Napoleon macht in Vizille halt. Vizille ist die Wiege der französischen Freiheit, und das Jahr 1814 wird nicht meineidig an 1789, [Fußnote] denn der Kaiser wird von einer vor Freude trunkenen Einwohnerschaft empfangen. Aber Vizille ist nur eine Stadt ohne Tor, ohne Mauern, ohne Garnison: nach Grenoble muß man marschieren. — Ein Teil der Einwohner begleitet Napoleon. — Eine Stunde von Vizille sieht man einen Offizier, ganz mit Staub bedeckt, herbeieilen. Wie der Grieche bei Marathon ist er nahe daran, vor Ermattung umzufallen; aber er bringt auch reiche Nachrichten.
Gegen 2 Uhr nachmittags ist das 7. Infanterieregiment, vom Oberst Labédoyère kommandiert, von Grenoble abmarschiert, um gegen den Kaiser vorzurücken. Aber eine halbe Stunde vor der Stadt hat der Oberst, der an der Spitze seines Regiments ritt, plötzlich umgewendet und Halt geboten. Sofort tritt ein Tambour auf den Oberst zu und hält ihm die geöffnete Trommel hin. Der Oberst greift hinein, zieht einen Adler hervor, und indem er sich, um von allen gesehen zu werden, in die Bügel stellt, ruft er aus:»Soldaten, schaut hier das glorreiche Zeichen, das in unsern unsterblichen Tagen vor euch herging. Er, der uns so oft zum Siege führte, rückt heran, um unsere Erniedrigung und unser Unglück zu rächen. Es ist Zeit, unter seine Fahne zu fliegen, die nie aufgehört hat, die unsrige zu sein. Wer mich liebt, der folge mir! Es lebe der Kaiser!«— Das ganze Regiment ist ihm gefolgt. Der Offizier wollte der erste sein, der diese Nachricht dem Kaiser überbrachte, und ist vorausgeeilt: aber das ganze Regiment folgt ihm auf dem Fuße nach.
Napoleon spornt sein Pferd und reitet weiter; seine ganze kleine Armee folgt ihm mit großem Geschrei im Sturmschritt. Auf der Höhe eines Hügels angekommen, bemerkt er das Regiment Labédoyère, das eilenden Fußes vorrückt. Kaum hat man ihn bemerkt, als der Ruf: Es lebe der Kaiser! ertönt. Dieser Ruf wird von den Tapferen der Insel Elba vernommen und erwidert. Da läßt es keinen mehr in seinen Reihen, alles läuft, alles dringt vorwärts. Napoleon wirft sich in die Mitte der Entgegenkommenden, Labédoyère stürzt sich von seinem Pferde herab, um Napoleons Knie zu umfassen. Dieser empfängt ihn in seinen Armen, drückt ihn an seine Brust und sagt:»Oberst, Sie setzen mich wieder auf den Thron!«Labédoyère ist außer sich vor Freude. Diese Umarmung wird ihn das Leben kosten, aber was liegt daran? Man hat ein Jahrhundert gelebt, wenn man solche Worte vernahm.
Sofort machte man sich wieder auf den Weg, denn Napoleon kann nicht ruhen, bevor er in Grenoble ist. Grenoble hat eine Besatzung, die sich, heißt es, halten soll. Vergeblich verbürgen sich die Soldaten bei dem Kaiser für ihre Kameraden: der Kaiser tut zwar, als sei er überzeugt wie sie, befiehlt aber doch, auf die Stadt zu marschieren.
Abends 8 Uhr langte Napoleon unter den Mauern von Grenoble an.
Die Wälle sind von dem dritten Genieregiment, das aus 2000 alten Soldaten besteht, von dem vierten Linien-Artillerie-Regiment, in dem Napoleon gedient hat, von zwei Bataillonen des 5. Linienregiments und den Husaren des vierten besetzt. Übrigens war der Marsch des Kaisers so reißend schnell gewesen, daß er allen Maßregeln zuvorkam. Man hatte keine Zeit mehr, die Brücken aufzuziehen; aber die Tore sind geschlossen, und der Kommandant weigert sich, sie öffnen zu lassen.
Napoleon erkennt, daß ihn ein Augenblick des Zögerns verderben kann. Die Nacht beraubt ihn der zauberischen Wirkung seiner Gegenwart; gewiß aller Augen suchen ihn, aber niemand sieht ihn. Da befiehlt er Labédoyère, die Artilleristen anzureden, und der Oberst steigt auf eine Erhöhung und ruft mit starker Stimme:
«Soldaten, wir bringen euch den Helden zurück, dem ihr in so viele Schlachten gefolgt seid: an euch ist es, ihn aufzunehmen und mit uns den alten Sammelruf der Besieger Europas zu wiederholen: › Es lebe der Kaiser!‹«
In der Tat wird dieser magische Ruf augenblicklich wiederholt und nicht allein auf den Wällen, sondern auch in allen Teilen der Stadt. Alles eilt nun den Toren zu, aber die Tore sind geschlossen, und der Kommandant hat die Schlüssel. Inzwischen sind die Soldaten, die Napoleon begleiten, näher getreten. Man gibt einander Rede und Antwort, man reicht sich die Hände durch die Fallgitter, aber man öffnet nicht. Der Kaiser knirscht vor Ungeduld, die nicht frei von Befürchtung ist. Plötzlich ertönt das Geschrei: Platz! Platz! Die ganze Bevölkerung der Vorstadt Très-Cloître ist's, die mit Balken herandringt, um die Tore einzustoßen. Jeder stellt sich in Reih und Glied, die Hebel beginnen ihr Werk, die Tore stöhnen, krachen, fallen, und 6000 Mann dringen zugleich ein.
Das ist keine Begeisterung mehr, es ist Wut, Raserei. Die Menschen stürzen sich auf Napoleon, als wollten sie ihn in Stücke zerreißen. In einem Augenblick ist er unter bacchantischem Jubelgeschrei von seinem Pferde gerafft, aufgehoben und fortgerissen. Nie, in keiner Schlacht, ist er solche Gefahr gelaufen. Alles zittert für ihn, denn er allein kann begreifen, daß die Flut, die ihn fortreißt, lauter Liebe ist.
Endlich hält er in einem Hoteclass="underline" sein Generalstab kommt herbei und umgibt ihn. Kaum ist man wieder zu Atem gekommen, als man neuen Lärm hört: diesmal sind es die Bewohner der innern Stadt, die ihm die ganzen Tore bringen, da sie ihm die Schlüssel dazu nicht bringen konnten.
Nun ist die Nacht ein ununterbrochenes Fest, währenddessen Soldaten, Bürger und Bauern sich miteinander verbrüdern. Auch läßt Napoleon sofort seine Aufrufe wieder drucken. Am 8. morgens werden sie angeheftet und nach allen Seiten hin verbreitet. Sendboten gehen von der Stadt aus und tragen sie nach allen Enden hin mit der Kunde von der Besitznahme der Hauptstadt des Dauphiné und dem baldigen Eingreifen Österreichs und des Königs von Neapel. Erst in Grenoble weiß Napoleon bestimmt, daß er bis nach Paris gelangen wird.