Im Augenblick, wo Napoleon dieser ersten Bewegung voll Eifer zuschaut, reitet ein von Marschall Ney, der den Zentrumsangriff gegen den Pachthof von Belle-Alliance auf der Straße von Brüssel leiten sollte, entsendeter Adjutant im Galopp herbei, mit der Meldung, alles sei gerüstet und der Marschall erwarte nur noch das Zeichen. In der Tat sieht Napoleon die für diesen Angriff bezeichneten Truppen in tiefen Massen vor sich und will eben das Zeichen geben, als er auf einmal bei einem letzten Blick auf das ganze Brett des Schlachtfeldes mitten im Nebel etwas wie eine Wolle wahrnimmt, das in der Richtung von Saint-Lambert heranzieht. Er wendet sich zum Herzog von Dalmatien, der als Generalmajor neben ihm hält, und fragt ihn, was er von dieser Erscheinung denke. Plötzlich richten sich alle Fernrohre des Generalstabs nach dieser Seite. Einige behaupten, es seien Bäume, andere, es seien Leute. Napoleon ist der erste, der eine Marschkolonne unterscheidet: aber ist's Grouchy? ist's Blücher? Das weiß man nicht. Marschall Soult meint, es sei Grouchy, Napoleon aber zweifelt noch ahnungsvoll. Er beruft den General Domon und befiehlt ihm, mit seiner und des Generals Subervic leichten Kavalleriedivision aufzubrechen, um nach rechts aufzuklären und schleunigst mit dem anlangenden Korps Fühlung zu suchen. Ist's Grouchys Abteilung, so soll er sich mit ihr vereinigen, ist's Blüchers Vorhut, sie aufhalten.
Gesagt, getan. 3000 Mann Reiterei jagen im Galopp weg, entrollen sich wie ein endloses Band, schlängeln sich einen Augenblick durch die Linien unserer Armee, züngeln über unseren äußersten rechten Flügel hinaus, reiten weiter und schließen sich wie auf einer Parade etwa in einer Entfernung von 3000 Ellen (fast 6 Kilometer) wieder zusammen.
Kaum ist diese Bewegung ausgeführt, die so anziehend war, daß sie eine Weile die Aufmerksamkeit von dem Gehölz von Goumont, wo die Artillerie immer fortdonnert, abgezogen hat, als ein Jägeroffizier dem Kaiser einen preußischen Husaren vorführt, der zwischen Wavre und Planchenoit durch einen fliegenden Streifzug gefangen war. Er trägt einen Brief des Generals Bülow, der Wellington von dessen Ankunft benachrichtigt und Verhaltungsbefehle verlangt. Außer dieser alle Zweifel über die bemerkten Massen aufhebenden Auskunft gibt der Gefangene noch weitere, die man trotz ihrer Unglaublichkeit glauben muß. Er sagt, es hätten noch die drei Korps der preußisch-sächsischen Armee zu Wavre gestanden, wo Grouchy sie auf keine Weise beunruhigt habe. Es stehe auch kein Franzose davor, denn eine Patrouille seines Regiments habe in eben dieser Nacht bis zwei Stunden vor Wavre hin gestreift, ohne auf irgend etwas zu stoßen.
Napoleon wendet sich wieder zu Marschall Soult mit den Worten:»Heute morgen noch standen unsere Aussichten auf neunzig; durch Bülows Ankunft verlieren wir dreißig. Es steht aber noch sechzig gegen vierzig, und wenn Grouchy den ungeheuren Fehler, daß er gestern in Gembloux seinem Vergnügen nachging, wieder gutmacht, wenn er seine Abteilung mit Blitzesschnelle schickt, so wird der Sieg nur noch entscheidender sein, denn dann ist Bülows Korps gänzlich verloren. Lassen Sie einen Offizier kommen!«
Ein Offizier des Generalstabs reitet augenblicklich herbei; er soll Bülows Brief zu Grouchy bringen und ihn aufs schnellste herbeirufen. Nach seiner eigenen Aussage muß er jetzt, in dieser Stunde, vor Wavre sein. Der Offizier soll einen Umweg machen und vom Rücken zu ihm kommen. Er hat auf trefflichen Wegen nur 4–5 Stunden zurückzulegen, der Offizier hat ein rasches Pferd und verspricht, in 1 ½ Stunden an Ort und Stelle zu sein.
