Unter den Anwesenden erhob sich ein Flüstern. Der
Oberstkämmerer und der Kanzler von Böhmen traten auf
den Kaiser zu, um ihn zu beschwichtigen. Der gelehrte
Mönch ließ das Handschreiben sinken und wandte sich
mit einigen Worten an den Gesandten.
Der Gesandte blickte einen Augenblick lang schweigend
vor sich hin. Dann machte er eine Handbewegung, als ob
er die Frage, die an ihn gerichtet worden war, als eine, die
ihn nicht zu bekümmern habe, von sich wiese.
»Er will nicht bekennen«, rief der Kaiser. »So heiß ihn
die Artikel des Glaubens hersagen.«
Der Dolmetsch übermittelte dem Gesandten das Begehren des Kaisers. Der Gesandte deutete durch eine Kopfbewegung an, daß er außerstande sei, dieses Begehren zu erfüllen.
»Es ist der Heinrich«, sagte jetzt der Kaiser kurz und entschieden. »O Jammer über Jammer! Es ist der Heinrich,
und er kommt aus der Hölle.«
Der böhmische Kanzler, der Oberstkämmerer und der Zeremonienmeister erkannten jetzt, daß der Kaiser den marokkanischen Gesandten für einen gewissen Heinrich Twaroch
hielt, der vor vielen Jahren als Futterkencht in den kaiserlichen Stallungen beschäftigt gewesen war, und sie waren sich
einig darüber, daß man der Audienz so rasch, als es ginge, ein
Ende bereiten müsse. Denn der Irrtum, dem der Kaiser allem
Anschein nach verfallen war, wirkte um so peinlicher, als
dieser Heinrich Twaroch nicht nur von sehr geringer Herkunft gewesen war, — er war auch des Diebstahls überwiesen
und gefänglich eingezogen worden, denn er hatte dem Kaiser, der ein großer Liebhaber von alten Münzen und Medaillen war und eine schöne Collection von ihnen zusammengebracht hatte, drei römische Goldmünzen und eine silberne
Medaille aus der Tasche gezogen. Und dafür wäre er gehängt
worden, wenn es ihm nicht gelungen wäre, das Fenstergitter
zu durchfeilen und so in letzter Stunde aus dem Gefängnis zu
entkommen. Daß er dem Galgen entwischt war, hatte man
dem Kaiser, der über den an ihm begangenen Diebstahl sehr
aufgebracht gewesen war, verschwiegen.
Aber bevor der böhmische Kanzler und die beiden anderen großen Herren noch etwas tun konnten, um den befürchteten Eclat zu verhindern, hatte sich der Kaiser von seinem Thronsessel erhoben und war auf den Gesandten zugetreten.
»Höre, Heinrich!« sagte er mit einer Stimme, in der Kummer, unterdrückte Furcht und verhaltenes Grauen klang. »Ich weiß, aus welchem Reich du kommst und was du von mir zu hören begehrst.«
Der böhmische Kanzler, der Oberstkämmerer und der Zeremonienmeister atmeten erleichtert auf, und alle die anderen vom Hof, die anwesend waren, machten erstaunte Gesichter und steckten die Köpfe zusammen. Denn der Kaiser hatte den marokkanischen Gesandten in böhmischer Sprache angeredet.
»Ich will dir auch meine Antwort nicht versagen«, fuhr der Kaiser mit erhobener Stimme fort. »Geh zurück zu dem, der dich gesendet hat, und sag ihm, daß ich mich nicht eines Fingers breit von dem Herrn Jesus, der uns erlöst hat, hinwegbegeben werde. Und dieses ist mein Vorhaben und dabei will ich verharren, sollt' auch mein Kaisertum und alle meine Macht darüber zugrunde gehen.« Er hielt erschöpft inne, seine Hände zitterten, Schweißtropfen waren auf seine Stirne getreten. Der Gesandte stand leicht nach vorn geneigt, regungslos, die Arme über der Brust gekreuzt.
