ich komme gerade vom Grab meines Bruders«, sagt Aimee ausdruckslos. Sie starrt auf ihre Schuhspitzen. Ich kann das Bier in ihrem Atem riechen.

«Entschuldige. «Ich berühre ihren Arm. Aus Dobbs’ Zimmer dringt kein Laut. Leise Swingmusik würde jetzt bestimmt helfen. Aimees Gesicht ist verborgen hinter strähnigen Haaren. Ich gehe mit dem Kopf nahe an sie heran, küsse sie auf den Hals.

«Nicht«, sagt sie leise und dreht den Kopf weg.

«Warum bist du hergekommen?«

Aimee schweigt.

Ich bleibe noch einen Augenblick in meiner Haltung, dann setze ich mich zurück aufs Bett. Aimee zupft Papierstückchen von ihren Knien. Ich frage mich, ob ich mich gerade zum Idioten gemacht habe. Wenn ich nachrechne, wie lange wir uns nicht gesehen haben, komme ich auf mindestens zwei Monate, eher drei, mein Zeitgefühl ist mir irgendwie abhanden gekommen. Gut möglich, dass Aimee inzwischen einen neuen Freund hat, falls ich überhaupt jemals ihr Freund war, ihr fester Freund. Vielleicht ist sie mit dem Löwenbändiger zusammen, Stewart, Stew.

«Wie lange willst du eigentlich hierbleiben?«fragt Aimee plötzlich.

«Hier im Hotel?«Aimee sagt nichts.»Ich weiß nicht. Bis ich was Besseres gefunden habe.«

«Was ist das für dich, was Besseres?«

Offenbar überlege ich zu lange, denn Aimee steht auf und nimmt den Rucksack. Ich bleibe sitzen.»Wohin willst du?«

«Nach Hause. «Sie öffnet die Tür und geht hinaus.

Ich springe vom Bett hoch und laufe ihr nach.»Was hast du denn?«Aimee antwortet nicht. Sie geht den Flur entlang und zur Treppe, als müsse sie einen Zug erreichen.»Aimee?«

«Lass mich. «Aimee geht die Stufen hinunter.

«Bist du mit Stewart zusammen?«

Aimee bleibt stehen, dreht sich um und sieht mich an. Es dauert eine Weile, bis sie etwas sagt.»Du bist ein Idiot. «Dann geht sie weiter die Treppe hinunter.

«Ach ja?«rufe ich und folge ihr.»Warum verschwendest du dann deine Zeit mit mir?«Ich überhole Aimee und stelle mich auf der untersten Treppenstufe vor sie hin.»Ich bin also ein Idiot. In Ordnung, du bist die Psychologin. Dann sag mir aber auch, wie ich daran was ändern kann! Was soll ich tun?«

Aimee holt ihre Brieftasche hervor und daraus ein Blatt Papier. Sie faltet es auseinander und hält es mir hin. Es ist einer der Handzettel, mit denen wir meinen Vater gesucht haben. Er ist zerknittert und hat einen dunklen Fleck dort, wo die Telefonnummer steht.

«Woher hast du den?«

«Ist doch egal. Gefunden. «Sie sieht mich an, scheint auf etwas zu warten.

«Wir haben nach meinem Vater gesucht«, sage ich.

«Und habt ihn nicht gefunden. Oder?«

Ich sage nichts. Ich weiß nicht einmal, ob ich den Kopf schüttle.

«Ich hab da angerufen«, sagt Aimee. Sie faltet den Zettel zusammen und will ihn in die Brieftasche stecken, aber dann hält sie ihn mir hin.

«Wann?«Ich nehme das gefaltete Blatt. Hunderte davon habe ich verteilt, eine Ewigkeit ist das her.

«Etwa vor einem Monat. Alice hat mir erzählt, ihr hättet deinen Vater gefunden. Dafür seist du jetzt weg. «Einen Augenblick bleibt Aimee noch stehen, dann geht sie die letzten Stufen hinunter in die Lobby.

«Hast du ihr gesagt, wo ich bin?«

Aimee dreht sich nicht mehr um.»Ist das dein einziges Problem?«

«Es ist alles viel komplizierter, als du denkst«, sage ich und halte sie am Arm fest.

Aimee sieht auf meine Hand, und ich lasse sie los.»Erklärst du’s mir?«Sie steht da und sieht mich an, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr Blick ist fordernd und ungeduldig, das Gegenteil von ermutigend. Dann dreht sie sich mit einem Ruck um und will gehen, aber ich berühre sie am Arm, und sie bleibt stehen.

