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Er schloß die Augen und flüchtete mit seinen Gedanken in die Höhen und Tiefen der geheimen Lehre, von der es heißt, daß sie über zehn Stufen zu den Engeln Gottes hinaufführt. Er tat dies, weil geschrieben steht: »Beschäftige dich mit den Geheimnissen der Weisheit und der Erkenntnis, so wirst du die Angst vor dem Morgen in dir überwinden.« Und die Angst vor dem Morgen war groß in ihm und fast nicht zu ertragen.

Er durchmaß in seinem Geiste die Welt der göttlichen Gewalten, die von den Eingeweihten »Apirjon«, das ist »die Hochzeitssänfte« genannt wird, dort sind die »ewig Leuchtenden« zu Hause, die auch »die Bringer der Einsicht« heißen, sie sind in dieser Weklt die Stützen und die Säulen. Er sann über die bewegenden Kräfte nach, die der vierbuchstabige Gottesname in sich birgt, und über den Geheimnisvollen, der sie beherrscht, der »der Verborgenste unter den Verborgenen« genannt wird, »der, der gänzlich unerkennbar ist«. Er ließ die Buchstaben des Alphabetes mit ihrer nur dem Wissenden verständlichen Bedeutung an sich vorüberziehen; wie er aber zur Betrachtung des Caf gelangte, das, wenn es am Ende eines Wortes steht, das Lächeln Gottes ist, da wurde die Türe aufgeschlossen und geöffnet, und der Schließer stieß den zweiten Hund zu ihm hinein.

Dieser Hund war ein weißer Pudel mit zottigem Haar und je einem schwarzen Fleck unter dem rechten Auge und über dem linken Ohr. Der Berl Landfahrer kannte ihn, die ganze Prager Judenstadt kannte ihn, denn dieser Pudel war viele Jahre lang im Hause des reichen Mordechai Meisl gehalten worden, der dann als armer Mann gestorben war. Und seit dem Tod des Mordechai Meisl strich der ' Hund in den Gassen der Alt- und Judenstadt umher, suchte sich seine Nahrung bald hier, bald dort und war mit jedermann gut Freund, doch er wollte keinen neuen Herrn haben.

»Meisls seligen Angedenkens Pudelhund«, murmelte der Berl Landfahrer betroffen. »Dem wollen sie also auch ans Leben! Wer das dem Meisl selig gesagt hätt', daß sein Pudelhund einmal am Galgen hängen müßt'!«

Er sah den beiden Hunden zu, wie sie einander nach Hundeart begrüßten, indem sie kläffend übereinander herfielen und sich balgten. Bald aber wurde ihm ihr Lärmen verdrießlich, denn die Hunde wollten nicht aufhören, einer hinter dem anderen in der Zelle hin und her zu jagen und dabei zu knurren und zu kläffen. Und nun begannen auch die Hunde des ganzen Viertels sich in den Lärm zu mengen, sie bellten und heulten bald aus der Nähe und bald aus der Ferne.

»Stille!« rief der Berl Landfahrer erzürnt den beiden Hunden zu. »Müßt ihr denn immer knurren und kläffen, könnt ihr nicht Ruhe halten? Es ist spät, die Leut' wollen schlafen.«

Aber das war wie in den Wind gesprochen, die Hunde hörten nicht auf ihn und fuhren fort, zu lärmen und zu toben. Der Berl Landfahrer wartete eine gute Weile, er dachte, die beiden Hunde würden vielleicht doch ihres Spieles müde werden und sich zum Schlafen niederlegen. Er selbst dachte nicht an Schleif, er wußte, er würde ihn nicht finden. Er wollte in dieser Nacht bis zu ihrer letzten Stunde in tiefer Versenkung mit den heiligen Gegenständen verbunden sein, aber die Hunde ließen es nicht zu.

Nun verleiht die geheime Lehre, die Kabbala, denen, die in ihre tiefsten Tiefen eingdrungen sind, die ihre Abgründe durchmessen und ihre Höhen erklommen haben, große Kräfte von besonderer Art. Er durfte diese Kräfte nicht verwenden, um sein Leben zu retten, denn damit hätte er dem göttlichen Ratschluß entgegen getrachtet. Aber er konnte sich durch sie zum Meister über diese Kreaturen machen, die ihm nicht gehorchen wollten.

