Die Regierung würdigte das Schriftstück nicht einmal einer Antwort, und Bonaparte blieb in Paris. Was wären die Folgen für die Weltgeschichte gewesen, wenn ein Mitglied des Ministeriums ans Ende dieser Bittschrift das Wort: Bewilligt!«gesetzt hätte! — Gott allein weiß es.
Inzwischen war am 22. August 1795 die Verfassung des Jahres III angenommen worden; die Gesetzgeber, die sie schufen, haben darin bestimmt, daß zwei Drittel der Mitglieder des Nationalkonvents in den neuen gesetzgebenden Körper übergehen sollten. Dabei stürzten die Hoffnungen der Gegenpartei zusammen, die bei einer gänzlichen Neuwahl eine andere, ihre Meinung vertretende Majorität zu gewinnen hoffte. Diese Gegenpartei wurde von den meisten Pariser Sektionen unterstützt, die erklärten, die Verfassung nur dann annehmen zu wollen, wenn die Bestimmung über die Wiederwahl der zwei Drittel aufgehoben würde.
Der Konvent beharrte auf seinem unveränderten Beschluß. Die Sektionen begannen zu murren, am 25. September kam es zu vorläufigen Unordnungen; endlich am 4. Oktober oder 12. Vendemiaire wurde die Gefahr so dringend, daß der Konvent es an der Zeit erachtete, ernstlich seine Stellung zu wahren. Demgemäß erließ er an den General Alexander Dumas, [Fußnote] den Obergeneral der Alpenarmee, der zurzeit beurlaubt war, folgendes Schreiben, dessen Kürze schon die Dringlichkeit der Umstände beweist:
«Der General Alexander Dumas wird sich stehenden Fußes nach Paris begeben, um daselbst den Befehl der bewaffneten Macht zu übernehmen.«
Das Schreiben des Konvents wurde ins Hotel Mirabeau, wo sich der General aufhalten sollte, getragen; aber Dumas war drei Tage vorher nach Villers-Cotterets abgereist, wo er am 13. morgens den Brief erhielt.
Inzwischen wuchs die Gefahr von Stunde zu Stunde; unmöglich konnte man die Ankunft des Generals erwarten. So wurde während der Nacht der Volksvertreter Barras zum Oberbefehlshaber der Armee des Innern ernannt; er bedurfte eines Helfers und warf seine Augen auf — Bonaparte.
Wie man sieht, hatte das Schicksal seinen Pfad geklärt; die Stunde der Zukunft, die, heißt es, einmal für jeden Menschen schlagen muß, war für ihn angebrochen, und die Kanone des 13. Vendemiaire brüllte in der Hauptstadt.
Die Sektionen, die er vernichtet hatte, gaben ihm den Namen» Kartätscher«, und der Konvent, den er gerettet, den Titel eines Obergenerals der italienischen Armee.
Aber dieser große Tag sollte nicht allein auf Bonapartes politisches Leben Einfluß haben; auch sein Privatleben sollte davon abhängen und neue Gestalt gewinnen. Die Entwaffnung der Sektionen war mit einer Strenge vorgenommen worden, die bei den Umständen unerläßlich war. Da verschafft sich eines Tages ein Knabe von zehn bis zwölf Jahren beim Generalstab Eingang und flehte den General Bonaparte an, er möchte ihm den Degen seines Vaters, der General der Republik gewesen war, zurückgeben lassen. Bonaparte, von der Bitte und der jugendlichen Anmut, womit sie ihm vorgetragen worden war, gerührt, ließ den Degen suchen und gab ihn dem Knaben zurück.
Beim Anblick der ihm heiligen, verloren geglaubten Waffe küßte das Kind weinend den Griff, den die Vaterhand berührt hatte. Dem General ging diese Sohnesliebe zu Herzen, und er erwies dem Kinde so viel Wohlwollen, daß die Mutter sich verbunden glaubte, ihm am folgenden Tage einen Dankesbesuch abzustatten.
Das Kind war — Eugen, und die Mutter — Josephine, die Witwe des Generals v. Beauharnais, mit der Bonaparte am 9. März 1796 sich bürgerlich trauen ließ, nachdem er zwei Tage vorher vom Direktorium auf Carnots Vorschlag zum Chefgeneral der italienischen Armee ernannt worden war.
Am 12. März 1796 reiste Bonaparte zur italienischen Armee ab. In seinem Wagen hatte er 2000 Louisdor, das war alles, was er, wenn er sein und seiner Freunde Vermögen zu den Subsidien des Direktoriums legte, hatte zusammenbringen können. Mit dieser Summe geht er, Italien zu erobern; sie betrug den siebenten Teil von dem, was Alexander zur Eroberung Indiens mitnahm.