«Ich habe monatelang nach meinem Vater gesucht«, sage ich. Meine Finger zupfen an ihrem Ärmel, und als ich es merke, lasse ich die Hand sinken.»Und dann, nach einer Ewigkeit, habe ich ihn gefunden. Nach so vielen Jahren habe ich ihn endlich gefunden und konnte ihm nicht sagen, wie wütend ich auf ihn bin.«

«Du bist ein Idiot«, sagt Aimee mit bedauerndem Unterton.

«Du wiederholst dich, verdammt noch mal!«brülle ich sie an. Ich habe die Schnauze voll von ihren Vorwürfen. Wenn sie mich loswerden will, um mit ihrem Zooheini glücklich zu werden, muss sie es mir nur sagen, aber ihre ständigen Beleidigungen habe ich satt.

«Das weiß ich, du Idiot!«brüllt Aimee zurück.»Idiot!«Ihr Kopf ist plötzlich rot. Sie holt Luft und ballt die Fäuste, aber statt sich zu beruhigen, brüllt sie weiter. Ihre Stimme ist gigantisch, schwingend vor Zorn und trotzdem gefasst. Bestimmt kann Dobbs sie in seinem Zimmer hören.»Dein Vater hatte einen Schlaganfall! Er ist nicht tot! Du musst nicht an sein Grab gehen, um ihm zu sagen, dass du ihn vermisst! Du kannst jeden Tag bei ihm sein und ihm helfen, so lange, bis er dich versteht und weiß, wer du bist, und dann kannst du deinen aufgestauten dämlichen Frust an ihm auslassen!«Sie dreht sich um und geht durch die Lobby zum Ausgang, ihre Arme fliegen in die Luft.»Aber du, du verkriechst dich in diesem verfluchten Hotel und richtest dich ein, als ob du die nächsten siebzig Jahre hier verbringen willst!«

Ich folge ihr und nehme Randolph wahr, der hinter der Empfangstheke sitzt, und die Gesichter der Lobbyisten, die sich in einem synchronen Schwenk mit Aimee zur Tür bewegen, und am liebsten würde ich allen unter Androhung von Prügel raten, sich wieder um ihren eigenen Scheiß zu kümmern, aber Aimee rennt schon durch den Vorhang.

«Ich liebe dich!«rufe ich ihr hinterher und bleibe stehen. Es ist mir egal, dass mich alle anglotzen, Zeitungen und Dominosteine und Zigaretten in den vor Neugier und Verwunderung erschlafften Händen haltend. Es kümmert mich nicht, dass ich acht Zeugen für diesen Satz habe. Meinetwegen sollen sie sich Popcorn holen, das Licht ausmachen und vergessen zu atmen.

Nach einer effektvollen Pause teilt sich der Vorhang, und Aimee erscheint. Die Stille im Raum ist intensiver als der Lärm eines vorbeirasenden Güterzuges.

«Noch ein Problem, großartig!«ruft Aimee und klingt gleichzeitig genervt und erheitert, ihre Augen blitzen.»Wenn du die andern gelöst hast, kannst du dich ja darum kümmern. «Damit geht sie. Ein Hauch kalter Luft weht durch den sich schließenden Vorhang. Die schwere Tür quietscht und fällt gleich darauf ins Schloss.

Mazursky klatscht vorsichtig Beifall, hört aber sofort auf, als ich den Kopf in seine Richtung drehe. Noch immer starren mich alle an. In ihren Blicken liegt erwartungsvolle Unruhe, als sei ich ein Schauspieler, der vergessen hat, wie das Stück weitergeht. Elwoods Mund steht offen. Trotz seiner Schwerhörigkeit dürfte er den Dialog einwandfrei verstanden haben. Die beiden Neuen, die offenbar ein Zimmer für die Nacht gebucht haben, halten je einen Teller in den Händen, auf denen angebissene Brote liegen. Wahrscheinlich denken sie, das hier sei so eine Art Abendveranstaltung, ein flotter Einakter, und vergessen mit vollen Backen zu kauen.

Ich weiß tatsächlich nicht, was ich tun soll. Die Uhr über der Empfangstheke tickt plötzlich so laut, dass ich zusammenzucke. Enrique schüttelt den Kopf, meine Vorstellung scheint ihn zu enttäuschen.

«Was stehst du noch rum, Mann?«ruft Alfred schließlich.»Geh ihr nach!«