Im gleichen Augenblick schickt der General Domon einen Adjutanten, der die Nachricht bestätigt; es sind die Preußen, die man vor sich hat, und er selbst hat soeben mehrere auserlesene Streifpatrouillen entsendet, um sich mit Marschall Grouchy in Verbindung zu setzen.
Der Kaiser befiehlt dem General Lobau, mit zwei Divisionen schräg über die große Straße von Charleroi zu setzen und zur Unterstützung der leichten Reiterei auf das äußerste Ende des rechten Flügels zu eilen. Er soll eine gute Stellung wählen, wo er mit 10 000 Mann 30 000 auszuhalten vermag. So lauten die Befehle, die Napoleon erteilt, wenn er seine Leute kennt. Augenblicklich wird diese Bewegung ausgeführt, und Napoleon kehrt seine Augen wieder nach dem Schlachtfelde.
Eben haben die Plänkler auf der ganzen Linie das Feuer begonnen, und doch ist es, mit Ausnahme des mit gleicher Erbitterung fortdauernden blutigen Kampfes im Gehölz von Goumont, noch immer nichts Ernsthaftes. Außer einer Division, die die englische Armee von ihrem Zentrum den Garden zu Hilfe gesendet hat, steht die ganze englisch-holländische Linie unbeweglich, und auf ihrer äußersten Linken ruhen Bülows Truppen aus und schließen sich aufs neue, um ihre noch im Hohlweg langsam heranziehende Artillerie abzuwarten. Jetzt schickt Napoleon den Marschall Ney den Befehl, das Feuer seiner Batterien spielen zu lassen, auf la Haie-Sainte zu marschieren, es mit dem Bajonett zu nehmen, eine Division Fußvolk darin zu lassen, augenblicklich auf die zwei Pachthöfe von la Papelotte und la Haie zu stürmen und den Feind herauszutreiben, um die englisch-holländische Armee von Bülows Korps zu trennen. — Der diesen Befehl überbringende Adjutant eilt davon, sprengt über die kleine Ebene, die Napoleon vom Marschall trennt, und verliert sich in den gedrängten Reihen der Kolonnen, die das Signal erwarten. Nach einigen Minuten blitzen auf einmal 80 Feuerschlünde und verkünden, daß der Befehl des Oberbefehlshabers vollzogen wird.
Der Graf von Erlon rückt mit drei Divisionen vor im Schutze dieses fürchterlichen Feuers, das die englischen Linien zu lichten beginnt, als plötzlich die Artillerie, wie sie über einen tiefen Grund fährt, einsinkt. Wellington, der von seiner Höhenlinie diesen Unfall gesehen hat, benutzt ihn und wirft auf die Artillerie eine Kavalleriebrigade, die sich in zwei Korps trennt und sich mit Blitzesschnelle teils auf die Division Marcognet, teils auf die hilflos gelassenen Stücke wirft, die nicht nur den Angriff eingestellt haben, sondern auch nicht mehr imstande sind, sich selbst zu verteidigen. Die Infanterie kann sich des Andrangs nicht erwehren; sie wird überwältigt und verliert zwei Adler. Die Artillerie wird niedergesäbelt, die Stränge an den Kanonen und die Kniekehlen der Pferde werden durchgehauen, schon sind 7 Kanonen unbrauchbar gemacht. Da bemerkt Napoleon den Wirrwarr und befiehlt den Kürassieren des Generals Milhaud, ihren Brüdern zu Hilfe zu eilen. Die Eisenmauer setzt sich, von dem vierten Lanciers-Regiment unterstützt, in Bewegung, und die englische Brigade, auf frischer Tat gefaßt, verschwindet, zermalmt, zerschmettert, zerstückt unter diesem fürchterlichen Stoß. Unter anderen sind zwei Dragonerregimenter völlig vernichtet. Die Kanonen werden wieder gewonnen, und die Division Marcognet ist herausgehauen.
Diesen bewundernswert ausgeführten Befehl hat Napoleon selbst überbracht, indem er sich in einem Regen von Kugeln und Granaten, die an seiner Seite den General Devaux töten und den General Lallemand verwunden, an die Spitze der Linie stürzt. Indes rückt Ney auch ohne alle Artillerie immer weiter vor, und während des erzählten üblen, obwohl so rasch wieder gutgemachten Zwischenfalls zur Rechten der Straße von Charleroi nach Brüssel hat er auf der großen Straße und auf den Feldern links eine andere Kolonne, die endlich la Haie-Sainte erreicht, vorrücken lassen.