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Der Georg Kaplir ließ sich ächzend in einen Stuhl fallen.

»Mit dem Osterstock«, berichtete er. »Er sagte, er könnt' mir nichts bezahlen, er hätt's nicht. Redete des langen und breiten, wie schwer sie's in der Burg hätten mit dem Geld und ich sollt' doch um der nahen Verwandtschaft willen Geduld mit ihm haben und ein andermal kommen.«

»Seid ihr denn so nahe Verwandte, du und der Osterstock?« fragte der Zaruba verschlafen.

»Verwandte?« rief der Kaplir entrüstet. »Meines Großvaters Hahn hat vielleicht einmal in seiner Mutter Hühnerhof hineingekräht, das ist unsere Verwandtschaft. Und dann hat er mich zum ersten Sekretär geführt, und das ganze Hin und Her >Wir haben's nicht und woher nehmen!« hat wieder von vorn begonnen. Und der Herr Sekretär hat mir gezeigt, wie man auf allen Seiten vom Kaiser Geld begehrt, hat mich ein ganzes Konvolut von Bittgesuchen und Beschwerdebriefen sehen lassen —, Himmel, da geht es zu! Ja, Peter, wohin läuft des Kaisers Geld? Der Herr von Kollonitsch, Kriegsoberster in Ungarn, braucht's, um die Grenzhäuser instand zu setzen. Der Kommandant der Festung Baab klagt über Mangel an Vorräten, muß befriedigt werden. Der Vizedom von Linz verlangt Geld für Ihro Majestät Bausachen, soll warten. Die drei Tigerkatzen, die im vorigen Jahr aus Florenz in des Kaisers Tiergarten eingetroffen sind, sind bis heute nicht bezahlt. Graf Wolf von Degenfeld will für vierzigjährige Dienste durch ein kaiserliches Gnadengeschenk erfreut sein, soll warten. Die Hartschierer in der Burg haben ihre Löhnung noch nicht empfangen, beginnen störrisch und obstinat zu werden ...«

»Man sagt aber«, sprach ein Mann, der am Nachbartisch saß, den Kaplir an, »daß der Olmützer Bischof dem Obersthofmeisteramt vor drei Tagen achthundert Dukaten für die kaiserliche Tafel vorgestreckt hätt', davon müßt' doch noch etwas vorhanden sein.«

»Man sagt! Man sagt!« äffte ihn der Kaplir nach, denn er liebte es nicht, wenn sich fremde Leute in sein und seiner Freunde Gespräch einmengten. »Ich geb' nichts drauf, was fremde Leut' daherreden. Ein Tauber hat gehört, wie ein Stummer erzählt hat, daß ein Blinder gesehen hat, wie der Lahme auf dem Seil tanzte.«

Er streifte den Mann am Nebentisch mit einem geringschätzigen Blick und fuhr dann, zum Zaruba gewendet, fort:

»Wie ich ihnen dann immer wieder sagte: Kein Geld, kein Schmalz, und mir wolle man meine Zahlungen auch nicht stunden, da fragte mich der Herr Sekretär, ob ich mich für diesmal mit zwanzig Gulden zufrieden geben wolle, und schrieb mir eine Anweisung aus, mit der soll ich... «

Er hielt inne, schüttelte den Kopf, fuhr sich über die Stirne und sagte dann:

»Was ist doch das Leben für eine Pulcinell-Komödie!«

»Wohin sollst du mit deiner Anweisung?« fragte der Zaruba.

»Halt dich fest, Peter, daß du nicht vom Tisch fällst!« sagte der Kaplir. »Zum Meisl-Juden ins Haus auf dem Dreibrunnenplatz soll ich gehen, der wird mir mein Geld auszahlen. Ich, der Georg Kaplir auf Sulavice, soll zum Juden in die Judengasse! Ist das zu glauben?«

Er zog die Anweisung aus der Tasche, sah sie durch, faltete sie zusammen und steckte sie wieder ein.

»Zuletzt«, berichtete er, »hat mich dann der Johann Osterstock an die Offizierstafel gesetzt, aber mir hat der rechte Appetit gefehlt, ich hab' dem Essen wenig Ehre erwiesen. Von der Suppe hab' ich ein paar Löffel genommen, eine Wildsuppe war es ...«

»Eine Wildsuppe hab' ich auch gehabt«, fiel ihm der Peter Zaruba ins Wort. »Und nachher Eierkuchen, ein Chaudfroid von Hühnerfleisch und noch ein zweites Vorgericht ...«

»So?« sagte der Kaplir in gedehntem Ton. »Das hast du gehabt? Und was noch weiter?«

»Gespickten Fisch und weiß Gott, was noch alles«, sagte, gegen ein Gähnen ankämpfend, der Zaruba. »Zwölf Schüsseln, es war zuviel.«

»Auch ein Fasanenragout?« wollte der Kaplir wissen, »auch Wachteln auf geröstetem Brot?«

»Ja«, bestätigte der Zaruba. »Woher weißt du das?«

»Und zum Schluß Marzipan, Trauben und ungarischen Käse?«

»Ja. Woher weißt du das?«

Der Kaplir lehnte sich in seinen Stuhl zurück und rief den Wirt herbei.

