Kurze Zeit später wurde Saadi im Triumph in das Zeltdorf geleitet. Er übergab das Fell des Löwen seiner Schwägerin, der Frau seines Bruders, zur Zubereitung und begab sich dann nach dem Zelt des Scheiks.
Er wurde dort ganz anders empfangen als vorher. Er mußte sich neben Menalek auf den Ehrenplatz setzen und erhielt Tabak und Pfeife, wobei Liama ihn bedienen mußte, was sie natürlich mit der größten Freude tat.
Die beiden Männer rauchten lange Zeit schweigend, ohne ein Wort zu sprechen; endlich aber legte der Scheik die Pfeife weg und sagte:
„Saadi, du tapferer Sohn der Beni Hassan, du hast mich am Leben erhalten, als ich bereits an der Pforte des Todes stand. Du liebst Liama, meine Tochter?“
Der Gefragte legte nun auch seine Pfeife fort und antwortete:
„Ich liebe sie von ganzem Herzen. Mein Leben gehört dir und ihr; darum habe ich es für dich gewagt, als der Herr des Donners dich zerreißen wollte.“
Der Scheik wendete sich an seine Tochter:
„Liama, du Weide meiner Augen, ist deine Seele diesem Tapferen zugetan?“
„Ja, Vater“, antwortete sie. „Allah hat ihm mein Herz geschenkt; Allah ist allmächtig, ihm ist nicht zu widerstehen.“
„So möge er dein Herr sein, und du sollst sein Weib sein, so lange Allah euch das Leben schenkt. Mein Segen sei euer Eigentum und leuchte euch bis zur letzten Stunde eurer Tage.“
Er legte ihre Hände ineinander. Sie knieten vor ihm nieder, und er segnete sie. Dann trat auch sein Weib herbei und legte unter Tränen ihre Hände auf die Häupter der beiden. Diese Abkömmlinge Ismaels hatten die Sitten ihrer Urahnen in solcher Ursprünglichkeit erhalten, daß die gegenwärtige Szene sehr leicht in die alttestamentliche Zeit zurückgedacht werden könnte.
„So seid ihr denn bereits heute Mann und Weib“, sagte der Scheik. „Doch wenn der neue Monat beginnt, soll eure Hochzeit gefeiert werden, so weit die Herden der Beni Hassan weiden. Von jetzt an soll Saadi in meinem Zelt wohnen. Liama ist mein Kind und er mein einziger Sohn. Was ich habe, ist auch sein Eigentum. Der Wille Allahs soll geschehen.“
Hierauf zog er sich in den hinteren Teil des Zeltes zurück; die Liebenden aber, welche so unerwartet und plötzlich glücklich geworden waren, traten aus demselben hinaus, um beim Schein der Sterne von der Seligkeit zu flüstern, welche jetzt in ihrem Herzen wohnte. – – –
Am anderen Morgen ritten drei Männer in das Zeltdorf ein. Sie sahen ungeheuer staubig aus und hatten das Aussehen von Leuten, welche eine große Reise hinter sich haben.
Sie sprangen vor dem Zelt des Scheiks vom Pferd. Dieser trat hinter dem Vorhang hervor. Als er sie betrachtete, legte sich seine Stirn in Falten.
„Wer seid ihr?“ fragte er.
„Wir sind Tuaregs“, antwortete einer der Männer in stolzem Ton.
Die Tuaregs sind ein vielstämmiges Wüstenvolk, dunkler gezeichnet als die Mauren und als unverbesserliche Räuber bekannt.
„Was wollt ihr bei den Zelten der Beni Hassan?“ fuhr der Scheik fort.
„Bist du Scheik Menalek?“
„Ich bin es.“
„Wir suchen zwei Männer, welche unter dem Schutz deines Stammes wohnen.“
„Wer sind sie?“
„Es sind Vater und Sohn. Sie stammen aus dem Osten und kamen in diese Gegend, um einer Blutrache zu gehorchen.“
„Wie heißen sie?“
„Malek Omar und Ben Ali.“
„Ich kenne sie.“
„Wo befinden sie sich?“
„Sie sind fortgeritten, ohne mir zu sagen, welches ihr Ziel ist.“
„Werden sie wiederkommen?“
„Sie sagten es.“
„Wann?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sie haben uns gesagt, daß sie uns hier erwarten werden. Wirst du uns erlauben, bis zu ihrer Rückkehr das Salz und Brot deines Stammes zu essen?“
Es dauerte eine Weile, ehe er sagte:
„Ich erlaube es, wenn ihr Freunde dieser Männer seid.“
„Wir sind ihre Freunde.“
„Sie sind unsere Gäste, und die Freunde meiner Gäste sind auch meine Freunde. Tretet bei mir ein, um Salz und Brot zu essen und euch bei mir auszuruhen; denn ich sehe, daß ihr einen weiten Weg zurückgelegt habt.“
„Wir sind mehrere Tage und Nächte geritten, um deinen Gästen eine sehr wichtige Botschaft zu überbringen.“
Sie ließen ihre Pferde frei stehen und folgten dem Scheik in sein Zelt. Sie hatten dasselbe aber noch nicht lange betreten, so langten zwei andere Reiter an, welche von Norden herbeigeritten kamen. Es war Richemonte mit seinem Cousin.
