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Nun muß er gehen des Todes Straßen,

Hund bellen und Hahn krähen lassen.« Aus einem Epitaph des Wallenstein

Johannes Kepler, der große Mathematiker und Astronom, dessen Geist die sichtbare Welt umspannte, lebte um das Jahr 1606 unter den allerdiirftigsten und armseligsten Umständenin einem verfallenen Hause der Prager Altstadt, von dessen Fenstern sich ihm kein anderer Ausblick bot als der auf die Werkstätte eines Huf- und Nagelschmieds, auf eine Wirtsstube, in der betrunkene Soldaten lärmten, und auf einen Bretterzaun mit einem Tümpel dahinter, in dem die Frösche sangen. Man hatte ihm, als er nach Tycho de Brahes Tod das Amt eines kaiserlichen Hofastronomen übernahm, große Versprechungen gemacht und ihm fünfzehnhundert Gulden als jährliches Relutum ausgesetzt, aber die Versprechungen vergaß man und das Geld blieb man ihm schuldig, wie es eben am Prager Hof der Brauch war, und wenn er etliche Gulden als Abschlagsumme erhalten wollte, so mußte er tagelang in der böhmischen Hofkammer stehen und supplicieren, und oftmals wußte er nicht, womit er am nächsten Tag seine kranke Frau, seine drei Kinder und sich selbst ernähren sollte. Auch waren die Zeiten teuer, und mit dem Herbst war, wie es Kepler in seinem Kalender für das Jahr 1606 vorausgesagt hatte, eine frühe und strenge Kälte ins Land gekommen.

So war denn Kepler an einem trüben und regnerischen Novembertag wiederum oben auf dem Hradschin im Hirschgraben gewesen und hatte sich dort bei einem der kaiserlichen Wildhüter sein Deputat an Brennholz abgeholt, — das war eine Arbeit, die er selbst verrichten mußte, denn er konnte sich keinen Knecht oder Bedienten halten. Seine Last war nicht schwer gewesen, das Brennholz reichte gerade aus, den Suppentopf auf dem Küchenherd zum Sieden zu bringen und die Kammer, in der seine kranke Frau lag, ein wenig zu erwärmen. Und nun saß er, in seinen vom Begen noch feuchten Mantel gehüllt, in der ungeheizten großen Stube und ließ geduldig die Vorwürfe des kaiserlichen Geheimsekretärs Hanniwald über sich ergehen, der ihm vorhielt, daß die astronomischen Tabellen, denen er nach Wunsch und Willen seiner Majestät den Hauptteil seiner Zeit zu widmen hatte, noch immer nicht fertiggestellt seien.

»Ihr wißt ja«, sagte Kepler, als der Hanniwald seinen Sermon beendet hatte, »wie dunkel, wie verworren und wie überaus hart die Zeiten sind, und mir will's nun einmal auch nicht Butter in den Brei regnen. Ich wollt', ich müßt' die Sache nicht erwähnen, doch ich hoffe entschuldigt zu sein, wenn ich sage, daß ich bei den Kammerbefehlen Seiner Majestät samt den Meinen hätte verhungern müssen, denn ich kann mich nicht wie das Chamäleon vom Wind nähren. So war ich, um die Ehre Seiner Majestät zu schonen, genötigt, statt der Tabellen, mit deren Herstellung mich die Gnade Seiner Majestät betraut hat, Prognostika anzufertigen und nichtswertige Kalender, die mir keinen Ruhm bringen werden. Aber damit habe ich mich und die Meinen ernährt, und es ist dies doch um ein weniges besser, als wenn ich Seiner Majestät alle Tage mit Bitten, mit Klagen und mit Protesten beschwerlich gefallen wäre.«

»Damit hätter Ihr nichts erreicht, wäret auch nur einmal und nicht wieder vor Seiner Majestät Augen gekommen«, meinte der Hanniwald, der dem Johannes Kepler als einem Anhänger der protestantischen Lehre nicht gar gut gesinnt war.

»Mußt' also um so eher darauf bedacht sein«, fuhr Kepler, ohne Verdruß zu zeigen und ohne jede Bitterkeit in seiner Stimme, fort, »mir und den Meinen die geringe Zehrung, deren wir bedürfen, zu beschaffen. Es war nicht leicht, und, um Euch alles zu sagen, — just heute ist solch ein Tag, an dem ich mit meinem Vermögen nicht zweier Groschen mächtig bin. Ich klage es Gott, ich baue und vertraue auf ihn, der alles ändern kann. Aber, in summa: Es ist ein elendes Leben.«

Er schwieg erschöpft, führte ein Tüchlein an seinen Mund und hustete.

