Im Laufe des Abends führt man mehrere Offiziere von der englischen Reiterei, die man während des Tages zu Gefangenen gemacht hatte, vor Napoleon, er kann aber von ihnen nichts weiter erfahren.
Um 10 Uhr schickt Napoleon an Grouchy, von dem er glaubt, daß er vor Wavre stehe, einen Offizier, um ihn wissen zu lassen, daß er die ganze englisch-holländische Armee vor sich habe, die vor dem Forste von Soignes, mit dem linken Flügel an den Flecken la Haie gelehnt, aufgestellt sei, und daß er ihr mit aller Wahrscheinlichkeit morgen eine Schlacht liefern werde. Demgemäß befiehlt er ihm, zwei Stunden vor Tagesanbruch eine Division von 7000 Mann mit 16 Stücken schweren Geschützes von seinem Lager abzusenden, und zwar auf St. Lambert zu, damit sie sich mit dem rechten Flügel der großen Armee in Verbindung setzen und gegen den linken der englisch-holländischen operieren könne. Grouchy selbst solle, sobald er gewiß sei, daß die preußisch-sächsische Armee Wavre geräumt habe, um sich auf Brüssel zu werfen oder irgendeiner anderen Richtung zu folgen, mit dem größten Teile seiner Truppen in der gleichen Richtung, wie die Division, die ihm als Vorhut dienen würde, aufbrechen und mit seiner ganzen Macht gegen zwei Uhr nachmittags in dem Augenblicke, wo seine Gegenwart entscheidend sein dürfte, anzukommen suchen. [Fußnote] Übrigens werde Napoleon, um nicht die Preußen durch seine Kanonade herbeizuführen, das Gefecht erst ziemlich spät vormittags beginnen. Kaum ist diese Depesche abgefertigt, als ein Adjutant des Marschalls Grouchy mit einem abends 5 Uhr geschriebenen Bericht aus Gembloux anlangt.
Der Marschall hat die Fährte des Feindes verloren, er weiß nicht, ob er auf Brüssel oder auf Lüttich marschiert ist; demzufolge hat er eine Vorhut auf jeder dieser beiden Straßen aufgestellt. Da Napoleon gerade die Posten kontrolliert, so findet er erst bei seiner Rückkehr die Depesche. Sogleich sendet er einen anderen, dem nach Wavre geschickten ähnlichen Befehl ab, und kaum ist der Offizier, der ihn mitnimmt weg, so reitet ein zweiter Adjutant ein, der einen zweiten, morgens 2 Uhr geschriebenen und gleichfalls von Gembloux kommenden Bericht überbringt. Grouchy hat abends 6 Uhr erfahren, daß Blücher mit all seinen Streitkräften sich gegen Wavre gewendet hat. Dorthin habe er (Grouchy) den Preußen auf der Stelle folgen wollen, aber seine Truppen hätten schon Biwak bezogen und kochten ihre Suppe; er wolle daher erst morgen früh aufbrechen. Napoleon kann diese Trägheit seiner Generale nicht begreifen, die doch, von 1814–1815, ein Jahr Zeit zur Ruhe gehabt haben; er entsendet an den Marschall einen noch dringenderen Befehl als die beiden ersten.
Folgendes sind nun die Stellungen der 4 Armeen während der Nacht vom 17. auf den 18.: Napoleon, mit dem 1., 2. und 6. Infanteriekorps, der leichten Reitereidivision des Generals Subervic, den Kürassieren und Dragonern von Milhaud und Kellermann, endlich mit der Kaisergarde, zusammen 68 000 Mann und 240 Kanonen, lagert hinter und vor Planchenoit, quer auf der großen Straße von Brüssel nach Charleroi.
Wellington, mit der ganzen englisch-holländischen, mehr als 80 000 Mann und 250 Feuerschlünde starken Armee, hat sein Hauptquartier zu Waterloo und breitet sich auf der Spitze einer Anhöhe von Braine-Laleud bis nach la Haie aus.
Blücher ist zu Wavre, wo er wieder 75 000 Mann gesammelt hat, mit denen er schlagfertig steht, um überall hinzueilen, wo ihm der Kanonendonner die Notwendigkeit seiner Gegenwart verkünden sollte.
Grouchy endlich ist in Gembloux, wo er ausruht, nachdem er in zwei Tagen drei Stunden Marsch zurückgelegt hat.
So verstreicht die Nacht. Jeder ahnt wohl, daß man am Vorabend einer Schlacht von Zama ist, aber man weiß noch nicht; wer Scipio und wer Hannibal sein wird.
