»Ist das so?« fragte ein wenig spöttisch der Altkleiderhändler. »Ich nämlich trinke, wenn ich Durst habe, recht gerne einen halben Schoppen Wein.«
Der junge Erzherzog ließ sich durch diesen Einwand nicht beirren.
»Dann seid Ihr erlöst«, bedeutete er dem Trödler, »und der Fluch ist von Euch genommen.«
Und um ihm zu zeigen, daß er auch sonst über die Juden und ihre Historie wohl unterrichtet sei, wechselte er den Gegenstand seiner Erörterungen.
»Ihr Juden«, sagte er, »rühmt und gloriert euch, ihr hättet einen weisen Mann gehabt, den König Salomo. Der hat sich aber mit siebzig Ehefrauen und dazu noch mit dreihundert Metzen behängt, war so weise nicht.«
»Er wußte, wieviel Süßes und wieviel Bitteres unter einem Weiberrock verborgen ist«, entgegnete ihm der Altkleiderhändler. »Aber das eine mögt Ihr wissen: Nehmt alle Könige unserer Tage, ja den Römischen Kaiser selbst, so sind sie nur ein Fünklein von König Salomons Majestät.«
Der junge Erzherzog nahm diese Belehrung recht unwillig auf. Sein geliebtester Herr Vater stand für ihn weit über dem König Salomo.
»Ihr sprecht mit wenig Devotion von seiner Majestät, dem Römischen Kaiser«, hielt er dem Juden vor.
»Ich bin sein getreuer Kammerknecht«, sagte der Händler. »Bin auch mit Darreichung meiner Steuern und Abgaben jederzeit richtig befunden worden. Der Herr erhöhe seine Macht! Möge das Schwert der Feinde niemals in seine Länder dringen!«
Die Türe war sachte aufgetan worden, und eine sonderbare kleine Gestalt trat in den Laden, ein Knabe, der in viel zu großen Schuhen ging, und der Rock, den er trug, war an allen Ecken und Enden geflickt und sein Mützlein war so oft gewaschen worden, daß es seine Farbe verloren hatte. In den Händen hielt er einen Sack aus grobem Leinen, der nur zu einem kleinen Teil gefüllt war.
»Da bin ich«, sagte er und legte zwei Kupfermünzen auf den Ladentisch. »Gepriesen sei der Name, ich habe mich auch heute mit Bezahlung einfinden können.«
»Gesegnet sei dein Kommen!« grüßte ihn der Altkleiderhändler und strich die Kupfermünzen ein, und der Knabe ging in den Winkel und machte sich dort mit dem Haufen alter Kleider zu schaffen.
»Er zahlt mir«, erklärte der Altkleiderhändler dem jungen Erzherzog, der ihn fragend angeblickt hatte, »zwei Dickpfennige, wenn er sie hat, aber nicht alle Tage hat er sie. Und dafür gehört ihm alles, was er in den Taschen der Kleider findet, die ich an diesem oder an dem vorangegangenen Tag gekauft habe. Was er findet? Immer die gleichen Dinge. Ein Stück Brot oder Fladen, Nüsse, einen Apfel oder eine Kohlrübe, ein Stück Bindfaden, einen Knopf, einen Nagel, ein leeres Fläschchen, — das alles kommt in seinen Sack. Bisweilen findet er nichts, denn es gibt auch Leute, die die Taschen ausleeren, bevor sie den Rock zum Händler tragen. Manchmal wieder findet er Schätze: ein Stück Band, einen Handschuh, ein Knäuel Wolle und, wenn es hoch hergeht, einen Zinnlöffel oder gar ein Tüchlein. Und damit, Herr, Ihr werdet es nicht glauben, ernährt er seine Mutter und zwei jüngere Geschwister. Geld? Nein, Geld hat er noch nie gefunden. Das lassen die Leut', die ihre Kleider verkaufen, nicht in den Taschen.«
»Herr der Welt! Erheb mich nicht und wirf mich nicht hinab!« kam plötzlich die Stimme des Knaben aus der Staubwolke, die über dem Kleiderhaufen lag.
»Was gibt es? Was hast du gefunden?« fragte der Altkleiderhändler.
»Gepriesen sei der heutige Tag!« sagte der Knabe und kam mit dem Taler in der Hand aus dem Winkel hervor.
»Einen Taler!« rief der Altkleiderhändler, und der Atem stockte ihm beinahe.
»Einen Taler, wahrhaftig, ja«, hauchte der Knabe und er wurde vor Erregung, vor Angst und Freude, blaß und rot und wiederum blaß. In seinen Augen lag eine Frage.