»Seine Majestät«, erklärte, ohne auf Keplers Klagen einzugehen, der Hanniwald, »ist auch erzürnt, weil Ihr seine Befehle, was den Streit zwischen Seiner Heiligkeit, dem Papst, und der Republik Venedig anlangt, so gänzlich mißachtet habt.«

»Seine Majestät«, erwiderte Kepler, und noch immer machte ihm der Husten zu schaffen, »hat vor kurzem seinen Kammerdiener, den Philipp Lang, zu mir geschickt, der redete des langen und breiten, ich sollt' ein astrologisches Gutachten über den künftigen Verlauf und den zu erwartenden Ausgang dieses Streites anfertigen. Ich hab' dem Philipp Lang mit schuldigem Respekt gesagt, ich könnt's nicht tun. Denn ein Sternkundiger, der sich vermißt, nicht nur die Bewegungen der Gestirne und ihre künftige Konfiguration, sondern auch das künftige Geschick der Menschen und der Staaten, das Gott allein vorausschaut, zu verkünden, — der sich dessen vermißt, ist ein gemeiner Lügenschmied und nichts anderes.«

»Ich habe also zu verstehen«, stellte der Hanniwald fest, »daß Ihr die Astrologie, welche doch eine von alters her auf uns gekommene und tausendfach erprobte, auch von vielen Fürsten und großen Herrn zu ihrem zeitlichen Vorteil, wie auch zu ihrem ewigen Heil oftmals angewandte Disciplin und Wissenschaft ist, — daß Ihr die Astrologie also zur Gänze verwerft.«

»Nicht zur Gänze! Nein, nicht zur Gänze verwerfe ich sie«, widersprach ihm Johannes Kepler. »Die Einteilung des Himmels in zwölf Häuser, die Herrschaft der Trigone und was es dergleichen mehr gibt an bloßen Einbildungen und Erfindungen kleiner Geister, — das alles verwerfe ich. Aber die Harmonie des Himmels, die lasse ich gelten.«

»Und die Konfiguration der Gestirne? Wie haltet Ihr es damit?« forschte der Hanniwald weiter.

»Auch die lasse ich, wenngleich mit mancherlei Beschränkungen, als einen Faktor von einiger Bedeutung gelten«, erklärte Kepler. »Denn je nachdem die Strahlen der Gestirne bei der Geburt konfiguriert sind, fließt dem Neugeborenen das Leben in dieser oder jener Form zu. Ist die Konfiguration harmonisch, so entsteht eine schöne Form des Gemütes.«

»Die Astrologie, wie Ihr sie darstellt«, bemerkte nachdenklich der Hanniwald, »erscheint mir, wenn ich Euch recht verstanden habe, als eine in ihren Grundlagen sehr veränderte, wenn nicht gar völlig neue Disciplin. Habt Ihr versucht, Eure Hypothesen mit den Lehren der Kirche in Übereinstimmung zu bringen?«

»Verhüte Gott, daß ich das jemals tue!« sagte Johannes Kepler. »An den Streitigkeiten der Theologen will ich nicht teilhaben. Was ich sage, schreibe und tue, das sage, schreibe und tue ich als ein der Mathematik Beflissener. Die Sache der Kirche aber lasse ich ungestört.«

Der Geheimsekretär des Kaisers schüttelte den Kopf.

»Eure Antwort betrübt mich, Domine Kepler, und mißfällt mir sehr«, erklärte er. »Ihr führt demütige Worte im Mund und dennoch klingt das, was Ihr sagt, hochfahrend und wenig christlich. Ja, mir will's scheinen, als wäre Eure Antwort bocksfüßig und gehörnt. Aber es ist nicht meine Sache, sie nach dieser Richtung hin zu prüfen. Mein allergnädigster Herr hat mich zu Euch gesandt, weil Ihr ihm mehrfach Anlaß gegeben habt, über Euch erzürnt zu sein. Ich habe gehört, was Ihr zu Eurer Entschuldigung vorzubringen hattet, nur das und weiter nichts. Wenn ich Seiner Majestät Bericht erstatte, werd' ich nicht vergessen, die mißlichen Umstände zu erwähnen, über die Ihr Klage führt. Und somit, Domine Kepler...«

Er hatte sich erhoben und seinen Hut ein wenig zurückgestoßen, — damit hatte er dem Kepler die Ehre erwiesen, die ihm gebührte. Und nun wollte er in steifer Haltung und mit einem Ausdruck der Unnahbarkeit in seinem Gesicht zur Türe hinaus wie einer, dem man eine Beleidigung zugefügt hat. Aber Johannes Kepler hielt ihn zurück.

»Ich bin«, sprach er zu ihm, »nach fünf Jahren noch immer ein Fremder in dieser Stadt, habe mit der Noblesse des Landes nur wenig Umgang, kenn' auch sonst nicht viel Leut' von Importanz. Ist Euch, Herr Secretarius, ein junger Edelmann und Offizier bekannt mit Namen... «