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Der Heinrich aus der Hölle

Rudolf II., Römischer Kaiser und König von Böhmen, hatte eine schlaflose und unruhvolle Nacht.

Schon gegen elf Uhr hatte seine Angst begonnen, die Angst vor etwas, dessen Kommen er vorhersah und das er nicht abwenden konnte, auch nicht, wenn er die Fenster und die Türe verriegelte. Er hatte sich von seinem Bett erhoben und ging, in seinen Mantel gehüllt, mit eiligen Schritten in der Schlafkammer auf und nieder. Bisweilen blieb er vor dem Fenster stehen und blickte hinaus, dorthin, wo hinter dem schimmernden Band des Flusses die Dächer und Giebel des Judenquartiers zu erkennen waren. Von dort war einst, vor Jahren, Nacht für Nacht, seine Liebste, die schöne Jüdin Esther, zu ihm gekommen. Das war vorüber seit jener Nacht, in der die Dämonen der Finsternis sie ihm aus den Armen gerissen hatten. Dort, in einem der Häuser des Judenquartiers, lag auch sein geheimer Schatz, sein verborgener Hort, das Gold und das Silber des Juden Meisl.

Die Geräusche, die aus dem Hirschgraben zu ihm drangen, das Rascheln des welken Laubs, das der Wind dahintrieb, das Schwirren der Nachtfalter, das Rauschen der Baumkronen, der nächtliche Gesang der Wasserfrösche und der Unken, — alle diese Geräusche verwirrten ihn und vermehrten seine Unruhe. Dann, gegen ein Uhr, kamen die Schreckbilder und die Nachtgespenster.

Es war halb zwei, als der Kaiser die Türe aufstieß und mit einem Stöhnen in seiner Stimme nach seinem Leibkammerdiener, dem Philipp Lang, rief.

In diesen Tagen aber war der Philipp Lang wie alljährlich auf seinem Gut in Melnik bei der Obsternte. Statt seiner kam der Kammerdiener Cervenka atemlos, die Nachtmütze schief auf dem Kopf, herbeigelaufen. Mit einem Leinentüchlein wischte er behutsam die Schweißtropfen von des Kaisers Stirn.

»Ich hab' Eure Majestät«, stieß er hervor, »oftmals treugehorsamst gemahnt, mehr auf höchstdero Gesundheit achtzuhaben, sich nicht der kalten Nachtluft auszusetzen. Aber auf einen alten Diener wird nicht gehört.«

»Lauf und hol den Adam Sternberg und den Hanniwald!« gebot ihm der Kaiser. »Ich hab' mit ihnen zu reden. Und lauf zum Colloredo, er soll mir starken Wein reichen, Rheinfall oder Malvasier, bin dessen bedürftig.«

Der Kaiser wußte genau, welcher von den drei Mundschenken und welcher von den elf Vorschneidern der kaiserlichen Tafel dem Turnus gemäß an jedem Tag der Woche den Dienst bei ihm zu versehen hatte. Aber er wußte nicht oder er hatte es vergessen, daß der Graf Colloredo etliche Wochen zuvor an einem Schlagfluß verstorben war und daß nun ein junger Graf Bubna das Amt eines zweiten Mundschenken bei Hof bekleidete.

Der Hanniwald, des Kaisers Geheimsekretär, tratzuerstin die Kammer. Er war ein langer, hagerer Mann mit scharfen Zügen und silberweißem Haare, der Cervenka hatte ihn noch bei der Arbeit angetroffen. Bald hernach kam der Oberststallmeister Graf Adam Sternberg im Nachtgewand und mit nur einem Pantoffel. Der Kaiser ging mit eiligen Schritten in der Kammer auf und nieder, der Mantel war ihm von den Schultern geglitten. Jetzt blieb er stehen. In seinen Zügen drückte sich Erregung, Ratlosigkeit und Übermüdung aus. Er holte Atem und wollte zu erzählen beginnen, was ihm in dieser Nacht und in den beiden vorangegangenen Nächten begegnet war, da wurde die Türe geöffnet und der Cervenkaließdenj ungen Grafen Bubna eintreten und hinter ihm einen Lakaien, der die Weinkannen trug.