»Was siehst du mich an? Er gehört dir«, sagte der Altkleiderhändler. »Der Narr, der ihn in seinem Rock gelassen hat, der kommt nicht, der weiß nichts mehr von ihm, der meint, er habe ihn längst vertrunken. Sei ohne Sorge, ich kenne meine Leut'.«
Der Knabe machte einen Luftsprung, daß er beinahe aus seinen Schuhen fuhr, und begann im Laden umherzutanzen.
»He, du! Was wirst du mit dem Geld beginnen?« fragte der junge Erzherzog, der in Sorge war, daß er dem Taler noch weiter folgen müßt'. »Wirst du dir neue Schuhe kaufen? Eine neue Mütze? Einen Rock?«
Der Knabe blieb stehen und sah ihn an.
»Nein, Herr«, gab er zur Antwort. »Mein Vater - sein Andenken sei gesegnet — hat mich gelehrt: Aus einem Schuh kann man nicht zwei machen, und eine Mütze bleibt immer nur eine Mütze. Aber aus einem Taler können leicht ihrer zwei werden.«
Und er griff nach seinem Leinensack und war im nächsten Augeblick zur Tür hinaus.
»Wie heißt du? Wohin läufst du?« rief ihm der Sohn des Kaisers nach, aber der Knabe hörte ihn nicht mehr.
»Er heißt Mordechai Meisl, und wohin er läuft, das weiß ich nicht«, sagte der Altkleiderhändler. »Er hat es immer eilig. Vielleicht will er noch heute, noch in dieser Stunde aus dem einen Taler ihrer zwei machen.«
Nachts unter der steinernen Brücke
Wenn der Abendwind über den Wellen des Flusses dahinglitt, schmiegte sich die Blüte des Rosmarins enger an die rote Rose, und der träumende Kaiser fühlte an seinen Lippen den Kuß der Traumgeliebten.
»Du bist spät gekommen«, flüsterte sie. »Ich lag und wartete. So lange hast du mich warten lassen.«
»Ich war immer da«, gab er zur Antwort. »Ich lag und blickte durch das Fenster in die Nacht hinaus, ich sah die Wolken ziehen und hörte das Rauschen der Baumkronen. Müde war ich von der Last und dem Lärm des Tages, ich meinte, die Augen müßten mir zufallen, so müde war ich. Dann endlich kamst du.«
»Kam ich? Und bin ich bei dir?« fragte sie. »Aber wie kam ich zu dir? Ich kenn' den Weg nicht, bin ihn nie gegangen. Wer hat mich zu dir gebracht? Wer bringt mich Nacht für Nacht zu dir?«
»Du bist bei mir und ich halte dich in meinen Armen, mehr weiß ich nicht«, sagte der Kaiser.
»So ging ich wohl«, flüsterte sie, »durch die Gassen, meiner selbst nicht bewußt, stieg die Treppen hinauf, und die Leute, denen ich begegnete, sahen mich verwundert an, aber keiner trat mir in den Weg, keiner hielt mich an. Das Tor sprang auf, Türen öffneten sich, und nun bin ich bei dir. Es ist nicht recht, ich sollt's nicht tun. Hörst du den Fluß rauschen?«
»Ja, ich höre ihn. Des Nachts, wenn du bei mir bist, rauscht er stärker als sonst, es ist, als wollt' er uns in Schlaf singen. Als du ihn zum erstenmal rauschen hörtest, da weintest du vor Angst. Du weintest und riefst: >Was ist mit mir geschehen? Wo bin ich?<«
»Ich hatte Angst. Ich erkannte dich und könnt' es nicht begreifen, daß ich bei dir war«, sagte sie. »Als ich dich zum erstenmal sah, da rittest du auf einem milchweißen Zelter, und hinter dir ritt ein Zu g von Geharnischten, da war ein Blitzen und Schimmern, die Hufe dröhnten und die Trompeten jauchzten, und ich lief nach Hause und rief: >Ich hab' des Kaisers Herrlichkeit gesehen<, — und ich glaubte, das Herz müßt' mir stille stehen.«
»Als ich dich sah zum erstenmal«, sprach der Kaiser, »da standest du an eines Hauses Wand geschmiegt, die Schultern ein wenig in die Höh' gezogen, als wolltest du fliehen oder dich verbergen, scheu und ängstlich wie ein Vögelchen, so standest du, und die braunen Locken fielen dir in die Stirne. Ich sah dich an und wußte, daß ich dich nicht würde vergessen können, daß ich an dich würd' denken müssen Tag und Nacht. Doch je näher ich dir kam, desto ferner erschienst du mir, von Augenblick zu Augenblick rücktest du weiter von mir fort, so unerreichbar wurdest du mir, als wärest du für alle Zeiten für mich verloren. Und als du dann kamst und bei mir warst und ich dich hielt, da war es wie ein Wunder oder wie ein Traum. Mein Herz war voll Glückseligkeit, und du weintest.«