So halt Bonaparte im Alter von 27 Jahren in der einen Hand den Degen, der die Staaten zerteilt, und in der anderen die Wage, die die Könige wägt. Mag ihm das Direktorium immerhin seine Bahn vorzeichnen, er folgt der eigenen; befiehlt er auch noch nicht, so gehorcht er doch schon nicht mehr. Das Direktorium schreibt ihm, er solle daran denken, daß Wurmser ein Emigrant ist; Wurmser fällt in die Hände Bonapartes, und er hat für ihn alle seinem Unglück und seinem Alter schuldigen Rücksichten. Das Direktorium bedient sich dem Papst gegenüber beschimpfender Formen; Bonaparte schreibt ihm immer mit Achtung und nennt ihn nie anders als Heiliger Vater. Das Direktorium deportiert und ächtet die Priester; Bonaparte befiehlt seiner Armee, sie als Brüder zu achten und als Diener Gottes zu ehren. Das Direktorium versucht, die Aristokratie mit der Wurzel auszurotten; Bonaparte erläßt an die Demokratie in Genua ein tadelndes Schreiben wegen der maßlosen Verfolgung des Adels und läßt sie wissen, daß sie Dorias Standbild ehren muß, wenn sie seine Achtung nicht verlieren soll.
Am 15. Vendemiaire des Jahres VI (17. Oktober 1797) wird der Friede von Campo Formio unterzeichnet, und Österreich, dem man Venedig läßt, entsagt seinen Rechten auf Belgien und seinen Ansprüchen auf Italien. Bonaparte verläßt Italien und geht nach Frankreich; am 15. Frimairé desselben Jahrs (5. Dezember 1797) kommt er in Paris an.
Bonaparte war zwei Jahre entfernt gewesen, und in diesen zwei Jahren hatte er 150 000 Gefangene gemacht, 170 Fahnen, 550 Kanonen, 600 Feldstücke, 4 Pontontrains, 9 Schiffe von 64 Kanonen, 12 Fregatten von 52, 12 Korvetten und 18 Galeeren erbeutet; noch mehr! 2000 Louisdor hatte er, wie wir oben gesehen haben, aus Frankreich mitgenommen und dafür nach und nach 50 Millionen dahin geschickt; so war es diesmal gegen alle alten und neuen Traditionen die Armee, die das Vaterland nährte.
Mit dem Frieden mußte Bonaparte dem Ende seiner militärischen Laufbahn entgegensehen. Da er aber nicht in Untätigkeit bleiben konnte, so strebte sein Ehrgeiz nach der Stelle eines der beiden austretenden Direktoren. Unglücklicherweise war er erst 28 Jahre alt, und so wäre seine Ernennung eine so große und so schnelle Verletzung der Verfassung vom Jahre III gewesen, daß man nicht einmal den Vorschlag zu machen wagte. So bezog er denn wieder sein kleines Haus in der Rue Chantereine und rang mit den Erfindungen seines Genies vor allem gegen den fürchterlichsten Feind, den er bis dahin bekämpft hatte, — gegen das Vergessenwerden.
«In Paris, «sagte er,»behält man nichts im Gedächtnis; bleibe ich lange müßig, so bin ich verloren. In diesem großen Babel verschlingt ein Ruhm den andern, und wenn man mich ganze drei Male im Schauspielhause des Anblicks würdig geachtet hat, wird man mich nicht mehr ansehen.«
Deshalb ließ er sich bis auf Besseres zum Mitglied des Instituts ernennen.
Endlich am 29. Januar 1798 sagte er zu seinem Geheimschreiber:»Bourrienne, ich mag hier nicht bleiben, es gibt nichts zu tun. Ich merke wohl, wenn ich bleibe, bin ich in kurzem unten. Hier nutzt sich alles ab; schon habe ich keinen Ruhm mehr. Dieses kleine Europa bietet nicht genug, es ist ein Maulwurfshügel. Nur im Orient hat es große Reiche und große Revolutionen gegeben, im Orient, wo 600 Millionen Menschen leben, dorthin gilt es zu gehen; alle großen und berühmten Männer stammen dorther.«
Ihn aber treibt es, die großen und berühmten Männer zu überragen. Bereits hat er mehr getan als Hannibal, er wird so viel tun wie Alexander und Cäsar zusammen. An den Pyramiden, wo diese beiden großen Namen eingegraben sind, soll auch der seinige nicht fehlen.
