Dem Kaiser schien dieses Eingeständnis eine Art Vergnügen zu bereiten.
»Ist gut. Ist gut«, unterbrach er ihn. »Nur brav Schulden gemacht! Nur tapfer zum Juden gelaufen! Ist gut. Ist gut.«
Jetzt trat der Kammerdiener Cervenka langsamen Schritts und mit steifer Würde auf den Kaiser zu.
»Eure Majestät!« sagte er. »Es ist mein pflichtheischendes Ersuchen und treugehorsamstes Bitten, daß sich Eure Majestät nunmehr allergnädigst zu Bett begeb'.«
»Die außerordentlichen Dinge«, schrieb einmal der spanische Gesandte seinem König, »sind am Prager Hof die alltäglichen und gewöhnlichsten.«
Zu den außerordentlichen Dingen, die in Prag nur wenig Aufsehen erregten, gehörte der feierliche Aufzug eines kaiserlich-marokkanischen Gesandten, der sich, zwei Tage nach jenem nächtlichen Begebnis, beim Schall der Fagotten, Cornetten, Schalmeien und Kesselpauken vom Haus »Zum Resedenstock«, wo der Gesandte mit seinem Gefolge abgestiegen war, durch die Gassen der Kleinseite und den Hradschin hinauf zur Prager Burg bewegte.
Dieser Gesandte hatte in Venedig Verhandlungen eingeleitet, die die Lieferung von Schiffsgeschützen, Kriegsmunition, Pulver und Tauwerk für die marokkanische Flotte zum Ziele hatten, und war von Venedig nach Prag gekommen, um Rudolf II. ein Begrüßungs-, Ehrerbietungs- und Freundschaftsbezeigungs-Schreiben seines Souveräns zu überreichen, denn dieser hoffte durch Vermittlung des Römischen Kaisers in ein besseres Verhältnis zur spanischen Krone zu gelangen, die ihm durch Unterbindung seines Seehandels Schaden und Abbruch tat.
Auf seiner Fahrt nach Venedig war der Gesandte in Liza Fusina von zwölf in Seide und Scharlach gekleideten venezianischen Edelleuten erwartet worden, die ihm den Willkommensgruß entboten. Er war in eine Gondel gestiegen, die mit Stickereien überdeckt war, und schöne Teppiche waren ausgespannt, auf denen man sich niederließ. Bei den Klängen eines Saitenspiels war er unter einem strahlend blauen Himmel dahingeglitten, das Meer war seicht und ruhig, und in der klaren Flut konnte man Fische aller Art sehen. Dann war vor seinen Augen die Stadt aus dem Wasser aufgetaucht mit ihren Palästen, Klöstern und Glockentürmen. Vor der Kirche St. Andrea hatten ihn wiederum zwölf Edelleute erwartet. Er war in ein anderes, flaches, aber geräumiges Fahrzeug gestiegen, das sie den Bucentoro hießen, und unter einem Sonnendach von karmesinroten Atlas war er die breite Wasserstraße, den canale grande, dahingefahren. Sehr groß und hoch standen hier die Häuser, aus Stein und buntbemalt die einen, aus weißem Marmor die anderen. Am ersten Tag hatte man ihm den Schatz von St. Marco gezeigt, vierzehn Edelsteine, jeder achthundert Karat im Gewicht, und viel goldenen Tand, aber auch Gefäße aus Hyazinth und Amethyst, ja sogar ein Fläschchen, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. Er hatte auch das Arsenal gesehen, in dem die Venezianer alles herstellten, was für eine Kriegsflotte erforderlich war. Am nächsten Morgen hatte man ihn mit großem Gepränge in die Signoria geführt, und er hatte dem Dogen seine Briefe überreicht.
Paläste und goldene Kuppeln, leises Dahingleiten unter unhörbaren Ruderschlägen, Saitenspiel und blauer Himmel, — das war Venedig, eine triumphierende Stadt, die mit großer Weisheit regiert wurde und ihre Gäste zu ehren verstand.
Hier in Prag war ihm nur wenig Ehre zuteil geworden. Als Quartier hatte man ihm ein Haus mit feuchten, kahlen Wänden zugewiesen, dessen enge und dumpfe Stuben nur dürftig eingerichtet waren. In dieses Quartier war ein Diener oder Sekretär des Kanzlers von Böhmen gekommen, um ihm Tag und Stunde der ihm vom Kaiser bewilligten Audienz anzuzeigen und ihn mit dem Zeremoniell bekannt zu machen, das für Audienzen dieser Art in Übung war. Und jetzt geleiteten zwei kaiserliche Kammerherren, die ohne jeden Prunk gekleidet und nur mäßig gut beritten waren, ihn und sein Gefolge hinauf zur Burg.