»Du hast mir«, sprach der Kaiser mit gedämpfter Stimme weiter, als wäre das, was er noch zu sagen hatte, nur für diesen einen, der vor ihm stand, bestimmt, »dereinst, als ich in den Stall kam, um mir die flandrischen Hengste zu besehen, als Dieb, der du warst, aus meiner Tasche drei von meinen goldenen Heidenköpfchen entwendet, hast sie verkauft und den Erlös vertrunken, dafür hast du elend dahinfahren müssen, hast es gebüßt. Ich hab' dir's vergeben und will Gott bitten, daß er dir gnädig sei. Und jetzt gib Frieden, Heinrich! Gib Frieden, geh hinweg von hier, geh an den Ort, den Gott dir zubereitet hat!«
Der Kaiser trat zwei Schritte zurück, blieb stehen, sah
den Gesandten oder Boten des Teufels nochmals an und
schlug wie zu einem Abschied mit zwei Fingern seiner
Hand das Zeichen des Kreuzes. Dann wandte er sich und
ging zur Tür hinaus. Der Zeremonienmeister, der wie in
einer Erstarrung dagestanden war, schien zu erwachen
und stieß seinen Stab dreimal zu Boden. Die Trommeln
wirbelten, die Türe schloß sich, die Audienz war beendet
und Herr Zdenko von Lobkowitz, der Kanzler von Böhmen, sandte ein Dankgebet zum Himmel, daß die Sache so
glimpflich abgelaufen war.
Am Abend dieses Tages, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, verließ der Gesandte durch ein Hinterpförtchen das Haus »Zum Resedenstock«. Er war wie ein böhmischer Handwerksmann, wenn er am Abend ins Wirtshaus geht, gekleidet, trug einen Rock aus dickem Tuch, grauwollene Strümpfe, derbe Schuhe und einen breiten Filzhut.
Er ging durch die untere und obere Neustadt zu den Weinbergen, die außerhalb des Stadtgebietes lagen, und weiter auf der Landstraße und dann auf einem Feldweg den Bottic-Bach entlang, bis er zu den Flachsfeldern und den Obstgärten gelangte, die das Dörfchen Nusle umgaben.
Hier stand ein Häuschen inmitten eines Gartens, in dem Kohlrüben, Zwiebeln und Runkelrüben gezogen wurden. Auf der Umrandung eines Ziehbrunnens schlief eine Katze. Es roch nach Kuhmist und nach feuchter Erde.
In dieses Häuschen trat der Gestandte des Kaisers von Marokko ein.
Der Gärtner, ein kahlköpfiger alter Mann, saß neben dem Herd und blickte auf die Milchsuppe, die über dem Herdfeuer brodelte. Er stand nicht auf. Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn und nickte dem Besucher zu.
»Da bist du wieder«, sagte er. »Du kommst immer wie der Nicodemus in der Nacht.«
»Ich war heut in der Burg«, berichtete der Besucher und sah sich nach einem Stuhl um.
»Das war recht unvorsichtig von dir«, meinte der Gärtner. »Es hätte schlimm für dich ausgehen können.«
»Wer dient, der muß solche und auch noch gefährlichere Dinge wagen, wenn sein Herr es befiehlt«, erklärte der Besucher.
»Nun, du bist heil zurückgekommen«, sagte der alte Mann. »Du hast immer Glück gehabt. Wenn man dich in den Fluß wirft, kommst du mit einem Fisch im Maul zurück.«
Er stellte die Milchsuppe auf den Tisch und holte einen halben Brotlaib aus dem Kasten. Sie begannen zu essen.
»Nur daß du drüben in Afrika ein gar so großer Herr geworden bist, das sollst du mir nicht aufbinden. Daß dein Mohrenkaiser kommt, um dich um Rat zu fragen«, sagte der alte Mann und schob eine Brotschnitte, die er in die Milchsuppe getaucht hatte, in seinen Mund.
»Es ist so«, erwiderte der Gesandte. »Ich steh' meinem Gebieter so nahe wie Petrus dem Herrn.«
»Und daß dich in Vendig der Herzog, der dort regiert, elf Tage lang auf seine Kosten bewirten ließ, das mach mir auch nicht weis.«
»Es ist aber die Wahrheit«, beteuerte der Besucher. »Nur, was ich dort den Trompetern und Trommelschlägern, den Türhütern, den Lakaien, den Läufern und den Ruderknechten spendieren mußte, davon könnt' einer hier in Prag ein halbes Jahr lang leben.«
»Und deine hundert Sklaven und Diener und deine ich weiß nicht wieviel Frauen, — die soll ich dir glauben?« fuhr der alte Mann streitsüchtig fort. »Freilich, — etliche Frauen hab' ich auch gehabt, ich hatte aber nur Verdruß mit ihnen, denn hier in der Bottic-Gegend taugen die Weiber alle nichts. Wenn ich mir wieder eine nehme, dann will ich mir sie von weiterher holen, aus fremden Gegenden, aus Michle oder aus Jessenitz. Aber daß du den wahren Glauben verlassen hast und ein Türke geworden bist, das war nicht recht von dir und gefällt mir gar nicht. Mit der ewigen Seligkeit ist es für dich Essig.«