Am 12. April 1798 wurde Bonaparte tatsächlich zum Obergeneral der Armee des Orients ernannt. [Fußnote]
Man sieht, schon brauchte er bloß noch zu verlangen, um zu erhalten. In Toulon, wo er Anfang Mai ankommt, zeigt ihm die Probe, daß er nur zu befehlen hat, um Gehorsam zu finden.
Ein achtzigjähriger Greis war zwei Tage vor seiner Ankunft in dieser Stadt erschossen worden. Am 16. Mai 1798 schreibt er an die auf Grund des Gesetzes vom 19. Fruktidor ernannten Kriegsausschüsse der 9. Division folgenden Brief:
«Bonaparte, Mitglied des Nationalinstituts.
Mit größtem Schmerze, Bürger, habe ich erfahren, daß siebzig- bis vierundachtzigjährige Greise, arme, schwangere Frauen oder Mütter kleiner Kinder, nachdem sie der Auswanderung überwiesen, erschossen worden sind.
«Sind denn die Soldaten die Henker der Freiheit geworden?
«Ist das Mitleid, das sie bis ins Handgemenge begleitete, jetzt in ihrem Herzen erstorben?
Das Gesetz vom 19. Fruktidor war eine Maßregel der öffentlichen Wohlfahrt; die Verschwörer wollte es treffen, nicht aber elende Weiber und hinfällige Greise.
Ich ermahne euch darum, Bürger, sooft das Gesetz Greise über sechzig Jahre oder Frauen vor euren Richterstuhl führt, zu erklären, daß ihr mitten im Kampfe die Greise und Frauen eurer Feinde geschont habt.
Der Krieger, der einen Blutbefehl gegen eine Person unterzeichnet, die nicht imstande ist, die Waffen zu tragen, ist ein Feiger.
Bonaparte.«
Dieser Brief rettete einem unglücklichen Angeklagten das Leben. Drei Tage darauf schiffte sich Bonaparte ein. So ist sein letztes Lebewohl an Frankreich ein königlicher Akt der Ausübung des Begnadigungsrechtes.
Malta war zum voraus erkauft; Bonaparte ergriff ohne Schwierigkeit davon Besitz und steigt bereits am 1. Juli 1798 in Ägypten in der Nähe des Forts Marabu nicht weit von Alexandria ans Land.
Sobald dies Murad Bei, den der Feind wie einen Löwen in seiner Höhle aufsuchen will, erfuhr, umgab er sich mit seinen Mamelucken, ließ den Nilstrom hinab eine Flottille von kriegsgerüsteten Djermen, Kangen und Schaluppen gehen und sie am Ufer des Flusses von einem 12 000 bis 15 000 Reiter starken Korps begleiten, dem Desaix, der unsere Vorhut befehligte, am 14. bei dem Dorfe Minieh-Salam begegnete. Das war seit den Kreuzzügen das erstemal, daß der Orient und der Okzident einander gegenüberstanden.
Der Stoß war fürchterlich. Die goldbedeckte, windschnelle, flammengleich verzehrende Schar warf sich furchtlos auf unsere Vierecke, deren Flintenläufe sie mit ihren trefflichen Damaszener Säbeln zerhackte. Als aber aus diesen Vierecken das Feuer wie aus einem Vulkan hervorsprühte, entrollte sie sich gleich einer goldgestickten Seidenschärpe, sauste auf ihren Rennern von einem Eisenwinkel zum andern, doch jeder spie ihr seine Ladung ins Gesicht. Als sie jedes Eindringen unmöglich sah, floh sie endlich wie eine lange Reihe verscheuchter Vögel, ließ rings um unsere Bataillone einen zuckenden Gürtel verstümmelter Pferde und Menschen zurück und flog weit hinaus, um, neu zusammengeschlossen, zu neuem Anlaufsversuche zurückzukehren, der vergeblich und mörderisch war, wie der erste.
Da der Tag am heißesten war, sammelten sich diese Reiter zum letztenmal; aber statt auf uns zurückzukommen, nahmen sie den Weg der Wüste zu und verschwanden am Horizont in einem Sandwirbel.
Zu Gizeh erfuhr Murad das Unglück vom 14. Juli, [Fußnote] und an demselben Tage wurden Boten nach Saïd, nach Fayum, in die Wüste geschickt. Beis, Scheiks, Mamelucken — alles wurde von allen Seiten gegen den gemeinsamen Feind zusammenberufen. Jeder mußte kommen mit seinem Roß und seinen Waffen, und drei Tage später zählte Murad 6000 Reiter um sich.