Er hatte nicht gar lang zu gehen. Vor einer Herberge auf dem Kleinen Ringplatz blieb der Wagen stehen, die Weinfässer wurden mit viel Lärmen abgeladen, die Pferde in den Stall geführt, der Wagen kam in den Schuppen. Der Fuhrmann nahm den Mantel und ging hinüber ins Judenquartier, und in der Breiten Gasse, die aber auch nur ein enges, wenngleich sehr belebtes Gäßlein war, trat er in den Laden eines Altkleiderhändlers.
Der Juden fremdartige Gesichter und absonderliche Gebärden, ihr geschäftiges Treiben, und daß er da, von der Menge hin und her gestoßen, vor einem Trödelladen stand, das alles erschien dem Sohn des Kaisers wie ein wirrer Traum. Oben auf der Burg hatte man sein Verschwinden sicherlich schon entdeckt, und nun war alles in Bewegung, um ihn aufzufinden, aber hier im Judenquartier suchte ihn keiner. Er verfluchte die Stunde, in der er, nur von seinem Vorwitz beraten, den Taler an sich genommen hatte. Er war übernächtig, müde, hungrig, — es war ihm elend zumut'. Aber er durfte nicht fort, er mußte bleiben und sehen, wohin der Taler lief.
In einer wandernden Garküche, deren es viele in den Judengassen gab, kaufte er sich ein gesottenes Ei, einen Apfel und ein Stücklein Brot. In der lärmenden Gasse wollte er nicht länger stehen und warten, und so trat er in den Trödelladen ein.
Der Altkleiderhändler, der den Mantel in der Hand hielt, indes der Fuhrmann auf ihn einsprach, warf einen Blick auf den Neueingetretenen, und mit diesem einen Blick hatte er den Wert seines Hutes, seiner Halskrause, seiner Kleider und ihres Aufputzes und seiner Schuhe abgeschätzt und zugleich festgestellt, daß dieser Besucher seines Ladens nicht um zu kaufen oder zu verkaufen gekommen war, sondern aus einem anderen, noch nicht ersichtlichen Grund. Und er fragte ihn, womit er ihm zu Diensten sein könnte.
Der junge Erzherzog erbat sich die Gunst, hier im Laden ein wenig zu rasten und sein Frühstück verzehren zu dürfen. Er sei, sagte er, die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und habe noch einen weiten Weg vor sich. Dann ließ er sich, nachdem er ein Paar Schuhe und einen Gürtel beiseite geschoben hatte, auf eine Bank, die an der Wand stand, nieder und zog das Ei und das Brot hervor. Der Altkleiderhändler wandte sich wieder dem Mantel und dem Fuhrmann zu.
»Was soll ich mit ihm?« fragte er, und dabei drehte und wendete er den Mantel hin und her und deutete mit dem Finger auf die Flicken und Löcher. »Ich hab' den Laden voll von solcher Ware, die nicht abzusetzen ist.«
»Aber zwölf Pfennige ist er dennoch wert«, meinte der Fuhrmann. »Einen Mantel braucht jeder, und wenn das Geld zu einem neuen nicht reicht, so kauft er einen alten.«
»Aber nicht solch einen«, wendete der Altkleiderhändler ein. »Solch einen kauft keiner, heute, wo auch die Schreiner und die Bürstenbinder gefütterte Mäntel mit geschlitzten Armein tragen wie die Edelleute.«
»Zwölf Pfennige ist er dennoch wert«, redete ihm der Fuhrmann zu. »Mögen ihn auch die Bürstenbinder und die Edelleute nicht kaufen, so kauft ihn doch der geringe Mann.«
Der Altkleiderhändler begann mit kummervoller Miene von neuem den Mantel hin und her zu wenden.
»Er taugt nicht zu Kidusch und nicht zu Hawdolo«, erklärt er, und damit wollte er in der Juden Redeweise sagen, daß der Mantel zu gar nichts nütze sei. »Er ist wert ein ausgeblasenes Ei. Er ist eines Fischers Mantel, und der Fischgeruch ist nicht aus ihm herauszubringen.«
»Er mag eines Fischers Mantel sein«, gab der Fuhrmann zu, »ist aber dennoch« — er überlegte ein wenig — »zehn Pfennige wert.«
»Acht Pfennige, Euer Gestrengen!« sagte jetzt der Trödler und zählte ihm das Geld auf den Tisch. »Acht Pfennige, ich verliere bei dem Handel. Aber weil Ihr es seid und weil es das erste Geschäft ist, das ich heute mache, und damit Ihr ein andermal wiederkommt.«
Der Fuhrmann strich nach einigem Murren und Zögern die acht Pfennige ein und stampfte zur Tür hinaus.