Von dem hohen Rabbi sagte man, er habe mit den Melochim — den Engeln — gesprochen, als wären sie seine Diener gewesen. Er aber, der Berl Landfahrer, hatte sich der enthüllten Geheimnisse und ihrer magischen Kräfte in seinem Leben nie bedient, denn er war von furchtsamer Natur und er wußte: Die Feuerflamme der geheimen Lehre zündet und verzehrt, was nicht Feuer ist wie sie. Jetzt aber, in dieser Stunde, entschloß er sich zitternd und in großer Bangigkeit, es zu versuchen und sich mit Hilfe der geheimen Formel und der magischen Anrufung zum Herrn über die lästigen Hunde zu machen, die ihm in seiner letzten Nacht den Frieden der Seele und die Gottesnähe nicht vergönnen wollten.

Er wartete, bis der Mond hinter den Wolken hervortrat, und dann schrieb er mit dem Finger in den Staub, der die Wände der Zelle bedeckte, den Buchstaben Waw. Mit diesem Zeichen muß jede Beschwörung beginnen, denn im Waw vereinigt sich der Himmel mit dem Weltengrund. Unter das Waw schrieb er das Zeichen des Stiers, denn in diesem Zeichen sind alle Kreaturen inbegriffen, die auf der Erde unter den Menschen leben. Daneben schrieb er das Zeichen des göttlichen Thronwagens in den Staub und darunter in der vorgeschriebenen Reihenfolge sieben von den zehn Gottesnamen und als ersten Ehieh, das ist »das Immer«, denn die Kräfte dieses Namens sind es, von denen der Stier gelenkt und geleitet wird. Und unter das Ehieh setzte er den Buchstaben des Alphabets, der die Kraft und die Gewalt in sich birgt.

Nun wartete er, bis der Mond wieder hinter den Wolken verschwunden war. Dann rief er die zehn Engel mit ihren Namen, die Werkleute Gottes, die zwischen Gott und der Welt stehen. Sie sind genannt: »Die Krone«, »das Wesen«, »die Gnade«, »die Gestalt«, »das hohe Gericht«, »das strenge Beharren«, »die Pracht«, »die Majestät«, »der Urgrund« und »das Reich«. Er beschwor flüsternd die drei himmlischen Urmächte. Und zuletzt rief er mit lauter Stimme die Engelscharen der unteren Bereiche: Die »Lichter«, die »Räder« und die »Tiere der Heiligkeit«. »Ich weiß nicht, warum er schreit. Nicht immer kann man sie verstehen. Vielleicht hat er Hunger«, sagte in diesem Augenblick der Pudel zu dem Bauernköter. Der Berl Landfahrer ist sich nie darüber klar geworden, welcher Fehler sich in seine magische Formel eingeschlichen hatte. Er hatte unter den ersten der sieben Gottesnamen den Buchstaben Theth gesetzt, aber sein Gedächtnis hatte ihn dabei getäuscht. Denn der Buchstabe Theth begreift nicht die Kraft und die Gewalt in sich, sondern das Eindringen und das Erkennen. Und diese Veränderung der Beschwörungsformel hatte bewirkt, daß er nicht die Gewalt über die Kreaturen gewann, sondern nur ihrer Sprache kundig wurde.

Er dachte darüber nicht nach. Er wunderte sich auch nicht darüber, daß er plötzlich verstehen konnte, was der Pudel zu dem Bauernhund sagte. Es erschien ihm selbstverständlich, daß er es verstand. Es war so einfach und so leicht. Er konnte nur nicht begreifen, wieso er es bisher nicht verstanden hatte.

Er lehnte sich in seinem Winkel zurecht und hörte zu, was die Hunde einander sagten.

»Hunger habe ich auch«, knurrte der Bauernköter.

»Ich werde dich morgen zu den Fleischbänken führen«, versprach ihm der Pudel. »Ihr Landhunde findet euch allein ja nicht zurecht. Du wirst aufrecht auf zwei Beinen gehen und einen Stock im Maul tragen, und für diese Kunst wird man dir einen schönen Knochen geben mit Fleisch und Fett daran.«

»Zu Hause auf dem Hof bekam ich Knochen, ohne daß ich auf zwei Beinen gehen mußte«, sagte der Bauernhund. »Auch Grütze bekam ich. Ich mußte dafür nur den Hof hüten und achthaben, daß sich die Füchse nicht über unsere Gänse hermachten.«

»Was sind das — >die Füchse<?« fragte der Pudel.

»Füchse«, wiederholte der Dorfköter. »Wie soll ich dir erklären, was Füchse sind? Sie haben keinen Herren. Sie leben in den Wäldern. Sie kommen nachts und stehlen Gänse. Das sind die Füchse.«

»Und was sind Wälder?« erkundigte sich der Pudel.