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Jetzt zählte der Kaiserstaat 130 Departements: er erstreckte sich vom britischen Ozean bis zu den Meeren Griechenlands, vom Tajo bis zur Elbe, und 120 Millionen Menschen einem einzigen Willen gehorsam, einer einzigen Gewalt unterworfen und auf ein und demselben Wege gefühlt, riefen in acht verschiedenen Sprachen: Es lebe Napoleon!

Der General ist im Zenit seines Ruhmes und der Kaiser auf dem Gipfel seines Glückes. Bisher haben wir ihn ohne Unterlaß emporsteigen sehen. Jetzt macht er halt und bleibt ein Jahr auf der Höhe seiner Herrlichkeit stehen; denn er muß ja wohl Atem schöpfen zum Abstieg.

Am 1. April 1810 heiratete Napoleon Marie Luise, die Erzherzogin von Österreich: elf Monate später verkündeten 101 Kanonenschüsse der Welt die Geburt eines Thronerben.

Eine der ersten Wirkungen von Napoleons Verbindung mit dem Hause Habsburg-Lothringen war eine Abkühlung zwischen ihm und dem Kaiser von Rußland, der ihm, wenn man Dr. O'Meara glauben darf, seine Schwester, die Großfürstin Anna, hatte anbieten lassen. Seit 1810 hatte Alexander, der Napoleons Kaiserreich wie einen schwellenden Ozean näher und näher auf sich zufluten sah, seine Armeen vermehrt und aufs neue Verbindungen mit Großbritannien angeknüpft. Das ganze Jahr 1811 verstrich mit fruchtlosen Unterhandlungen, die nach der Art, wie sie scheiterten, den neuen Ausbruch eines Krieges immer wahrscheinlicher machten. Daher begannen beide Teile zu rüsten, noch ehe er erklärt war. Preußen stellte nach dem Vertrag vom 24. Februar Napoleon 20 000 und Österreich nach dem vom 14. März 30 000 Mann. Italien und der Rheinbund trugen zu dem geplanten Unternehmen 25 000 und 80 000 Streiter bei. Endlich schied ein Senatsbeschluß die Nationalgarde für den inneren Dienst in drei Banne: davon stellte der erste zum aktiven Dienst bestimmte außer der Riesenarmee, die an den Niemen rückte, 100 Kohorten von je 1000 Mann zur Verfügung des Kaisers.

Am 9. März reiste Napoleon von Paris ab, indem er den Herzog von Bassano beauftragte, dem Gesandten des Zaren, Fürsten Kurakin, seine Pässe so lange als möglich vorzuenthalten. Dieser Befehl, der dem Anschein nach eine Friedenshoffnung übrigließ, hatte tatsächlich keinen andern Zweck, als Alexander über die wahren Gesinnungen seines Feindes so lange wie möglich in Ungewißheit zu lassen, damit dieser unversehens über die russische Armee herfallen und ihn überrumpeln könne. Napoleon hatte gewöhnlich diese Taktik verfolgt, die ihm, wie immer, so auch diesmal gelang. Daher begnügte sich der Moniteur anzuzeigen, daß der Kaiser Paris verlasse, um die große, an der Weichsel Vereinigte Armee zu besichtigen, und daß ihn die Kaiserin bis Dresden zum Zweck eines Besuchs bei ihrer erlauchten Familie begleiten würde.

Nachdem er dort vierzehn Tage verweilt und Talma und Fräulein Mars, wie er ihnen in Paris versprochen, vor einem Parterre von Königen hatte spielen lassen, verließ Napoleon Dresden und langte am 2. Juni in Thorn an. Am 22. verkündete er seine Rückkehr nach Polen durch folgenden Tagesbefehl aus dem Hauptquartier von Wilkowski:

«Soldaten, Rußland hat Frankreich ein ewiges Bündnis und England Krieg geschworen: es bricht heute seinen Eid und will keine Erklärung seines befremdenden Verhaltens geben, bevor nicht die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen und damit unsere Verbündeten seiner Willkür überantwortet wären. So meint es denn, wir seien entartet? Sollten wir nicht mehr die Soldaten von Austerlitz sein? Es stellt uns die Wahl zwischen Schande und Krieg, und diese kann nicht zweifelhaft sein. Vorwärts! Laßt uns den Niemen überschreiten, tragen wir den Krieg auf Rußlands Boden! Die französische Armee wird dort Ruhm ernten. Der Friede, den wir schließen werden, soll dem unheilvollen Einflusse ein Ziel setzen, den das moskowitische Kabinett seit einem halben Jahrhundert auf die Angelegenheiten Europas ausübt.«

Die Armee, an die Napoleon diese Worte richtete, war die schönste, die zahlreichste und zugleich die stärkste, die er je befehligt hatte. Sie war in 15 Korps geteilt, jedes von einem Herzog, Fürsten oder Könige geführt, und bildete eine Masse von 400 000 Mann Infanterie, 70 000 Mann Kavallerie und von 1000 Feuerschlünden. [Fußnote]

Drei Tage waren zum Übergang über den Niemen erforderlich: man wählte dazu den 23., 24. und 25. Juni.