Der junge Erzherzog, der auf der Bank saß und das Brot und das Ei verzehrte, war sehr zufrieden, daß der Handel so ausgegangen war, denn er hatte befürchtet, der Fuhrmann werde das Geld zurückweisen und mit dem Mantel davongehen, und dann wäre es aus mit seiner Rast gewesen, und er hätte, so müde er auch war, dem Taler in des Mantels Tasche noch weiter folgen müssen.
Der Händler warf den Mantel zu einem Haufen alter Kleider, der in einem Winkel lag. Der j unge Erzherzog holte ein Messerchen aus der Tasche hervor und begann seinen Apfel zu schälen. Und während er damit beschäftigt war, kam ein Mann, allem Anschein nach ein Schreiber, in den Laden und begehrte einen schwarzen Tuchrock mit Messingknöpfen und gepufften Ärmeln zu kaufen. Der Trödler holte etliche solche Röcke von den Schrägen und pries sie dem Schreiber an, doch dem war keiner recht, der eine war zu lang, der andere zu eng, bei diesem war das Tuch zu grob, bei jenem der Preis zu hoch, und nach vielem Hin- und Herreden und nachdem der Trödler in seinem Eifer so weit gegangen war, zu beschwören, der Herr Oberstburggraf selbst trüge, wenn er in die Altstadt käme, keinen Rock von auch nur halb so feinem Tuch, verließ der Schreiber den Laden, ohne daß sie handelseins geworden wären.
»Ihr treibt da, scheint es, ein recht mißliches Gewerbe«, bemerkte der junge Erzherzog und biß in seinen Apfel.
»Ein mißliches Gewerbe. Das ist das rechte Wort«, stimmte ihm der Altkleiderhändler bei. »Und voll Sorgen und Plage. Auf zwölf, die feilschen, kommt einer, der kauft. Viel Schaden tun uns auch die Händler, die ohne Schrägen an den Markttagen vom Arm weg die Ware verkaufen, die verderben die Preise. Auch sind wir wider die Billigkeit mit Steuern beschwert, und darüber ließe sich soviel sagen wie über den Auszug aus Ägypten. Das Schlimmste aber ist, daß man uns nicht vergönnt, unser Gewerbe in der Christenstadt zu treiben.«
Oho! Läuft's da hinaus? dachte der künftige Kaiser bei sich. Bleib du nur in deiner Judenstadt, sonst gäbe es Unruhe und Beschwernis, statt Ordnung und gutem Frieden. Und laut sagte er, um den Altkleiderhändler zu beschwichtigen, ein Sprüchlein her, das er des öfteren von einem seiner Diener oben auf der Burg gehört hatte:
»In der Welt ist viel Pein,
ein jeder findet die sein'.
Du mußt dich getrösten zu jeder Frist, daß du gesund und bei Kräften bist.«
»Gesund bin ich, — gelobt sei der Name«, sagte der Altkleiderhändler. »Zum Kranksein gehört Zeit, und die habe ich nicht. Aber das weiß ich, daß dieses Gewerbe mir zur Buße meiner Sünden auferlegt ist.«
»Nein, nicht zur Buße Eurer Sünden, sondern weil Ihr, wie ich Ursach' hab' zu glauben, vom Stamme Rüben seid«, klärte ihn der junge Erzherzog auf. »Denn die vom Stamme Rüben haben, so hat man mich in Spanien gelehrt, um den Rock und den Mantel unseres Heilands gewürfelt. Und darum ist ihren Nachfahren auferlegt, daß sie zeitlebens mit alten Kleidern Handelschaft treiben müssen und nichts anderes damit gewinnen können als Sorge und wiederum Sorge und Mühe und Plag.«
»Davon steht nichts in den Büchern, die unsere Weisen geschrieben und uns hinterlassen haben«, wendete kopfschüttelnd der Altkleiderhändler ein. »Auch bin ich nicht vom Stamme Rüben. Ich bin aus dem Priestergeschlecht, vom Stamme Lewi.«
Aber auch über den Stamm Lewi wußte der junge Erzherzog Bescheid.
»Die vom Stamme Lewi, die haben auch ihren Teil«, berichtete er. »Einer von ihnen hat unseren Herrn Jesus mit Essig und Galle getränkt, und darum haben die aus diesem Geschlecht allezeit Durst und mögen doch nichts Rechtes trinken.«