»Wie geht das zu«, fragte er ihn, »daß du deinen Gästen heute die gleichen Schüsseln gereicht hast, die man mir oben auf der Burg vorgesetzt hat?«

»Bei mir geht es ganz ordentlich zu«, erwiderte der Wirt. »Jedermann darf wissen, wie es zugeht. Es wird viel gesotten und gebraten in der kaiserlichen Küche, aber verzehrt wird dort oben nicht gar viel, und was übrig bleibt, das verkaufen die Tafelaufwärter den Wirten in der Umgebung, und da hab' ich auch meinen Teil. Aber nur an Werktagen, denn an Sonntagen, da kommen die kleinen Leute, die wollen nicht drei böhmische Groschen fürs Essen zahlen.«

Der Peter Zaruba war bleich geworden. Der Schlaf war ihm vergangen.

»Georg!« stieß er hervor. »Ich hab' von des Kaisers Tisch gegessen.«

»Wahrhaftig, ja!« lachte der Kaplir. »Nun -? Ist nicht das Leben eine Pulcinell-Komödie?«

Aber dem Peter Zaruba war es, als ob ihm ein Mühlstein auf der Brust läge.

»Ich hab' von des Kaisers Tisch gegessen«, flüsterter er. »Was wird aus dir, evangelische Freiheit? Mein goldenes Böhmerland, was wird aus dir?«

»Er hat gedacht«, sagte mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, der mir fünfzehnjährigem Jungen auf seiner »Bude« in der Zigeunergasse die Geschichte vom Peter Zaruba und dem Tisch des Kaisers erzählt hatte, »er hat, wie er in den Wirtshausgarten ging, der Peter Zaruba, gedacht, den Kopf kann's nicht kosten, - es hat ihn aber doch den Kopf gekostet, denn er ist nach der Schlacht am Weißen Berg mit vierundzwanzig anderen Herren vom böhmischen Adel auf dem Altstädter Ringplatz hingerichtet worden. Und da kannst du wieder sehen, wie die Geschichtsprofessoren am Gymnasium und die Herren, die die Geschichtsbücher für die Schulen verfassen, wie die alle zusammen nichts wissen und nichts verstehen. Sie werden dir erzählen und haargenau beweisen, daß die böhmischen Aufständischen die Schlacht am Weißen Berge verloren haben, weil auf der anderen Seite der Tilly kommandierte und weil ihr Feldherr, der Graf von Mansfeld, in Pilsen geblieben war, oder weil sie ihre Artillerie nicht richtig postiert hatten und weil ihre ungarischen Hilfstruppen sie im Stiche ließen. Das ist alles Unsinn. Die böhmischen Aufständischen haben die Schlacht auf dem Weißen Berg verloren, weil der Peter Zaruba damals im Wirtshausgarten nicht den Verstand gehabt hat, den Wirt zu fragen: >Wie kannst du zwölf solche Portionen für drei böhmische Grosehen geben, das ist doch, Mensch, eine volkswirtschaftliche Unmöglichkeit! < Und so hat also Böhmen seine Freiheit verloren und ist österreichisch geworden, und wir haben jetzt das k.u.k. Tabakmonopol und die k.u.k. Militärschwimmschule und den Kaiser Franz Joseph und die Hochverratsprozesse, weil der Peter Zaruba von den böhmischen Dalken und Golatschen, die ihm seine Hauswirtin gemacht hat, schon genug gehabt hat, sie waren ihm nicht fein genug, und weil er also von des Kaisers Tisch gegessen hat.«

Das Gespräch der Hunde

An einem Wintertage des Jahres 1609, einem Sabbat, wurde der Jude Berl Landfahrer aus der Stube, die er in einem Hause des Ufergäßleins in der Prager Judenstadt innehatte, herausgeholt und in das Altstädter Gefängnis abgeführt, das die Prager Juden in Erinnerung an die Zwingburgen Ägyptens »Pithon« oder auch »Ramses« nannten. Er sollte am nächsten Morgen auf dem Schindanger zwischen zwei Straßenhunden gehängt und auf diese Art vom Leben zum Tode befördert werden.

Dieser Berl Landfahrer war sein ganzes Leben lang vom Unglück verfolgt. Von Jugend aufwar ihm alles mißraten. Er hatte es mit vielen Berufen versucht und war dabei mit aller Mühe und Plage so arm geblieben, daß er am Sabbat und an Wochentagen den gleichen Rock trug, und andere haben doch für jeden Halbfeiertag einen anderen Rock. Zuletzt hatte er in den Dörfern der Umgebung die Häute des geschlagenen Viehs, die ihm die christlichen Fleischhauer übrigließen, gekauft, aber das geschah zu einer Zeit, in der sich die Bauern in den Kopf gesetzt hatten, zwölf Kreuzer für eine Haut zu verlangen, die nicht achte wert war. Wenn der Berl Landfahrer, sagten seine Nachbarn in der Ufergasse, beginnt, mit Kerzen zu handeln, so geht die Sonne gewiß nicht mehr unter. Wenn es Dukaten regnet, sagten sie, sitzt er in der Stube, aber wenn Steine vom Himmel fallen, da ist er auf der Gass'. Es gibt keinen Knüppel, über den er nicht stolpert, und wenn er Brot hat, so fehlt ihm das Messer, und hat er beides, so findet er kein Salz.