Mit Tagesanbruch tritt Napoleon unruhig aus seinem Zelte, denn er fürchtet, Wellington nicht mehr in seiner gestrigen Stellung zu finden. Er glaubt, der englische und der preußische General hätten die Nacht benutzen müssen, um sich vor Brüssel zu vereinigen, und sie erwarteten ihn am Ausgang der Engpässe des Forstes von Soignes. Aber auf den ersten Blick ist er wieder beruhigt. Die englisch-holländischen Truppen stehen noch immer auf der Hügellinie, wo sie gestern hielten; im Fall einer Niederlage ist ihr Rückzug unmöglich. Napoleon wirft nur einen Blick auf seine Anordnungen. Dann sagt er, sich zu seinen Begleitern umwendend:»Das Schicksal des Tages hängt von Grouchy ab; befolgt er die erhaltenen Befehle, so stehen unsere Aussichten neunzig gegen zehn!«
Morgens 8 Uhr klärt sich das Wetter auf, und Artillerieoffiziere, die Napoleon zur Untersuchung der Ebene abgeschickt hat, kommen mit der Meldung zurück, der Boden beginne zu trocknen und in einer Stunde könne die Artillerie anfangen zu manövrieren. Sogleich steigt Napoleon, der zum Frühstück abgesessen war, wieder aufs Pferd, reitet gegen la Haie Sainte und erkundet die feindliche Linie. Aber da er seinen Augen noch immer nicht traut, heißt er den General Haxo sich dem Dorfs so viel wie möglich zu nähern, um sich zu vergewissern, daß der Feind durch keine während der Nacht aufgeworfene Verschanzung gedeckt ist. Eine halbe Stunde später kehrt der General zurück; er hat keinerlei Befestigung wahrgenommen, und der Feind ist nur durch die natürliche Beschaffenheit der Örtlichkeit selbst verteidigt. Man befiehlt den Soldaten, ihre Waffen zu putzen und trocknen zu lassen.
Napoleon hatte zuerst den Gedanken, auf dem rechten Flügel anzugreifen; aber gegen elf Uhr berichtet ihm Ney, der diesen Teil des Terrains zu untersuchen hatte, daß ein Bach, der durch die Schlucht läuft, durch den gestrigen Regen zum sumpfigen Waldstrom geworden sei, den er mit dem Fußvolk nicht überschreiten könnte; er müsse daher aus dem Dorfe rottenweise ausmarschieren. Da ändert Napoleon seinen Plan; er will diese örtliche Schwierigkeit vermeiden, bis zum Anfang der Schlucht hinaufsteigen und die feindliche Armee im Zentrum durchbrechen, Reiterei und Artillerie auf die Brüsseler Straße werfen, so daß dann den in der Mitte zerschnittenen zwei feindlichen Armeekorps kein Rückzug übrigbleibt, da dem einen Grouchy, der um 2 oder 3 Uhr eintreffen muß, den Weg abschneidet, und dem andern die Reiterei und Artillerie die Brüsseler Straße versperren. Sonach richtet der Kaiser alle seine Reserven auf das Zentrum.
Als dann jeder auf seinem Posten ist und nur den Befehl zum Aufbruch erwartet, setzt Napoleon sein Pferd in Galopp und reitet an der Linie hinab. Überall, wo er vorbeikommt, weckt er die Töne der Militärmusik und den Freudenruf der Soldaten, eine Gewohnheit, die dem Beginn seiner Schlachten immer einen festlichen Anstrich verleiht, im grellen Gegensatz gegen die Kälte der feindlichen Armeen, wo selten ein kommandierender General so viel Vertrauen und Sympathie besitzt, um eine solche Begeisterung hervorzurufen. Mit dem Fernglas in der Hand an einen Baum des kleinen Querwegs gelehnt, vor dem seine Soldaten in Schlachtordnung stehen, ist Wellington Zeuge dieses eindrucksvollen Schauspiels einer Armee, die schwört zu siegen oder zu sterben.
Napoleon kehrt zurück und stellt sich auf die Höhen von Rossomme, von wo aus er das ganze Schlachtfeld überschaut. Hinter ihm ertönt noch, sich wie eine angezündete Pulverfurche fortpflanzend, das Geschrei und die Musik, dann sinkt plötzlich alles in jene feierliche Stille zurück, wie sie immer über zwei Heeren schwebt, die zum Kampfe schreiten.
Bald wird diese Stille durch ein Gewehrfeuer unterbrochen, das von unserer äußersten Linken ausgeht, und dessen Rauch man über dem Gehölz von Goumont wahrnimmt, es sind Jérômes Plänkler, die den Kampf anspinnen müssen, um die Engländer auf diese Seite zu locken. Wirklich enthüllt der Feind seine Artillerie, und der Donner der Kanonen beginnt das Zischen der Flintenkugeln zu beherrschen. General Reille läßt die Batterie der Division Foy vorrücken und Kellermann seine 12 leichten Artilleriestücke vorgaloppieren; zugleich sprengt, unter völliger Bewegungslosigkeit des Restes der Linie, die Division Foy weg und eilt Jérôme zu Hilfe.