Vor dem Burgtor empfing ihn ein Hauptmann der Hellebardiere und führte ihn über den inneren Burghof und eine breite Treppe hinauf und dann durch etliche Korridore in ein Kabinett, in dem der böhmische Kanzler, Herr Zdenko von Lobkowitz, und der Oberstkämmerer Graf Nostiz ihn erwarteten. Ein Mönch vom Orden der geringen Brüder, der aller afrikanischen Sprachen kundig war, machte den Dolmetsch.
Die beiden großen Herren und der gelehrte Mönch geleiteten den Gesandten und sein Gefolge von Mamelukken, Läufern, Aufwärtern und Musikanten in den Audienzsaal.
In der Mitte des Saales stand ein Thronsessel unter einem Baldachin. Teppiche, die auf dem Boden lagen, machten die Schritte unhörbar, Teppiche, die an den Wänden hingen, zeigten mythologische und Jagdszenen. Für den Gesandten waren Kissen und ein Taburett bereitgestellt. Sein dunkler Bart hob sich scharf von seinem weißen seidenen Gewände ab.
Hinter dem Gesandten nahmen drei seiner Mamelukken Aufstellung. Der vornehmste unter ihnen, ein alter Mann, dem ein Auge fehlte, trug in einer krystallenen Schale, die mit einem goldgestickten Schleier bedeckt war, das Handschreiben des Beherrschers von Marokko.
Die Musikanten waren in den Hintergrund verwiesen worden. Der Saal füllte sich mit Würdenträgern, Hofbediensteten und Offizieren der Leibwache. Der Obersthofmarschall, Herr Karl von Lichtenstein, zeigte sich für eine kurze Weile. Er schien mit den getroffenen Anordnungen zufrieden zu sein. Er grüßte und dankte nach allen Seiten und verschwand.
Ein kurzer Trommelwirbel. Eine Tür sprang auf und hinter dem Zeremonienmeister, der dreimal seinen Stab zu Boden stieß, trat der Kaiser mit raschen Schritten und lebhaft umherblickend in den Audienzsaal.
Er lüftete den Hut. Die Würdenträger und die Hofbediensteten richteten sich aus ihren tiefen Verbeugungen auf. Die Offiziere der Leibwache standen unbeweglich wie Bildsäulen. Auf ein Zeichen des Zeremonienmeisters trat nun der Kanzler von Böhmen vor und präsentierte Seiner Majestät den Gesandten des Kaisers von Marokko.
Der Gesandte senkte den Kopf, legt die rechte Hand an seinen Turban und machte dem Kaiser die drei vorgeschriebenen feierlichen Verbeugungen. Dann trat er einen Schritt zurück und nahm aus der krystallenen Schale das Handschreiben seines Souveräns. Er drückte es an seine Lippen und übergab es dem Kanzler von Böhmen, der es dem Kaiser überreichte. Der Kaiser brach die Siegel und entfaltete das Schreiben. Dann legte er es in die Hände des böhmischen Kanzlers zurück, der es nunmehr dem Dolmetsch zur Verlesung übergab.
In diesem Augenblick setzten die Fagotten, die Cornetten, die Schalmeien und die Kesselpauke mit einer kurzen und lärmenden Musik ein. Einer von den Mamelucken machte Tanzbewegungen und stieß langgezogene Rufe aus, - ein Gehaben, das im Zeremoniell nicht vorgesehen gewesen war. Dann trat Stille ein, und der gelehrte Mönch begann mit der Verlesung:
»Ich, Muley Mehemed, aus göttlichem Willen ein gewaltiger Gebieter und Kaiser im occidentischen Afrika diesseits und jenseits des Atlasgebirges, in Fez, Zagora und Tremissa König, Herr über Mauretanien und die Berberei, entbiete meinem Bruder, dem Römischen Kaiser und König von Böhmen, meinen Gruß und wünsche ihm ...«
»Es ist der Heinrich«, sagte plötzlich der Kaiser, der den
Gesandten unverwandt angesehen hatte.
»... und wünsche ihm«, fuhr der Dolmetsch nach einem
kurzen Augenblick der Verwirrung fort, »ein langes Leben
und die rechte Erkenntnis Gottes, die allein...« »Frag diesen dort«, unterbrach ihn der Kaiser, und er
wies dabei auf den Gesandten, »ob er glaubt und bekennt,
daß Jesus Christus zu unserer Erlösung in das Fleisch ge-
kommen ist.«
»... die allein die Tore des Paradieses öffnet, daß er ewig
darin wohne ...«
»Du sollst ihn fragen«, rief der Kaiser jetzt mit überlauter
Stimme, »ob er glaubt und bekennt, daß Jesus Christus in
das Fleisch gekommen ist.«