Выбрать главу

Er trat einen halben Schritt zurück, und der Collalto richtete sich auf. Er sah jetzt, daß hinter dem Baron nicht nur die beiden Fackelträger, sondern noch fünf andere kroatische Diener standen, die alle des Barons Livree trugen. Drei von ihnen waren Musikanten und zwei, die recht gefährlich dareinsahen, hielten Terzerole in den Händen.

»Der Herr wird tanzen von jetzt bis in den lichten Morgen«, erklang die Stimme des Barons. »Durch alle Gassen Prags wird der Herr tanzen. Er wird nicht müde werden, ich rat's ihm nicht, denn wenn er innehält, bekommt er eine Kugel in den Leib. Ist's dem Herrn nicht recht, so mag er's sagen. Nun? Läßt der Herr mich warten?«

Die beiden Kroaten hoben ihre Terzerole, die Musikanten spielten, und der Graf Collalto begann, von Todesangst getrieben, eine Sarabande zu tanzen.

Es war ein sonderbarer Zug, der sich durch die Gassen und über die Plätze des nächtlichen Prag bewegte. An der Spitze schritten die Fackelträger, dann kamen mit Flöte, Geige und Trommel die Musikanten, hinter ihnen tanzte Graf Collalto, die beiden Kerle mit den Terzerolen folgten ihm und ließen ihn nicht aus den Augen, und der Baron Juranic machte, obwohl er als letzter ging, den Führer, denn er wies mit seinem Degen den Fackelträgern den Weg, den sie einzuschlagen hatten.

Es ging durch enge, winkelige Gassen bergauf und bergab, vorbei an adeligen Palästen und an schmalen, windschiefen Giebelhäusern, vorbei an Kirchen, Gartenmauern, Weinschenken und steinernen Brunnen. Die Leute, denen sie begegneten, fanden nichts Verwunderliches an diesem Zug, sie meinten, der Kavalier, der da hinter den Musikanten hertanzte, habe ein wenig über den Durst getrunken und sei in fröhlicher Laune, und einer seiner guten Freunde brächte ihn mit Musikanten und Lakaien in sein Quartier, und niemand ahnte, daß da einer verzweifelt um sein Leben tanzte. Und wie nun der Collalto so abgemattet und erschöpft war, daß er glaubte, er könne nicht weiter und das Herz müsse ihm in Stücke springen, und doch kein Erbarmen fand und weitertanzen mußte, — da traf es sich, daß sie just auf einem kleinen Platz angelangt waren, in dessen Mitte eine Muttergottes stand. Und sobald die Kroaten dieses steinerne Bildwerk erblickten, warfen sie sich auf die Knie, schlugen das Kreuz und sagten Gebete her, und da ließ sich der Collalto auf die Erde gleiten und schöpfte Atem.

Der Baron Juranic lachte laut und schallend. »Bei meiner armen Seele, so war das nicht gedacht«, sagte er und schlug nun auch ein Kreuz. »Aber ich hätt' es wissen müssen, daß das so kommen wird. Ja, meine Kroaten sind fromme Leut', die wissen, was sie Christo und seiner Mutter schuldig sind, und der Lange dort, der mit dem Terzerol, der ist von ihnen allen der Frömmste. Der schlägt sich lieber die Hand ab, als daß er an einem Sonntag ein Pferd stehlen geht.«

Indessen hatten die Kroaten ihre Andacht beendet und nur der eine, der am Sonntag kein Pferd stehlen wollte, lag noch auf den Knien, und den fuhr der Baron nun an:

»Steh auf, daß dich das Mäuslein beiß'! Die heilige Jungfrau will auch einmal etwas anderes sehen als dein Gesicht.«

Es gab - und es gibt heute noch — viel hundert Kruzifixe und steinerne Heilige in der Stadt Prag, sie stehen leidend, segnend oder beschwörend auf den Plätzen und in den Nischen und Winkeln; vor den Kirchenportalen stehen sie, vor den Hospitälern, vor den Armenhäusern und auf der steinernen Brücke. Und wo die Kroaten an solch einem Bildwerk vorüberkamen, fielen sie auf die Knie und murmelten Gebete oder sangen Litaneien, und der Collalto hatte eine kurze Rast. Anfangs nahm dies der Baron Juranic gelassen hin, er wußte, in den heiligen Dingen war mit den Kroaten nicht zu spassen. Dann aber begann es ihn immer mehr zu verdrießen, daß seine Diener in ihrer frommen Einfalt seinem Feinde solchen Beistand taten, und er dachte nach, wie dem abgeholfen werden könnte. Und da, wie er so nachsann, kam ihm ein Gedanke, der erschien ihm so über die Maßen spaßhaft, daß er laut auflachte. Ja, das sollte der letzte Streich sein, den er in dieser Nacht dem Collalto spielen wollte. In den Gassen der Judenstadt sollte der Collalto seine Sarabande tanzen, denn dort gab es keine Kruzifixe und keine Heiligenfiguren.

