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Daß er am heiligen Sabbat, aus der Festesfreude heraus, verhaftet und hinweggeführt worden war, das gehörte auch zu seinem Unglück. Dabei konnte man nicht sagen, daß er in dieser Sache völlig unschuldig war, denn das wahre Mißgeschick kommt ja nicht von Gott. Er hatte von einem Soldaten einen mit Zobelpelz verbrämten Mantel und ein Samtgewand mit hängenden Armein zu einem, wie er selbst zugab, ungewöhnlich billigen Preis gekauft. Er wußte nicht, daß der Herr Oberst Strassoldo, Kommandant der in der Altstadt liegenden kaiserlichen Truppen, der vom Kaiser der unruhigen Zeiten wegen große Vollmachten erhalten hatte, zwei Tage zuvor mit Androhung des Galgens ein Verbot erlassen hatte, irgend etwas von Soldaten zu kaufen, wenn diese nicht eine Bescheinigung ihres Hauptmannes vorweisen konnten, daß ihnen der Verkauf erlaubt sei. Es waren nämlich in der Altstadt von unbekannten Soldaten Einbrüche verübt und aus adeligen Häusern kostbare Stoffe, Vorhänge und Kleider entwendet worden. Das Verbot war dem Brauche gemäß in allen Gotteshäusern der Judenstadt, in der Alt- und in der Neuschul, in der Pinchas-, der Klaus-, der Zigeuner-, der Meisl-, der hohen und der Altneuschul, ausgerufen worden, aber just an diesem Tage war Berl Landfahrer daheim in seiner Stube so tief in die geheimen Lehren des Buches »Raja Mehemna« oder »Der getreue Hirte« versenkt gewesen, daß er darüber den »Schulgang« versäumt hatte. Wohl hatte er den Zobelmantel und den Samtrock dem Vorsteher der Judengemeinde übergeben, sobald er erfahren hatte, daß ihm Diebsgut in die Hände geraten war. Aber es war zu spät. Der Kommandant der Altstädter Truppen war ergrimmt darüber, daß sein Verbot mißachtet worden war, und wollte nicht mit sich reden lassen. Und so sollte der Berl Landfahrer am nächsten Morgen als warnendes Exempel zwischen zwei Hunden am Galgen hängen.

Die Judenältesten und die Judenräte taten alles, was sie vermochten, um dieses Los von ihm abzuwenden, sie liefen hierhin und dorthin, sie baten, sie versprachen, — es war alles vergeblich. Es schien, als hätten sich die Mächte des Schicksals gegen den Berl Landfahrer verschworen. Eine Audienz beim Kaiser in der Burg war auch durch die Gunst seines Ofenheizers nicht zu erlangen, — der Kaiser lag mit Fieber zu Bett, und im Kapuzinerkloster auf dem Hradschin beteten neun Mönche Tag und Nacht für seine Genesung. Die Ehefrau des Herrn Czernin von Chudenitz war mit dem Strassoldo verschwägert, aber sie befand sich auf ihrem Gut Neudeck, drei Tagesreisen weit von Prag. Der Prior des Kreuzherrenklosters, der den Juden wohlgesinnt war und sich oft für sie verwendet hatte, war auf dem Weg nach Rom. Und der hohe Rabbi, das Haupt und die Leuchte der Verbannung, auf dessen Wort auch die Christen gehört hatten, war schon lange in der andern Welt.

Die beiden Straßenhunde hatten nichts verbrochen. Nur um die Schmach des Juden zu vergrößern, sollten sie mit ihm zugleich den Tod erleiden. Sie hatten niemanden, der für sie sprach.

Der eine von ihnen war schon in der Gefängniszelle, als der Schließer den Berl Landfahrer hineinführte. Es war ein großer, bis auf die Knochen abgemagerter, armseliger Bauernköter mit struppigem rotbraunem Fell und großen, schönen Augen. Er mochte seinen Herrn verloren haben oder ihm entlaufen sein, denn schon seit einigen Tagen hatte er sich hungernd in den Gassen der Altstadt umhergetrieben. Jetzt nagte er an einem Knochen, den ihm der Schließer hingeworfen hatte. Er hob, als der Schließer mit dem Berl Landfahrer in die Zelle trat, den Kopf und knurrte sie an.

Der Berl Landfahrer besah sich seinen Schicksalsgenossen mit Besorgnis. Den großen Hunden traute er nicht, sie waren auf den Bauernhöfen seine schlimmsten Feinde gewesen, hatten ihm die Häute, die er hinwegführte, immer mißgönnt.