Der Kaiser sah dem Bubna starr ins Gesicht, trat dann erschrocken einen Schritt zurück und fragte:

»Wer bist du? Was willst du? Wo ist der Colloredo?« »Eure Majestät geruhe sich zu erinnern«, sagte der Hanniwald, »daß der Graf Colloredo vor kurzem nach Gottes Ratschluß den Weg gegangen ist, den wir alle gehen müssen. Eure Majestät weiß es, war auch bei der Messe anwesend, die für Euer Majestät getreuen Diener in der Domkirche gehalten worden ist.«

»Und das«, nahm jetzt der Graf Sternberg das Wort, »ist sein Nachfolger im Amt, der Vojtech Bubna, Euer Majestät zu dienen. Guter Leute Kind, der Vojtech Bubna.«

»Er sieht aber dem Bernhard Rußwurm gleich«, sagte der Kaiser, und er trat, indem er abwehrend seinen Arm erhob, wiederum einen Schritt zurück. »Ist es nicht zum Erschrecken, wie er dem Rußwurm gleichsieht?«

Der Kaiser fürchtete sich bisweilen vor neuen Gesichtern. Sie beunruhigten ihn. Er glaubte in ihnen die Züge längst Verstorbener zu erkennen, von denen er sich verfolgt wähnte. Den General von Rußwurm hatte er vor vielen Jahren als einen Duellanten gefangensetzen und erschießen lassen, und diese Tat, die er im Jähzorn begangen hatte, lastete schwer auf seiner Seele. Aus jedem neuen Gesicht blickte ihn der Rußwurm feindselig und voll Hohn an, er kam immer wieder aus seinem Grabe, um ihn zu bedrohen.

»Dem Rußwurm? Ach wo!« sagte der Adam Sternberg leichthin. »Der Rußwurm war von kleiner Statur, hatte eine breite Nase und ein fleischiges Kinn. Ich sag' es Euer Majestät, ich kenne den Vojtech Bubna seit den Tagen, da ihm das Hemd aus dem Hosenlatz hing.«

»Er sieht aber dennoch dem Bernhard Rußwurm gleich«, rief der Kaiser, und die Zähne schlugen ihm aneinander. »Wer bist du? Woher kommst du? Kommst du aus der Hölle?«

»Euer Majestät zu dienen, — ich komm' aus Prastice. Das ist unser Gütlein, liegt bei Chotebor im Caslauer Kreis«, erklärte der junge Graf Bubna, der nicht begriff, was da vorging und warum ihn der Kaiser so hart anfuhr.

»Wenn du nicht ein verlogener Geist bist«, sagte der Kaiser, »so bet ein Paternoster, nenn mir die Namen der zwölf Apostel Christi und zähl mir die Artikel des Glaubens auf!«

Der junge Bubna warf einen bestürzten und fragenden Blick auf den Grafen Sternberg, der aber nickte eifrig mit dem Kopf, und so betete er ein Paternoster, sagte die Namen der zwölf Apostel her, wobei er den Apostel Thaddäus vergaß, dafür aber St. Philppum zweimal nannte, und dann zählte er die Artikel des Glaubens auf, und wo er stecken blieb und nicht weiter wußte, da half ihm der Kammerdiener Cervenka, der hinter ihm stand, mit einem geflüsterten Wort aus der Not.

Nach dem zweiten Glaubensartikel gab sich der Kaiser zufrieden.

»Es ist gut. Es ist gut«, meinte er. »Du hast recht, Adam, ich habe mich getäuscht, er sieht dem Bernhard Bußwurm nicht gleich. Er mag in Frieden ruhen, der Rußwurm, ich hab' ihm längst vergeben.«

Der Cervenka war hinter ihn getreten und legte ihm den Mantel um die Schulter. Der Kaiser nahm die Weinkanne aus den Händen des jungen Bubna und leerte sie.

»Lustig! Lustig!« sagte er sodann. »Es geht sonderbar zu hier auf der Burg. Heut nacht war wiederum einer bei mir in der Kammer und hat mich geplagt.«

»Wer war bei Eurer Majestät heute nacht?« fragte der Hanniwald, wiewohl er des Kaisers Antwort im vorhinein wußte.

»Einer von seinen Boten«, sagte der Kaiser, der den Teufel nicht gern beim Namen nannte, mit einem leisen Stöhnen.

»Und wiederum in eines Gewürzkrämers Gestalt?« fragte der Hanniwald, und dabei strich er sich sein silberweißes Haar zurecht.

»Nein, nicht in eines Menschen Gestalt«, erwiderte der Kaiser. »Es ist jetzt zwei Tage her, da kamen sie zum erstenmal, seine Boten, sie kamen zu dritt in der Nacht in einer Krähe, eines Kuckucks und einer Hummel Gestalt. Sie schrien aber nicht, wie diese Vögel zu schreien pflegen, sondern sie sprachen mit Menschenstimmen zu mir und plagten mich.«