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«Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber du könntest wirklich ein Bad vertragen. «Sie erhebt sich und stellt den Teller auf das Tablett. Dann öffnet sie mit einem Schlüssel eine Klappe an der Wand neben der Tür und dreht einen Schalter, vermutlich die Klimaanlage. Dazu hebt sie das Sweatshirt hoch, weil der Schlüssel an einem Bund vor ihrem Bauch hängt.

Ich muss zugeben, dass ich stinke. Wenn ich die Bettdecke anhebe, weht mir ein süßlichfauliger Geruch entgegen, streng und beinahe unmenschlich, als würden da unten exotische Tiere ihre Jungen aufziehen.

«Soll ich dir ein Bad einlassen?«fragt Aimee. Sie verschließt das Türchen, damit ich mich nicht mit Hilfe der Klimaanlage umbringen kann, zieht das Sweatshirt runter und dreht sich um. Sie nimmt das Tablett vom Stuhl, sieht mich an.»Nick einfach, der Rest wird erledigt.«

Ich sehe an die Decke. Meine Kopfhaut juckt, ich kann das ranzige Fett in meinen Haaren riechen. Die Wunde am linken Handgelenk kribbelt unter dem Verband. Ich frage mich, ob der Schnitt genäht werden musste. Habe ich mir gestern eigentlich in die Hose gepisst? Oder war das, wenn überhaupt, vorgestern, vor drei Tagen? Den Aromen nach zu urteilen, die mir entströmen, liege ich hier schon eine Ewigkeit. Ich ekle mich vor mir selber. Ich nicke.

«Einmal Vollbad, wird sofort erledigt. «Aimee lächelt und verlässt das Zimmer.

Ich liege da und bereue es, genickt zu haben. Eine Dusche wäre mir lieber gewesen. Ich hätte um Papier und Stift bitten sollen, stumm natürlich, mit Gesten, oder eine Dusche pantomimisch darstellen, die Finger flatternd über meinem Kopf, langsam rieselnde Tropfen. Ich hätte mir mit imaginärem Duschgel die Achseln einseifen, mit unsichtbarem Shampoo die Haare waschen sollen. Vor meinem verhinderten Ertrinken im Loch der verlorenen Seelen hatte ich nichts gegen Badewannen. Orla steckte mich mindestens dreimal die Woche hinein, und ich fand es überhaupt nicht beängstigend. Ich hatte ein kleines Schiff aus rotem und gelbem Plastik, einen Schlepper, der sich durch die schaumige See zwischen zwei Inseln kämpfte, meinen Knien. Orla sang Seemannslieder und wusch mir die Haare. Dampf hing in der Luft und legte sich als feine Schicht auf den Spiegel, in die Orla später unsere Namen und ein Herz zeichnete.

Warum erinnere ich mich bloß an diese Dinge und nicht daran, was vor ein paar Tagen passiert ist? Wo bin ich ins Meer gefallen? Bin ich reingesprungen? Wie bin ich dorthin gekommen? Warum träume ich von einem toten Hund? Als ich mich aufsetze, wird mir schwindlig, schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen wie Hologramme von dicken Fliegen.

Die Tür geht auf, und meine beiden Kumpels kommen rein, als wären wir zu einem Abend vor dem Fernseher verabredet. Sie tragen weiße Hosen und Poloshirts, ein grünes und ein gelbes, reden aufgekratzt auf mich ein, stellen mich auf die Beine und ziehen mir einen riesigen weißen Bademantel mit Kapuze an. Einer der beiden stülpt eine Plastiktüte über meine linke Hand und umwickelt sie hinter dem Verband mit einem Riemen aus Klett. Ich schwanke ein wenig, komme mir vor wie ein Boxer, der für den Kampf vorbereitet wird und schon in der Garderobe angeschlagen ist. Der andere hebt meine Füße an und schiebt sie in die Gummischlappen, die neben meinem Bett stehen und mich an kleine bunte Boote erinnern, bereit zum Auslaufen. Ich lese die Namensschildchen auf ihrer Brust. Philipp und Robert.

«Und los geht’s«, sagt Phil.

«Immer einen Fuß vor den andern«, sagt Rob.

Sie stützen mich auf beiden Seiten, jetzt bin ich Butch Coolidge in Pulp Fiction, der zum Ring gebracht wird, angetrieben von Musik und Adrenalin und dem tobenden Publikum, das Blut sehen will. Wir verlassen den Raum, meine Aufbewahrungszelle, und gehen den Flur entlang, beschienen von Neonlicht. Ich spüre die Hände meiner Freunde an den Ellbogen und unter den Achseln, sie führen mich ab, bringen mich sicher ans Ziel. Mein Geruch ist bei mir und bleibt zurück, er umweht mich, hüllt mich ein, eine Aura aus schwerer, öliger Luft. Ich setze einen Fuß vor den anderen, gehorsam wie einer von McSweeneys Robotern.