In Nizza fand er eine Armee ohne Kriegszucht, ohne Munition, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung. Im Hauptquartier angekommen, läßt er jedem General, damit er sich zum Feldzug ausrüsten könne, die Summe von vier Louisdor reichen; darauf sagte er zu den Soldaten, indem er nach Italien hinwies:
«Kameraden, inmitten dieser Felsen hier fehlt es euch an allem; schaut auf die reichen Ebenen, die sich zu euren Füßen entfalten; sie gehören uns! Auf, nehmen wir sie!«
Das war ungefähr dieselbe Rede, wie sie Hannibal vor neunzehn Jahrhunderten an seine Soldaten gerichtet hatte. In der Zwischenzeit war nur einer hier gewandelt, der würdig wäre, diesen beiden Männern an die Seite gestellt zu werden, — Cäsar!
Die Soldaten, an die Bonaparte solche Worte richtete, waren die Trümmer einer Armee, die sich seit zwei Jahren in den öden Felsen des Gestades von Genua mit Mühe des Feindes erwehrten, der, 200 000 Mann stark, aus den besten Truppen Österreichs und des Königreichs Sardinien gebildet, vor ihnen stand. Bonaparte griff diese Masse mit kaum 30 000 Mann [Fußnote] an und schlägt sie fünfmal in elf Tagen, bei Montenotte, bei Millesimo, bei Dego, bei Vico und bei Mondovi. Darauf nimmt er, mit der einen Hand die Tore der Städte brechend, mit der anderem die Schlachten schlagend, die Festen Coni (Cuneo), Tortona, Alessandria und Ceva. In elf Tagen sind die Österreicher von den Piemontesen getrennt, Provera ist gefangen, und der König von Sardinien genötigt, in seiner eigenen Hauptstadt eine Kapitulation zu unterzeichnen. Jetzt dringt Bonaparte nach Oberitalien vor und schreibt, auf Grund der errungenen Erfolge die künftigen vorahnend, an das Direktorium:»Morgen marschiere ich gegen Beaulieu, ich zwinge ihn, über den Po zurückzugehen, ich setze unmittelbar nach ihm hinüber, ich bemächtige mich der ganzen Lombardei, und ehe ein Monat vergeht, hoffe ich, auf den Tiroler Bergen zu sein, dort die Rheinarmee zu treffen und mit ihr zusammen den Krieg nach Bayern zu tragen.«
In der Tat, Beaulieu wird verfolgt. Vergeblich wendet er sich, den Übergang über den Po zu verhindern: der Übergang wird ins Werk gesetzt. Er rettet sich hinter die Mauern von Lodi, ein dreistündiger Kampf verjagt ihn daraus. Er stellt sich auf dem linken Ufer der Adda in Schlachtordnung und verwehrt mit seiner ganzen Artillerie den Übergang über die Brücke, die abzubrechen er nicht die Zeit gefunden hatte. Am 10. Mai treffen die französischen Kolonnen vor dem Flusse ein und erzwingen unter Bonapartes eigener kühner Führung den Übergang; die österreichische Nachhut flüchtet. Nun unterwirft sich Pavia; Pizzighetone und Cremona fallen, das Schloß von Mailand öffnet seine Tore, der König von Sardinien unterzeichnet den Friedensvertrag, die Herzöge von Parma und Modena folgen seinem Vorgang, und Beaulieu hat nur noch Zeit, sich in Mantua einzuschließen.
Bei diesem Vertrag mit dem Herzog von Modena gab Bonaparte die erste Probe seiner Uneigennützigkeit, indem er vier Millionen in Gold ablehnte, die ihm der Kommandant von Este im Namen seines Bruders anbot, und zu deren Annahme ihn Salicetti, der Regierungskommissär bei der Armee, drängte.
In diesem Feldzuge erhielt er auch den volkstümlichen Namen, der ihm im Jahre 1815 die Tore Frankreichs wieder öffnete, und zwar bei folgender Gelegenheit. Als er den Oberbefehl der Armee übernahm, setzte seine Jugend die Veteranen nicht wenig in Erstaunen, weshalb sie beschlossen, ihm selber die niederen Grade zu übertragen, deren ihn die Regierung enthoben zu haben schien. Somit traten sie nach jeder Schlacht zusammen, um ihm einen Grad zu erteilen, und wenn er ins Lager zurückkehrte, wurde er von den ältesten Schnurrbärten empfangen, die ihn mit seinem neuen Titel begrüßten. So geschah es, daß er bei Lodi Korporal wurde. Daher der Beiname Kleiner Korporal, der ihm dann für immer blieb.