Endlich erfährt Napoleon in dieser Stadt, daß die russische Armee ihren Befehlshaber gewechselt hat und sich anschickt, eine Schlacht in einer Stellung zu liefern, die sie in der Eile verschanzt. Kaiser Alexander hat soeben aus Rücksicht auf die öffentliche Stimmung, die die Unfälle des Krieges der schlechten Wahl seiner Generale beimißt, den Oberbefehl dem General Kutusoff, dem Besieger der Türken, übertragen. Wenn man dem allgemeinen Gerüchte glauben darf, so hat der Preuße Pfuel die ersten Unfälle des Feldzugs veranlaßt, und der Ausländer Barclay-de-Tolly hat sie mit seinem ewigen Rückzugssystem, das den reinen Moskowitern verdächtig erscheint, noch schlimmer gemacht. In einem Volkskriege kann nur ein Russe das Vaterland retten, und alle stimmen darin überein, vom Zaren bis zum letzten Sklaven, daß der Sieger von Rustschuck und der Friedensdiktator von Bucharest allein imstande ist, Rußland zu retten. Der neue General, seinerseits überzeugt, daß er, um sich die Gunst der Armee und der Nation zu erhalten, eher eine Schlacht liefern als uns nach Moskau vorrücken lassen muß, ist entschlossen, die Feinde in der Stellung, die er nahe bei Borodino innehatte, anzunehmen, nachdem er dort den 4. September 10 000 kaum organisierte Milizen aus Moskau an sich gezogen hat.
Am gleichen Tage stößt Murat zwischen Gjatsk und Borodino auf den General Konowitzin, der von Kutusoff beauftragt war, eine breite, von einer Schlucht gedeckte Hochebene zu behaupten. Konowitzin befolgt wörtlich den gegebenen Befehl und hält stand, bis die den seinen doppelt überlegenen Massen ihn rückwärts stoßen oder vielmehr hinabgleiten lassen; man folgt seiner Blutspur bis zu dem befestigten Kloster Kolostkoi. Dort sucht er noch einen Augenblick standzuhalten: aber von allen Seiten überflutet, ist er genötigt, sich wieder auf Golowino zurückzuziehen, das er indes nur flüchtigen Fußes durcheilen kann, denn unsere Vorhut dringt fast zugleich mit der russischen Nachhut in dieses Dorf ein. Einen Augenblick darauf erscheint Napoleon zu Pferd und überschaut von der Höhe, worauf er steht, die ganze Ebene. Die in Aschenhaufen verwandelten Dörfer, die zertretenen Fruchtfelder, die mit Kosaken gespickten Gehölze beweisen ihm, daß die Ebene, die sich vor ihm ausdehnt, von Kutusoff zu seinem Schlachtfelde gewählt ist. Hinter dieser ersten Linie befinden sich drei Dörfer auf einer stundenlangen Linie; ihre durch Verhaue gehemmten, durch Baumstämme unzugänglich gemachten Zwischenräume wimmeln von Soldaten; die ganze russische Armee wartet hier; der letzte Beweis wird dadurch erbracht, daß sie vor ihrem linken Flügel nahe bei dem Dorfe Schwardino eine Schanze aufgeworfen hat.
Napoleon überschaut den ganzen Umkreis mit einem Blicke. Seit einigen Stunden folgt er auf beiden Ufern der Kaluga; er weiß, daß dieser Fluß bei Borodino eine Krümmung links hin bildet, und obgleich er die Höhen, die ihn zu dieser Abweichung zwingen, nicht sieht, vermutet er sie doch und begreift, daß sich hier die Hauptstellungen der russischen Armee befinden. Aber der Fluß, der die äußerste Rechte des Feindes deckt, läßt sein Zentrum und seinen linken Flügel offen: hier allein ist er verwundbar, hier also muß man ihn fassen. Aber zunächst gilt es, ihn von der Schanze zu vertreiben, die seinen linken Flügel wie mit einem Vorwerk deckt; von da aus wird man imstande sein, seine Stellung besser zu erkennen. Der General Compans erhält den Befehl, die Schanze zu nehmen: dreimal erstürmt er sie, dreimal wird er wieder hinausgeworfen: endlich dringt er ein viertes Mal ein und nimmt Stellung darin. Von hier aus kann endlich Napoleon ungefähr zwei Drittel des gesamten Schlachtfeldes überblicken. Der Rest des Tages vom 5. wird mit gegenseitigen Beobachtungen zugebracht. Von beiden Seiten bereitet man sich auf eine entscheidende Schlacht vor: die Russen bringen ihn einzig mit den Feierlichkeiten des griechischen Kultus hin und rufen in ihren Gesängen den heiligen Niewsky und seine allmächtige Hilfe an. Die Franzosen, an das Te Deum und nicht an Gebete gewöhnt, ziehen ihre Vorposten an sich, schließen ihre Massen zusammen, setzen ihre Waffen instand und verteilen ihre Artillerieparke an die bestimmten Plätze. Von beiden Seiten halten sich die Streitkräfte der Zahl nach das Gleichgewicht; die Russen haben 230 000 Mann und wir 225 000 Mann. [Fußnote]
