Aber das war nicht alles. Während seiner Abwesenheit war in einem von den Zimmern, die er in der Prager Burg bewohnte, ein Brand entstanden, der hatte ihm seinen schönsten flandrischen Teppich, ein Geschenk des spanischen Königs, verdorben. Auch war sein Lieblingshund, ein kleines spanisches Windspiel, »Graumännlein« genannt, aus der Burg entlaufen und trotz allem Suchen nicht wiedergefunden worden.
Der junge Erzherzog wußte wohl, woher all dies Mißgeschick über ihn kam. Er durfte den entwendeten Teder nicht länger behalten, er mußte ihn in die Hände des Mannes gelangen lassen, für den er bestimmt war.
Einer von den beiden Leibärzten des Kaisers war ein getaufter Jude, der aus Candia in Griechenland auf die Prager Burg berufen worden war. Der kannte alle Judengemeinden in der Levante, in Italien und Deutschland, stand auch trotz der an ihm vollzogenen Taufe mit den Prager Juden in Relation. Den fragte der junge Erzherzog nach dem Mordechäus Meisl.
Der Arzt strich sich den Bart und dachte lange nach. Dann fragte er, wo dieser Jude lebe und von welchem Handel oder Gewerbe er sich nähre.
»Ich mein', er ist ein großer Zauberer und Alchimist, hat in der unsichtbaren Welt auch große Gewalt, lebt hier im Land«, sagte der Sohn des Kaisers.
Der Arzt schüttelte den Kopf. Er kannte keinen Mordechäus Meisl, hatte diesen Namen auch nie gehört.
Nun entsandte der junge Erzherzog zwei seiner Diener ins Judenquartier, die sollten nach dem Mordechäus Meisl Umfrage halten. Sie kamen zurück, hatten nichts erfahren. Einer von ihnen hatte ein Übriges getan und war bei des Kaisers Fiskalen und Pfennigschreibern gewesen, die alle Steuern und Abgaben der Prager Juden in ihren Büchern vermerkten. Aber auch die wußten nichts von einem Mordechäus Meisl.
Da nun der Sohn des Kaisers den Mordechäus Meisl nicht aufzufinden vermochte, entschloß er sich, ein Spiel mit der Vorsehung zu wagen und die Macht der Bestimmung auf eine Probe zu stellen.
Durch ein fast immer verschlossenes Pförtchen, zu dem er sich den Schlüssel verschafft hatte, verließ er eines Abends ungesehen die Burg und ging den Hradschin hinunter und auf die steinerne Brücke, dort stand er eine Weile und blickte den Fluß hinab, und dann beugte er sich über die Brüstung und ließ den Taler aus seiner Hand gleiten.
Er meinte, der werde nun für immer in den Wellen verschwinden, aber just in diesem Augenblick kam unter dem Brückenbogen ein kleines Fischerboot hervor, und der Mann, der darin saß, ließ das Ruder fahren, griff sich an den Kopf und begann wild zu fluchen, denn er glaubte, irgendwer habe mit einem Stein nach ihm geworfen. Dann fiel sein Blick auf den Taler, der im Lichtkegel der Bootslaterne zu seinen Füßen lag.
»Das hat die göttliche Providenz getan«, flüstere der Sohn des Kaisers und legte die Hand an sein Herz, das heftig pochte. Er wußte, daß der Taler nun seinen Weg angetreten hatte, und vielleicht mußte er durch vieler Menschen Hände gehen, ehe er an sein Ziel gelangte. Und er mußte ihm auf diesem Wege folgen, denn sonst fand er seine Ruhe nicht wieder, und den Mann im Boot durfte er nicht aus den Augen verlieren.
Der Mann im Boot hatte inzwischen den Taler aufgehoben. Er besah ihn umständlich, dann machte er ein paar Ruderschläge, besah ihn von neuem, warf ihn zu Roden, um am Klang seine Echtheit zu prüfen, hob ihn wieder auf und ließ ihn, nachdem er sich nach allen Seiten umgeblickt hatte, in der Tasche seines Mantels verschwinden.
Der junge Erzherzog ging nun eilig die Brücke hinab und über den Kreuzherrnplatz und dann am Moldauufer weiter, und gleich hinter der Mühle fand er seinen Mann. Der hatte das Boot an einen Pflock gekettet und unter der Ruderbank einen Eimer mit Fischen hervorgeholt, und mit dem Eimer in der einen und der Bootslaterne in der anderen Hand ging er langsam die Bethlehemgasse hinauf. Vor einem kleinen Hause, dessen Seitenfront an einen Garten stieß, blieb er stehen, stellte die Laterne auf die Erde und wollte eben den Klopfer an der Haustür in Bewegung setzen, als aus dem Schatten der Gartenmauer ein Mann hervortrat und ihn am Arm faßte.