Damals war die Prager Judenstadt noch nicht mit einer Mauer umgeben, die wurde erst in der Zeit der Schwedenbelagerung errichtet. Man konnte aus den Gassen der Altstadt in die Judenstadt gelangen, ohne erst an ein verschlossenes Tor pochen zu müssen. Und so führte der Baron seine Schar durch das Valentinsgäßlein in das Judenquartier, durch enge und verschlungene Gassen ging es, an der Friedhofsmauer entlang bis an das Moldauufer und wieder zurück, vorbei am Judenbad, vorbei am Rathaus, vorbei am Backhaus, an den versperrten Fleischbänken vorbei und über den Trödelmarkt, der verlassen dalag, und die Musikanten spielten und der Collalto tanzte, und kein Heiligenbild, das ihm Rast verschafft hätte, lag auf diesem Wege. Hier und dort wurde, wenn der Zug vorüberkam, ein Fenster geöffnet, verschlafene und verängstigte Gesichterblickten hinaus, und das Fenster schloß sich wieder. Hier und dort bellte ein Hund, dem der Zug verdächtig erschien, Und wie nun die beiden Fackelträger und die Musikanten hinter ihnen aus der Zigeunergasse in die Breite Gasse einbogen, dort wo das Haus des hohen Rabbi Loew lag, da war der Collalto am Ende seiner Kräfte. Er stöhnte, taumelte, griff sich an die Brust und schrie mit schwacher Stimme um Hilfe.

Der hohe Babbi, der oben in der Stube über den heiligen und zaubergewaltigen Büchern saß, hörte diese Stimme, und er wußte, daß sie aus den Tiefen der Verzweiflung kam.

Er trat ans Fenster, beugte sich hinaus und fragte, wer da rufe und womit ihm geholfen sein könnte.

»Ein Jesusbild!« keuchte der Collalto mit seinem letzten Atem und dabei tanzte und taumelte er immer noch weiter, »um der Liebe Gottens willen, ein Jesusbild, oder es ist aus mit mir.«

Der hohe Babbi Loew umfaßte mit einem Blick die Fakkelträger und die Musikanten, den tanzenden Collalto, die beiden Lakeien mit den Terzerolen und den lachenden Baron, und mit diesem einen kurzen Blick war es ihm klar geworden, warum dieser Tanzende nach einem Jesusbild schrie, und daß ein Mensch aus Todesnot zu retten war.

Gegenüber, auf der anderen Seite der Gasse, war ein Haus durch Feuer zerstört, und nur eine einzige Mauer stand noch aufrecht, die war vom Alter und von Rauch geschwärzt. Und auf diese Mauer wies der hohe Rabbi mit seiner Hand. Auf dieser Mauer ließ er durch seine zauberische Kraft aus Mondlicht und Moder, aus Ruß und Regen, aus Moos und Mörtel ein Bild entstehen.

Es war ein »Ecce homo«. Aber es war nicht der Heiland, nicht der Gottessohn, auch nicht der Sohn des Zimmermanns, der aus dem galiläischen Gebirge in die heilige Stadt gekommen war, um das Volk zu lehren und für seine Lehre den Tod zu erleiden, — nein, es war ein »Ecce homo« von anderer Art. Doch solche Erhabenheit lag in seinen Zügen, so erschütternd war das Leiden, das aus seinem Antlitz sprach, daß der Baron mit seinem steinernem Herzen von einem Blitzschlag des Selbsterkennens getroffen wurde und als erster in die Knie sank. Und vor diesem »Ecce homo« klagte er sich an, daß er in dieser Nacht ohne Erbarmen und ohne die Furcht Gottes gewesen war.

Mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, der mir diese Geschichte wie viele andere aus dem alten Prag erzählt hatte, machte eine kurze Pause.

»Viel ist nicht mehr zu sagen«, beendete er dann seine Erzählung, »und was noch zu sagen wäre, ist nicht sehr wichtig. Es heißt, daß der junge Graf Collalto in seinem Leben nie wieder getanzt, und daß der Baron Juranic den Dienst quittiert hat, und mehr weiß ich nicht von ihnen. Der >Ecce homo< des hohen Rabbi Loew? Es war nicht Christus. Es war das Judentum, das durch die Jahrhunderte hindurch verfolgte und verhöhnte Judentum war es, das auf diesem Bild seine Leiden offenbart hat. Nein, geh nicht in die Judenstadt, du würdest es dort vergeblich suchen. Die Jahre, Wind und Wetter haben es zerstört, keine Spuren sind von ihm geblieben. Aber geh durch die Straßen, wo du willst, und wenn du einen alten jüdischen Hausierer siehst, der seinen Binkel von Haus zu Haus schleppt, und die Straßenjungen laufen hinter ihm her und rufen: >Jud! Jud!< und werfen mit Steinen nach ihm, und er bleibt stehen und sieht sie mit einem Blick an, der nicht der seine ist, der von seinen Ahnen und Urahnen herkommt, die wie er die Dornenkrone der Verachtung getragen und die Geißelhiebe der Verfolgung erduldet haben, — wenn du diesen Blick siehst, dann hast du vielleicht etwas, ein Kleines und Geringes, von dem >Ecce homo< des hohen Rabbi Loew gesehen.«