„Du hast recht, mein Sohn“, meinte der Scheik, indem sein Auge finster die Richtung suchte, in welcher die drei Männer verschwunden waren. „Aber warum belügen sie mich? Wer sollen sie sein?“
Saadi blickte nachdenklich vor sich hin und fragte:
„Hast du von dem Mann gehört, welcher das ‚Auge der Franzosen‘ genannt wird?“
„Ja. Er ist der Spion der Franken.“
„Keiner kennt ihn!“
„Keiner!“
„Ich denke an ihn, indem ich an diesen Fruchthändler Malek Omar denke.“
Es sah fast aus, als ob der Scheik erschrecken wollte.
„Allah il Allah!“ rief er. „Mein Sohn, deine Gedanken sind schlimm.“
„Vielleicht aber treffen sie das Richtige!“
„Du meinst, er ist es?“
„Es ist möglich, daß er es ist, obgleich ich es ihm nicht beweisen kann.“
„Er ist mein Gast; aber dennoch müßte er sterben, wenn er ein Verräter wäre.“
„Vielleicht entdecken wir es. Laß uns ihn prüfen. Ich werde ihm sagen, daß ich ihn in Algier gesehen habe, und wenn er gerechte Sache hat, wird er zugeben, daß er dort gewesen ist; leugnet er es aber, so ist sein Herz voller Trug gegen uns.“
„Aber wir haben dann doch noch keine Gewißheit.“
„Nein; aber wir wissen wenigstens, daß wir ihm nicht trauen dürfen.“
„Deine Sprache ist die Sprache der Vorsicht und Weisheit. Bleibe bei mir; denn du sollst gegenwärtig sein, wenn diese Männer mit mir zu sprechen verlangen. Warst du längere Zeit in Algier?“
„Mehrere Monate.“
„Hast du die Sprache der Franken gehört?“
„Ja.“
„Hast du etwas von ihr behalten?“
„Ich kenne viele ihrer Worte und auch mehrere Fragen.“
„Sprich einige solche Worte zu diesen beiden Männern, und zwar dann, wenn sie es nicht erwarten. Vielleicht werden sie überrascht und gefangen, indem sie dir darauf antworten.“
„Dein Rat ist klug, ob Scheik. Ich werde ihn befolgen.“
Während dieses Gespräches hatten die drei, von denen die Rede war, das Zeltdorf verlassen und den Eingang der Schlucht erreicht, wo gestern der Löwe getötet worden war. Der Kadaver desselben war aus Ehrfurcht vor dem Herrn des Donners in den Sand vergraben worden; darum fanden sie keine Spur desselben. Sie setzten sich an dem Rand der Schlucht nieder, so daß sie sicher waren, jeden sich Nähernden sofort zu bemerken.
Sie hatten bis jetzt kein Wort gesprochen; nun aber begann Richemonte:
„Seit wann befindet Ihr Euch in diesem Lager?“
„Wenige Augenblicke“, antwortete der Tuareg.
„Welche Botschaft bringt Ihr?“
„Die, welche du verlangtest.“
„So habt Ihr den Reisenden gesehen, welcher von Timbuktu kommt?“
„Wir haben ihn gesehen, denn wir sind zwei Tagereisen weit mit seiner Karawane geritten.“
„Habt Ihr etwas erfahren?“
„Alles!“
„So erzählt.“
„Wir stießen zwei Tage vor Insalah zu dieser Karawane und wurden friedlich aufgenommen. Der Herr des Zuges stammt aus einem fernen Land des Nordens. Er ist ein Nemtse.“
Nemtse heißt Deutscher.
„Habt Ihr seinen Namen erfahren können?“
„Ja, es ist ein Name, wie ihn nur ein Barbar, ein Ungläubiger tragen kann. Ich habe meine Zunge lange Zeit vergeblich gezwungen, ihn auszusprechen. Er lautet ungefähr wie Ko-ni-kau.“
„Königsau?“ fragte Richemonte.