»Was trägtst du da? Fische?« fragte er kurz und in einer herrischen Manier, und dann sagte er wie einer, der gewohnt ist, daß man seine Wünsche für Befehle nimmt:
»Ich brauche deinen Mantel, deinen Hut und diesen Eimer da mit den Fischen.«
»Geh der Herr zum Teufel und mich lasse er in Frieden!« brummte der Fischer ganz verdutzt und machte seinen Arm los.
Statt aber zum Teufel zu gehen, griff der Herr in die Tasche, holte etliches Geld hervor und drückte es dem Fischer in die Hand. Der besah sich beim Schein der Laterne, was er da bekommen hatte. Dann sagte er mit einem vergnügten Lachen:
»Euer Gnaden, noch einen Dukaten und ich will Euer Gnaden auch meinen Rock, mein Hemd und meine Hosen geben, wenn es Euer Gnaden Spaß macht, und nach Hause gehen, so wie mich Gott erschaffen hat.«
Er übergab dem Fremden seinen Mantel, der schlecht und abgenützt war und dazu noch erbärmlich nach Fischen roch, seinen Hut, der nur noch aus einer breiten Krempe bestand, und den Eimer mit den Fischen. Dann nahm er seine Laterne, wünschte dem Herrn Gesundheit nebst allem Wohlergehen und verschwand hinter der nächsten Ecke. In seiner Freude über das empfangene Geld hatte er nicht an den Taler gedacht, der in der Tasche seines Mantels verblieben war.
Der Fremde hing sich den Mantel um, zog das, was von dem Hut vorhanden war, tief in seine Stirne, griff nach dem Eimer und klopfte an die Tür. Der Dienstmagd, die ihm öffnete, sagte er, er brächte die bestellten Fische.
Sie ließ ihn eintreten, und er ging mit ihr die Treppe hinauf, und oben stand eine recht hübsche junge Frau, die hielt sich ein Tüchlein vor die Nase, als sie den vermeintlichen Fischer kommen sah. Der bog die Hutkrempe ein wenig nach oben und blinzelte der Dame zu, und sie erkannte ihren Liebhaber, der sich auf diese Art Eintritt in ihr Haus verschafft hatte, ohne daß das Gesinde etwas merkte.
Die junge Frau schickte die Magd sogleich mit den Fischen in die Küche, und wie sie nun miteinander allein waren, flüsterte er ihr zu, er habe seit Tagen an nichts anderes gedacht, als wie er zu ihr gelangen könne, aber, verdammt der Fischhändler, sein Mantel rieche so übel, daß es nicht zu ertragen sei, — und sie drückte und preßte seine Hand und zog ihn mit sich in die Schlafkammer, und sie verbrachten die Nacht miteinander.
Der junge Erzherzog hatte mit angesehen, wie der Mantel und mit ihm der Taler in andere Hände übergingen, er hatte dann den Mantel im Haus verschwinden sehen, und nun wartete er darauf, daß er wieder zum Vorschein käme. Er ging auf und nieder, auf und nieder, er wurde müde, und die Stunden schlichen so langsam dahin.
Gegen Morgen, als es zu dämmern begann, sah er den neuen Besitzer des Mantels, der sich mit den Beinen voran aus einem Fenster schwang, dann mit beiden Händen den dicken Ast eines Birnbaums ergriff und von Ast zu Ast sich schwingend sich hinabließ, bis er zuletzt wie eine reife Birne auf den Rasen fiel. Für einen Augenblick zeigte sich eine junge Frau im Nachtgewand am Fenster und warf dem Besitzer des Mantels eine Kußhand und den Mantel nach. Die Kußhand erreichte ihr Ziel. Der Mantel verfing sich in den Zweigen des Birnbaums. Der Besitzer des Mantels richtete sich auf, erklomm mit ziemlicher Anstrengung die Gartenmauer und sprang nach einigem Zögern und Uberlegen hinab. Unten angelangt rieb er sich sein Knie und tastete nach seinen Knöcheln, und dann machte er sich, einen Fuß leicht nachziehend, rasch davon. Der Mantel blieb im Geäst des Birnbaums hängen, roch übel und bauschte sich im Wind.
Der junge Erzherzog zweifelte nicht daran, daß der Mantel bald wieder einen neuen Herrn finden werde, und wirklich, nicht lange hernach kam ein mit Weinfässern schwer beladener Wagen daher gefahren. Als der Fuhrmann den Mantel im Geäste des Birnbaums hängen sah, fuhr er ganz dicht an die Gartenmauer heran, hielt an und holte ihn mit seinem Peitschenstiel herunter. Dann warf er ihn hinter sich auf die Weinfässer und fuhr weiter, und der Sohn des Kaisers folgte dem Wagen nach.