Auch sie hielten vor dem Zelt des Scheiks, und dieser trat aus demselben hervor, um sie zu empfangen. Er sagte ihnen, daß drei Tuaregs angekommen seien, um ihnen eine wichtige Botschaft zu bringen.
„Wo sind sie?“ fragte Richemonte.
„In meinem Zelt.“
„Laßt ihren Führer hervortreten! Wir werden mit ihm sprechen.“
Die beiden verkappten Franzosen stiegen von den Pferden. Der Tuareg, welcher vorhin den Sprecher gemacht hatte, kam herbei und wurde von ihnen durch die Zeltreihe hinaus in das Freie geführt, wo man reden konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, belauscht zu werden.
Sie trafen dabei auf Saadi. Er war mit Liama zu den Herden gegangen, um diese zu besichtigen. Das Mädchen war dort bei seinem Lieblingskamel zurückgeblieben. Er betrachtete im Vorübergehen die fünf Männer, und dabei begegneten seine Augen denen Richemontes. Über beider Angesicht zuckte es wie ein plötzliches Erkennen, doch setzten sie ihren Weg ruhig in entgegengesetzter Richtung fort. Der Scheik stand noch vor dem Zelt, als Saadi dort ankam.
„Wer waren diese Leute?“, fragte der letztere.
„Zwei Araber aus dem Osten, welche meine Gäste sind“, antwortete der Gefragte, „und einer von den drei Tuaregs, welche jetzt kamen, um sie aufzusuchen.“
„Wie heißt der Gast mit dem grauen Bart?“
„Malek Omar.“
Sofort erinnerte sich Saadi des gestrigen Gespräches mit der Geliebten. Der jüngere der beiden Gäste war also Ben Ali, welcher Liama liebte.
„Ich kenne ihn“, sagte er.
„Du kennst ihn?“ sagte Menalek erstaunt. „Du warst ja nie in den östlichen Oasen. Wo hast du ihn gesehen?“
„In Algier.“
„Du irrst. Er ist nie in Algier gewesen.“
„Ich irre nicht. Es ist Malek Omar, der Fruchthändler.“
„Mein Sohn, dein Auge wird dich täuschen.“
„Mein Auge betrügt mich nicht. Ich sah diesen Mann einige Male in das Haus des Generalgouverneurs gehen. Glaubst du, daß man dieses Gesicht verkennen kann?“
„Nie!“ antwortete der Scheik nachdenklich.
„Haben diese beiden Männer die Sprache des Osten?“
„Ich habe sehr viele Dialekte gehört, aber der ihrige ist mir unbekannt. Sie müssen aus einer Oase oder aus einem Land stammen, wo ich noch nicht gewesen bin.“
„Reden sie vielleicht die Sprache unseres Volkes so, wie sie von den Franken gesprochen wird?“
Über das Gesicht des Scheiks ging ein rasches, eigentümliches Zucken.
„Allah ist groß! Du hast richtig geraten, Saadi!“
„Sie sind wegen einer Blutrache da?“
„Ja.“
„Denke über sie nach, o Scheik! Ich war dort, wo die Franken wohnen und habe erfahren, daß ihr Herz falsch ist. Diese Männer kommen von Osten und sagen nicht, wo ihre Heimat ist. Sie haben eine Blutrache und sprechen nicht davon. Sie verkehren mit Tuaregs, welche Räuber und Mörder sind. Sie sprechen wie die Franken. Der Vater heißt Malek Omar, und der Sohn nennt sich Ben Ali. Müßte er nicht Ben Malek Omar heißen, wenn er wirklich der Sohn des anderen wäre? Ich habe diesen Fruchthändler in Algier gesehen, und er hat dir gesagt, daß er noch nie dort gewesen sei? An diesen Männern klebt die Lüge. Ich sage dir, daß sie nicht das sind, wofür sie sich ausgeben.“