„Deine Zunge ist gelenkiger als die meinige, denn ganz so, wie du ihn aussprichst, ist dieser Name.“
„Hatte er viele Leute bei sich?“
„Er hatte einen Führer und einen Obersten der Kameltreiber nebst fünfzehn Treibern. Und zum Schutz seiner Waren begleiteten ihn dreißig Krieger vom Stamm der Ibn Batta.“
„Was trugen seine Kamele?“
„Viele trugen trockene Pflanzen, ausgestopfte Tiere und Bücher, auch Flaschen, in denen allerlei Gewürm sich befand. Mehrere Kamele aber waren mit kostbaren Waren beladen, welche die Franken brauchen, die Tuaregs aber nicht.“
„Wann wird diese Karawane nach Tuggurt kommen?“
„Erst wenn zwei Wochen vergangen sind.“
„Könnt Ihr sie dort beobachten?“
„Was bietest du uns dafür?“
„Was verlangt Ihr?“
„Ich werde mich mit meinen Gefährten besprechen.“
„Tut dies. Ihr werdet uns in zwei Wochen hier in diesem Zeltlager finden, um uns zu sagen, wann die Karawane von Tuggurt aufbricht.“
„So dürfen wir uns nicht ausruhen; denn wir müssen ihr bis Rhadames entgegen reiten. Werden wir hier frische Pferde bekommen?“
„Ihr könnt die Eurigen umtauschen; ich werde Euch dabei behilflich sein. Jetzt aber kannst du in das Zelt des Scheiks zurückkehren, denn du bedarfst der Ruhe, und ich habe mit meinem Sohn zu sprechen.“
Der Tuareg befolgte diese Weisung, und die beiden Zurückbleibenden begannen, sich in französischer Sprache zu unterhalten.
„Weißt du, daß ich vorhin tüchtig erschrocken bin“, sagte Richemonte.
„Worüber?“ fragte der Cousin.
„Hast du den jungen Kerl gesehen, welcher uns begegnete?“
„Ja.“
„Ich kenne ihn, und ich befürchte, daß auch er mich erkannt hat.“
„Ah! Woher kennst du ihn?“
„Von Algier aus. Er war der Begleiter des englischen Konsuls gewesen und hat mich einige Male gesehen, als ich zum Gouverneur ging.“
„Das ist verteufelt unangenehm.“
„Ganz und gar.“
„Aber gefährlich doch noch nicht.“
„Das bezweifle ich. Wenn der Mensch nun davon spricht, daß er mich in Algier gesehen hat?“
„Nun, was tut das? Du gibst einfach zu, daß du dort gewesen bist.“
„Was soll ich dort gewollt haben?“
„Die Blutrache! Können wir nicht den, welchen wir töten wollen, in Algier gesucht haben?“
„Das wäre allerdings möglich; aber du vergißt, daß ich zu Scheik Menalek bereits gesagt habe, daß ich Algier noch gar nicht kenne.“
„Verdammt!“
„Ja. Es bleibt mir nichts übrig, als alles abzuleugnen.“
„Das wird unter diesen Umständen allerdings das beste sein. Ich glaube nicht, daß wir Mißtrauen erwecken. Wer weiß, ob der Kerl sich dein Gesicht gemerkt hat.“
„Er hat es sich gemerkt, und ich bin ihm aufgefallen; das habe ich sogleich gesehen, als er uns begegnete; ich sah es ihm an den Augen an.“
„Nun, so hat er sich einfach geirrt. Menschen sehen sich ja ähnlich. Aber, da fällt mir ein, daß, wenn wir ja Mißtrauen erwecken, der Scheik sich sehr hüten wird, mit uns im Bund die Karawane zu überfallen.“
„Was täten wir in diesem Fall?“
„Wir müßten uns auf die Tuaregs verlassen. Sie könnten eine Anzahl der ihrigen anwerben. Ich glaube, daß sie dazu bereit sein würden.“
„Aber diese Räuber würden alles nehmen und uns nichts lassen.“
„Das befürchte ich nicht. Vieles von dem, was der Deutsche mit sich führt, wird vollständig unbrauchbar für sie sein. Gehen wir zum Scheik, um mit ihm zu sprechen und Gewißheit zu erhalten, ob ich erkannt worden bin.“
Sie machten sich auf, um diesen Vorschlag auszuführen. Indem sie langsam wieder den Zelten entgegen schritten, bemerkte der Cousin Liama, welche bei einem wunderschönen Kamelfüllen stand und dasselbe zärtlich streichelte.
„Siehst du dort die Tochter des Scheiks?“ fragte er.
„Ja, sie ist's“, antwortete Richemonte.
„Ich muß hin.“
„Halt, jetzt nicht.“
Diese letzten Worte kamen zu spät. Der andere hatte sich bereits mit raschen Schritten entfernt. Richemonte setzte seinen Weg fort, indem er eine zornige Verwünschung über den Verliebten in den Bart brummte.
Dieser näherte sich dem schönen Mädchen, indem seine Augen mit Gier auf ihren reizenden Formen ruhten.