Gerade als ich mich darüber freue, den jungen McSweeney nicht vergessen zu haben, geht eine Tür auf, und wir bleiben einen Augenblick stehen, um zu warten, bis das Licht einer Lampe, die einer fliegenden Untertasse gleich von der Decke hängt, den Raum erhellt hat. An einer weiß gefliesten Wand, die mich an Taggarts Tempel erinnert, steht ein Objekt aus Chromstahl, das eine Badewanne sein muss, als solche jedoch nicht sofort erkennbar ist, obwohl sich grünes Wasser darin befindet, auf dem Schauminseln treiben. Schläuche wachsen aus seinem Bauch, der mich und meine Begleiter als verkrümmte Zerrbilder widerspiegelt, in der Seite ist eine Tür mit versenktem Griff eingelassen, und wie zum Beweis, dass es sich bei diesem amputierten Stahlbug tatsächlich um eine Badewanne handelt, liegen auf einem Regal ein Schwamm, ein Rückenschrubber und eine gelbe Gummiente.

«Dann wollen wir mal«, sagt Phil, der kleiner und breiter ist als sein Kollege und auf dessen Kopf die Haare um ein bereits kahles Zentrum herum ausfallen. Er tunkt seine Hand ins Wasser und nickt.

«Hinein ins Vergnügen«, sagt Rob, der Große mit dem dichten Haar, der angenehmen Stimme und einem Gesicht, das die Frage aufwirft, warum es mich hier drin anlächelt statt draußen von einem Plakat, das für Nassrasierer oder Shampoo wirbt.

Phil streift mir den Bademantel ab, Rob die Latschen von den Füßen. Ich lege zwei gewölbte Handflächen über meinen Schritt und schließe die Augen. Dass ich den kleinen Raum mit meinen Ausdünstungen fülle, kann zwar als menschlich gewertet und irgendwie entschuldigt werden, aber es reicht, dass ich in der vergitterten Bodenöffnung verschwinden möchte, aus der ich aufsteigende Sambamusik zu hören glaube. Die Pfleger heben mich hoch, indem sie ihre nackten, gekreuzten Arme so unter mein Gesäß schieben, dass meine Hoden genau in die Lücke dazwischen passen, und ich wünsche mir, auf der Stelle tot zu sein. Ich werde zur Wanne getragen, über deren Rand gehievt und, von aufmunternden Worten begleitet, vorsichtig abgesenkt. Erst jetzt bemerke ich, dass es sich bei diesem Modell um eine Sitzbadewanne handelt, wie sie in Krankenhäusern und Altersheimen üblich sind. Während meine Füße tief unter mir im algengrünen Wasser schimmern, bleibt meine Brust trocken. Die Hand in der Plastiktüte dümpelt neben mir zwischen Schaumschollen, ich lächle dankbar und warte darauf, alleine gelassen zu werden.

«Nicht erschrecken«, sagt Rob.

Ich erschrecke, als mir lauwarmes Wasser über den Kopf fließt und eine Hand auf die Schulter gelegt wird. Ich schnappe nach Luft, ein Reflex.

«Alles in Ordnung?«fragt Phil.

Ich nicke. Das Wasser wird wärmer und über meinen gekrümmten Rücken gelenkt. Ich atme heftig und denke daran, nach einem Trinkhalm zu fragen, einem Schnorchel, lasse es dann aber bleiben und halte stattdessen die Luft an. Meine Haare werden gewaschen, sanft und geübt, als würde auf meinem Schädel eine fragile Skulptur errichtet. Ich spüre, wie die Schorfkruste sich löst und weggeschwemmt wird. Ich hole tief Luft, schließe die Augen und lasse es geschehen.

Ich reite über ein flaches Feld. Dass ich nicht reiten kann, Angst vor Pferden habe, darf ich nicht verraten, sonst falle ich. Das Pferd ist schwarz, obwohl ich mir ein weißes wünschte. Auf dem Feld liegt Schnee, der zu Sand wird, als ich absteige, um das Schiff zu erreichen. Das Schiff hat abgelegt, eine Frau steht am Heck und winkt mit einem Taschentuch. Sie ist jung, ich habe sie auf einer Fotografie gesehen, im Hochzeitskleid steht sie vor einer Kirche. Schwarzer Rauch senkt sich aus dem Schornstein auf sie herab, das Kielwasser ist eine Schleppe, ich winke. Das Pferd ist weiß und liegt im Sand, der zu Schnee wird, es stirbt, es hat mich lange getragen. Ich drehe mich um, und das Schiff ist verschwunden. Wo der Himmel auf das Meer drückt, fließt graue Asche empor, dann ist nichts mehr da, kein Meer und kein Himmel, nur noch Schnee, darin die Form des liegenden Pferdes, ein Abdruck seines Todes, der sich langsam füllt mit fallenden Flocken, Asche, Sternen. Über meinem Kopf fliegt ein Pferd, es hat Flügel und ruft meinen Namen.