„Sehr richtig“, lachte er.
„Und sodann diese Deutschen! Sie waren ja bereits in Lüttich. Wir alle haben ihr abgeraten. Und so ist sie wieder umgekehrt.“
„Sie ist gewiß die Tochter des Meiereibesitzers?“
„O nein. Sie ist nur zu Besuch bei ihm.“
„Ah! Woher?“
„Daß weiß man nicht.“
„Wie heißt sie?“
„Das kann ich nicht sagen. Hier bei uns war sie mit ihrer Mutter, von dieser wurde sie Margot genannt.“
„Ein hübscher Name!“
„Ja, er paßt ganz zu dem Mädchen. Aber gar zu schön ist doch auch nicht gut; das kann man an ihr sehr deutlich sehen.“
„Wieso?“
„Weil ihre Schönheit bereits zwei Menschen das Leben kostete.“
„Sapperlot.“
„Ja. Denkt Euch, daß die ganze Garnison von Sedan verrückt ist, sie nur zu sehen. Jeder möchte wenigstens einmal mit ihr sprechen. Man hat sich bereits dreimal duelliert. Zweimal fiel ein Offizier.“
„O weh! So ist sie wohl coquet?“
„Oh, nicht im geringsten. Sie erscheint auf keinem Ball, wenn sie auch zehnmal eingeladen würde. Sie geht nie allein aus, sondern nur in Gesellschaft ihrer Mutter. Es kann sich keiner rühmen, ihr auch nur die Fingerspitzen geküßt zu haben.“
„Und doch diese Duelle?“
„Oh, gerade diese Zurückhaltung macht ja die Männer verrückt.“
„Na, Alte, ich war damals in dich nicht verrückt!“ neckte der Wirt.
„Das hätte dir auch sehr schlecht angestanden. Aber der junge Herr wird ermüdet sein. Auch wir gehen zeitig schlafen.“
Die beiden Leute waren jetzt erst zutraulich geworden, nachdem sie vorher verschlossen und mißtrauisch gewesen waren, wie man es bei Bewohnern abgelegener Ortschaften häufig trifft. Der Fremde hätte so gerne sich mit ihnen noch unterhalten, besonders über das letzte Thema, das schöne Mädchen. Das interessierte ihn noch mehr als die Kriegskasse. Er kannte dieses Mädchen ja und wußte auch, warum es sich so zurückgezogen hielt. Es war ja seine Geliebte, seine Braut, und er war der Oberleutnant Hugo von Königsau.
„Geht Ihr wirklich so zeitig schlafen?“ fragte er.
„Ja, denn wir müssen des Morgens früh wieder munter sein.“
„Nun, so will ich Euch nicht von der Ruhe abhalten. Zeigt mir mein Lager.“
„Das ist nicht hier im Haus, sondern im Hof. Kommt!“
Der Mann brannte eine Laterne an und leuchtete ihm über den kleinen, offenstehenden Hof hinüber. Dort stand ein einzelnes, kleines Gebäude, der Ziegenstall, über welchem sich der verschlossene Heuboden befand.
„Hier muß man das Heu verschließen, sonst wird es leicht gestohlen“, erklärte der Wirt. „Da lehnt die Leiter an welcher Ihr emporsteigt. Nehmt sie mit hinauf; das ist besser. Jetzt während des Krieges gibt es allerlei Gesindel in der Nähe. Wenn aber die Leiter fehlt, kann niemand hinauf zu Euch. Sind Eure Kleider trocken geworden?“
„So ziemlich. Ich danke.“
„Soll ich Euch wecken?“
„Nein. Ich wache schon auf.“
„So schlaft wohl. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Königsau folgte dem Rat des Wirts und zog die Leiter empor, als er sich oben befand, obgleich er über die ganze Situation lächeln mußte.
Also dieser kleine, niedrige, kaum fünf Ellen im Durchmesser haltende Heuboden war erster Rang, der Ziegenstall unten war zweiter Rang! Konnten wirklich Menschen da unten bei den Ziegen auf der kotigen Streu schlafen?
Der Wirt war jedenfalls ein sehr armer Mann, da er nicht einmal eine Kuh, sondern nur zwei Ziegen besaß.
Draußen plätscherte der Regen noch immer hernieder, auf dem Heu aber lag es sich wirklich ganz hübsch. Das Plätschern hatte eine einschläfernde Wirkung. Der Oberleutnant dachte an das schöne Mädchen von der Meierei Jeannette, an die verlorene Kriegskasse, und zwischen diesen beiden Gegenständen spannen sich im Traum phantastische Fäden herüber und hinüber.
Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte; er wußte nicht einmal, ob er gewacht oder geträumt hatte, aber plötzlich war er munter, denn er hatte draußen vor dem Stall ein Geräusch gehört. Er horchte angestrengter und vernahm von halb unterdrückter Stimme die Frage:
„Hast du nachgesehen?“
„Ja.“
„Sie sind wirklich schon zu Bett?“
„Ja, es ist kein Licht mehr im ganzen Haus.“
„So gehen wir in den Stall.“
„Aber wenn bereits jemand da ist.“
„Werden sehen.“
Die Tür des Ziegenstalls wurde geöffnet, und Königsau hörte, daß jemand hineinkam. Die Ziegen zeigten etwas Unruhe, schwiegen aber nach einigen begütigenden Lauten wieder, und dann erklang unten die Mahnung:
„Komm herein, es ist niemand hier.“
„Ah, das ist gut.“
„Ja, hier ist es warm, viel besser als da draußen. Ich bin allemal hier untergeschlüpft, wenn ich den Weg in die Berge gemacht habe.“
„Heimlich?“
„Ja, heimlich. Es ist besser, man weiß gar nicht, daß ich hier gewesen bin.“
Königsau konnte alle diese Worte verstehen, obgleich sie fast nur geflüstert wurden. Freilich durfte er kein Glied seines Körpers rühren, weil sonst das Rascheln des Heus seine Anwesenheit verraten hätte.
Wer waren die beiden Männer da unten? so fragte er sich. Der Wirt hatte von allerlei Gesindel gesprochen. Geheim war ihr Einschleichen in den Stall, und geheimnisvoll klangen auch die Worte, welche er erlauscht hatte.
„Was würde der Wirt sagen, wenn er uns hier entdeckte?“
„Nichts. Wir sind her eingegangen, weil er schlief und wir ihn nicht stören wollten. Er würde es uns gar nicht übelnehmen, aber wir müßten doch einen Sou Schlafgeld zahlen.“
„Darauf kann es dir ja gar nicht ankommen, denn du bist reich.“
„Freilich!“ lachte der andere. „Aber besser ist es immer, man weiß gar nichts von meiner Anwesenheit.“
„Werden die Hacken und die Schaufeln noch da liegen?“
„Ganz gewiß; sie sind ja vergraben.“
„Ah, wenn die Leute wüßten – – –“
„Nun, ich habe dafür gesorgt, daß sie nichts wissen. Ah, ich habe in dieser Beziehung bereits sehr viel Pulver verschwendet.“
„Wie aber kommst du dazu, mir dieses Geheimnis mitzuteilen, während die anderen es doch – – – hm?“
„Das will ich dir sagen. Wir waren sechs Personen. Wir hatten ausgemacht, nur alle sechs zugleich sollten den Ort zur bestimmten Zeit besuchen. Ich aber war schlau und machte mir meine Zeichen. Da merkte ich gar bald, daß die Kerls einzeln kamen und sich Geld holten. Da habe ich sie nach und nach weggeputzt, viere ich und du den fünften vorgestern. Das war deine Probe. Du hast sie gut bestanden.“
„Oh, denkst du, daß es das erste Mal war?“ lachte der Gelobte auf.
„Ah, du hast schon –?“
„Sechs, bis jetzt!“
„Sechs hast du bereits abgetan?“
„Ja.“
„Hm, das ist schon aller Ehren wert. Und du hast wirklich ein Auge auf meine Tochter?“
„Ja.“
„Und sie? Was sagt sie dazu? Hast du schon mit ihr gesprochen?“
„Freilich will sie mich. Wir sind vollständig einig.“
„Wenn die Sache so steht, so kann ich dir vertrauen. Mein Schwiegersohn wird mich nicht verraten.“
„Fällt mir doch nicht im Traum ein! Aber wie kamst du denn eigentlich dazu, es gerade auf die Kasse abzusehen? Es war doch eine böse und schwierige Sache.“
„Das war der reine Zufall. Es war eine schlechte Zeit, und der Wildhandel ging nicht mehr, denn ein jeder schoß sich selbst das, was er brauchte. Ich wußte nicht, wovon ich leben sollte. Da nahm ich meine Büchse und zielte auf Menschen.“
„Hm!“
„Was?“
„Brachtest du das gleich fertig?“
„Warum nicht? Übrigens war es oft gar nicht nötig. Es gab Tote oder Verwundete, in deren Taschen genug für mich war. Nach und nach hatten sich mehrere zu mir gefunden, fünf Mann und ich. Wir trieben das Handwerk methodisch, und es brachte uns etwas ein. Da, bei dem Überfall der Preußen auf Ligny waren wir in der Nähe. Wir beobachteten vom Berg aus den ganzen Vorgang.“