Des Kaisers Zelt steht hinter der italienischen Armee links von der großen Straße; die alte Garde stellt sich in Vierecken um sein Zelt auf; die Feuer werden angezündet; die der Russen bilden einen weiten regelmäßigen Halbkreis, die der Franzosen sind schwach, ungleich und zerstreut; den verschiedenen Korps ist noch keine eigene Lagerstelle angewiesen, und es fehlt an Holz. Während der ganzen Nacht fällt ein kalter und feiner Regen; der Herbst meldet sich. Napoleon läßt den Fürsten von Neufchâtel elfmal wecken, um ihm Befehle zu erteilen, und jedesmal fragt er ihn, ob der Feind noch geneigt scheine standzuhalten; mehrmals hat ihn die Besorgnis, die Russen möchten ihm entrinnen, plötzlich aus dem Schlafe aufgestört, weil er das Geräusch ihres Aufbruches zu hören vermeinte; er hat sich getäuscht, und erst die Helle des Tages läßt den Feuerschein der feindlichen Biwaks erbleichen. Um 5 Uhr morgens steigt Napoleon zu Pferd und reitet, von der Dämmerung geschützt, mit einer schwachen Bedeckung auf halbe Schußweite die ganze feindliche Linie entlang.
Die Russen haben alle Höhen besetzt, sie kreuzen senkrecht die Moskauer Straße und den Hohlweg von Gorka, in dessen Grund ein kleiner Waldbach fließt, und sind zwischen der alten Smolensker Straße und der Moskwa eingeschlossen. Barclay de Tolly bildet mit 3 Infanterie- und 1 Kavalleriekorps den rechten Flügel, von der großen mit Bastionen versehenen Schanze bis zur Moskwa hin, Bagration mit dem siebenten und achten Korps den linken, von der großen Schanze bis an den Holzschlag, der sich zwischen Semenowskoë und Ustiza ausdehnt. So stark diese Stellung auch war, so war sie doch mangelhaft; der Fehler lag an dem General Bennigsen, der als Generalquartiermeister der Armee alle seine Aufmerksamkeit auf die von der Natur verteidigte Rechte verwendet und die Linke vernachlässigt hatte, während doch diese die schwache Seite war; zwar war sie von drei Schanzen gedeckt, aber zwischen diesen und der alten Straße von Moskau lag nur ein von einer Anzahl Jäger behaupteter Zwischenraum von 500 Ellen (an 1000 Meter).
Napoleons Plan ist folgender:
Er gewinnt mit seiner äußersten Rechten unter Poniatowskys Befehlen die Moskauer Straße, schneidet die feindliche Armee entzwei, und während Ney, Davoust und Eugen deren linken Flügel im Zaum halten, will er das ganze Zentrum und den rechten Flügel in die Moskwa zurückwerfen. Es ist dies der nämliche Plan wie bei Friedland: nur daß sich bei Friedland der Fluß im Rücken des Feindes befand und ihm allen Rückzug abschnitt, während hier die Moskwa an seiner Rechten vorbeifließt, und er, wenn er sich zurückziehen will, hinter sich ein günstiges Terrain findet. Dieser Schlachtplan erlitt im Laufe des Tages eine Abänderung. Nicht mehr Bernadotte, sondern Eugen soll das Zentrum angreifen; Poniatowsky soll sich mit seiner ganzen Kavallerie zwischen den Holzschlag und die große Straße schieben und zu gleicher Zeit den äußersten linken Flügel angreifen, während ihn Davoust und Ney von vorn anfallen; Poniatowsky erhält zu diesem Zwecke außer seiner Kavallerie zwei Divisionen vom Korps Davoust. Diese Entziehung eines Teils seiner Truppen bringt die üble Laune des Marschalls auf den höchsten Grad, denn er hatte einen ihm unfehlbar scheinenden Schlachtplan vorgeschlagen und ihn verwerfen sehen müssen. Dieser Plan bestand darin, vor dem Angriff auf die Schanzen die Stellung zu umgehen und sich senkrecht am äußersten Ende des Feindes aufzustellen. Das Manöver war gut, aber gewagt, weil die Russen, wenn sie merken, daß sie abgeschnitten zu werden drohen, und im Fall der Niederlage keinen Ausweg haben, während der Nacht ihr Lager auf der Straße von Mosaisk verlassen und uns am andern Tag nichts als ein ödes, verlassenes Schlachtfeld und leere Schanzen hinterlassen können; dies fürchtete aber Napoleon gerade so sehr wie eine Niederlage.