»Beißt er?« fragte er.

»Nein«, sagte der Schließer. »Tu du ihm nichts, so wird er dir nichts tun. Vertrag dich mit ihm, denn ihr müßt morgen miteinander in das Tal Hinnom fahren.«

Und er ließ den Berl mit dem Hund allein und schloß die Türe hinter sich zu.

Das Tal Hinnom, — so heißt die Hölle in der Redeweise der Juden. Der Schließer kannte die Sprache der Juden, er hatte ihrer genug bei sich beherbergt.

»Ins Tal Hinnom!« murmelte der Berl Landfahrer mit einem Erschauern. »Was weiß denn der, wohin ich gehe! Kennt er mich denn? Aus Bosheit hat er es gesagt, er hat solchen Blick, wenn er ins Wasser schaut, sterben die Fische. Ins Tal Hinnon! Ewiger und gerechter Gott, — nicht daß ich Dir es vorhalte, aber Du weißt es, Du hast es gesehen, wie ich mein Leben mit Lernen, Beten und Fasten verbrachte und wie ich mein Stücklein Brot in Ehren gesucht habe.«

Er seufzte und blickte durch das vergitterte Fenster zum Himmel hinauf.

»Drei Sterne seh' ich«, sagte er, »der Sabbat ist zu Ende. Zuhaus' bei mir, in der Stube nebenan, da sitzen sie jetzt, der Simon Brandeis, der Bierzapfer, und sein Weib, die Gittel. Er hat die Hawdala gesprochen, das Gebet der Unterscheidungen, und jetzt singt er den Segen für die kommende Woche, er wünscht sich und seinem Weib, >viel Freuden und Gesund, soviel begehrt dein Mund zu jeder Zeit und Stund'<, und die Gittel fällt wie an jedem Sabbatausgang mit ihrem Sprüchlein ein: >Amen! Amen! Es soll werden wahr, der Meschiach soll kommen in diesem Jahr.< Und jetzt sprechen sie vielleicht, während das Feuer im Herd gemacht und die Abendsuppe auf den Tisch gestellt wird, von mir, und sie nennen mich den armen Berl Landfahrer oder, mag sein, den guten Berl Landfahrer, denn ich hab' der Gittel erst gestern wieder Ol für die Sabbatlampen gegeben und Wein auf Kiddusch, sie hatte nicht Geld, das Notwendige einzukaufen. Heute bin ich in der Menschen Mund der arme oder der gute Berl Landfahrer und morgen bin ich der Berl Landfahrer seligen Angedenkens oder der Berl Landfahrer, Friede sei mit ihm. Heut bin ich der Berl Landfahrer, der in der Ufergasse im Haus >Zum Hahn< wohnt, und morgen heiß' ich der Berl Landfahrer, der in der Wahrheit ist. Gestern wüßt' ich nicht, wie gut es mir in der Welt erging: Ich hab' gegessen, was mich gelüstete, hab' in der Schrift gelesen und mich des Abends in mein Bett gelegt. Heut ist die Hand des Feindes über mir. Wem soll ich's klagen? Den Steinen in der Erde muß ich es klagen. Was hilft's? Ich muß ertragen, was Er über mich beschlossen hat. Gelobt seist Du, ewiger und gerechter Richter! Ein Gott der Treue bist Du, Dein Tun ist ohne Fehle.«

Und da es dunkel geworden war, wendete er sein Gesicht gegen Osten und sprach das Abendgebet. Dann kauerte er sich in einen Winkel der Zelle auf der Erde nieder, so daß er den Hund, der wiederum knurrte, im Auge behalten konnte.

»Kalt ist es, als ob Himmel und Erde zusammenfrieren wollten«, sagte er. »Der Hund will auch nicht Frieden halten, knurrt und bleckt die Zähne. Wenn er erst wüßt', was ihm bevorsteht! Aber solch ein Tier, — was verliert es, was kann man ihm nehmen? Nur das sinnliche Leben. Der Mensch verliert den Ruach, sein geistiges Wesen, und wir Juden, wir verlieren mit dem Leben mehr als alle anderen Menschen, denn was wissen denn die anderen von der süßen Freude, die wir gewinnen, wenn wir uns in die Bücher der Frommen versenken, in das >Buch der Ährenlese«, in das >Buch der vier Reihen«, in das >Buch des Lichtes«.«