Napoleon stand einen Augenblick still, gedankenvoll und unbeweglich auf dem linken Ufer dieses Flusses, wo ihm Kaiser Alexander drei Jahre vorher ewige Freundschaft geschworen hatte. Dann sagte er hinüberschreitend:»Das Verhängnis zieht die Russen hinab; mögen die Lose in Erfüllung gehen!«

Mit Riesenschritten begann er, wie immer, seinen Lauf; nach zweitägigem, wohl berechnetem Marsche war die völlig ahnungslose russische Armee auseinander gesprengt und ein ganzes Armeekorps von ihr abgetrennt. [Fußnote]

Da ließ Alexander, der an den furchtbaren und entscheidenden Schlägen aufs neue die Gefährlichkeit dieses Gegners erkannte, diesem sagen, er sei zu Unterhandlungen bereit, wenn er das von seinen Truppen überschwemmte Gebiet räumen und an den Niemen zurückgehen wolle. Napoleon fand diesen Schritt so befremdend, daß er darauf nur mit seinem am andern Tag erfolgenden Einzug in Wilna antwortete. Hier blieb er 20 Tage, errichtete eine vorläufige Regierung, während ein Reichstag in Warschau zusammentrat, um sich mit der Wiederherstellung des Königreichs Polen zu beschäftigen, worauf er sich wieder zur Verfolgung der russischen Armee anschickte.

Am zweiten Marschtage wurde er sich mit Entsetzen über das von Alexander angenommene Verteidigungssystem klar. Die Russen hatten auf ihrem Rückzuge alles zerstört. Ernten, Schlösser und Hütten. Eine Armee von 500 000 Mann rückte in Wüsten vor. die ehemals nicht einmal Karl XII. und seine 20 000 Schweden hatten ernähren können.

Vom Niemen bis zur Wilna marschierte man beim Leuchten der Feuersbrünste, über Leichen und Trümmer. In den letzten Tagen des Juli langte die Armee zu Witebsk an, voll Erstaunen über einen Krieg, der keinem andern glich, in dem man auf keine Feinde stieß, und wo man, wie es schien, nur mit Dämonen der Vernichtung zu tun hatte. Napoleon selbst war, wie gesagt, ganz erstarrt über einen solchen Feldzugsplan, den er in seine Berechnungen nicht hatte aufnehmen können; er sah vor sich nichts als unermeßliche Wüsten, deren Ende er erst in einem Jahre erreicht hätte, und wo jeder Schritt, den er tat, ihn von Frankreich, von seinen Verbündeten, von allen seinen Hilfsquellen entfernte. In Witebsk angelangt, warf er sich niedergeschlagen auf einen Sessel, ließ sofort den Grafen Daru rufen und sagte ihm:»Ich bleibe hier, ich will mich hier wieder finden, hier meine Armee zusammenziehen, hier ihr Ruhe gönnen und Polen organisieren. Der Feldzug von 1812 ist beendigt, der von 1813 wird das übrige tun. Was Sie betrifft, mein Herr, sorgen Sie dafür, daß wir hier leben können, denn wir werden nicht die Torheit Karls XII. begehen.«— Dann fügte er, zu Murat gewendet, hinzu:»Pflanzen wir hier unsere Adler auf! Das Jahr 1813 wird uns in Moskau sehen. 1814 zu St. Petersburg, der Krieg mit Rußland dauert drei Jahre.«

Dies war wirklich der Entschluß, den Napoleon gefaßt zu haben schien. Aber jetzt stellte ihm Alexander, der seinerseits über die Untätigkeit erschreckt, endlich die Russen vor Augen, die ihm bisher wie Gespenster entschwunden waren. Wie ein Spieler durch den Klang des Goldes gelockt, kann sich Napoleon nicht länger halten und jagt ihnen auf der Ferse nach. Am 14. August ereilt und schlägt er sie bei Krasnoi; am 18. vertreibt er sie aus Smolensk, das er brennend zurückläßt, und am 30. bemächtigt er sich Wjasmas, wo er sämtliche Magazine zerstört findet. Seitdem er den Fuß auf russischen Boden gesetzt hat, deutet alles auf den Ausbruch eines großen Volkskrieges.