„Ich habe ihr nichts Böses getan“, meinte der Franzose.
„Sie hat mit dir gerungen.“
„Das tut jedes Mädchen im ersten Augenblick, wenn man mit ihr von Liebe spricht. Scheik Menalek, ich bitte doch, mit nach deinem Zelt zu kommen, denn ich habe notwendig mit dir zu sprechen.“
„Worüber?“
„Über Liama.“
„Hier steht sie, und hier stehe ich. Rede! Wir brauchen nicht erst nach dem Zelt zu gehen, denn wir können deine Worte hier ebenso deutlich verstehen.“
Das kam dem Franzosen unerwartet. Auch war die Miene des Scheiks keineswegs so, daß sie ihm hätte Mut machen können. Bei einer Unterredung im Zelt hätte er auf den Beistand Richemontes rechnen können, während er hier allein war. Darum sagte er, auf Saadi deutend.
„Aber dieser hier?“
„Er darf alles hören“, antwortete der Scheik. „Sprich! Ich höre.“
Dagegen gab es nun keine weiteren Einwendungen. Darum begann er zögernd:
„Ich – ich – – – ich liebe deine Tochter.“
Der Scheik nickte ernst, ohne eine Antwort zu geben.
„Ich hoffe, daß du mir dies nicht verbietest.“
„Ich kann es nicht verbieten.“
„Ich bitte dich, sie mir zum Weib zu geben.“
Der Scheik warf mit einem stolzen Lächeln den Kopf zurück und sagte:
„Du sprichst mit sehr kurzen Worten. Ich bin Menalek, der Scheik der Beni Hassan. Die Herden, welche du hier siehst, sind mein Eigentum. Wer aber bist du, und wo weiden deine Herden?“
Diese Fragen brachten den Franzosen in Verlegenheit. Er konnte ohne Richemonte keine Auskunft erteilen; darum antwortete er: „Ich bin reich! Sprich mit meinem Vater. Er wird dir sagen, wer wir sind, und was wir besitzen.“
„Wird er mir das in der Sprache der Franzosen sagen?“ fragte der Scheik boshaft.
„Er versteht sie nicht; er ist ein Beduine gerade wie du.“
„Aber du verstehst sie.“
„Nur wenige Worte, welche ich zufällig gehört habe.“
„Hast du Liama gesagt, daß du wünschst, sie zum Weib zu haben, und was hat sie dir geantwortet?“
Der Franzose zögerte mit der Antwort. Er fühlte sich höchst verlegen.
„Liebt sie dich?“
„Ich weiß es nicht.“
„Du lügst! Du weißt, daß sie dich nicht liebt; sie muß es dir gesagt haben, denn sie hat ihr Herz bereits einem anderen geschenkt.“
Der Franzose fuhr empor.
„Wem?“ fragte er rasch.
Der Scheik deutete auf Saadi und antwortete:
„Hier steht er, den sie liebt, und dem ich sie versprochen habe. Du kommst zu spät. Laß dich nicht wieder bei Liama sehen. Saadi hat gestern den Herrn des Donners getötet, und würde auch dich töten, wenn er noch einmal sehen müßte, daß du diejenige berührst, welche sein Eigentum ist. Hast du mir noch etwas zu sagen?“
Der Franzose war bleich geworden. Die Eifersucht wühlte tief in seinem Innern. Aber aus diesem leichenblassen Angesicht schoß sein Augen einen Blick glühendsten Hasses auf seinen bevorzugten Nebenbuhler.
„Wer ist dieser?“ fragte er.
„Es ist Saadi, ein Angehöriger der Beni Hassan.“
„Gut! Du fragst, ob ich dir noch etwas zu sagen habe? Nein, jetzt nicht, Scheik, aber jedenfalls später.“
Er drehte sich um und ging den Zelten zu.
„Allah sei uns gnädig. Er wird sich rächen!“ sagte Liama, als er sich bis auf Hörweite entfernt hatte.
„Rächen? Dieser?“ fragte der Scheik verächtlich. „Wir fürchten ihn nicht. Wie will er sich rächen, da er uns braucht, um die Karawane der Franzosen zu überfallen? Er hat uns nötig, nicht aber wir ihn. Komm, Saadi, mein Sohn. Laß uns nach dem Zelt gehen, um weiter zu hören, was dieser Vater und dieser Sohn mit den Tuaregs gesprochen haben.“
Indem sie nebeneinander her schritten, fragte er seinen Begleiter nach den französischen Worten, welche dieser vorhin ausgesprochen hatte. Saadi gab ihm eine Übersetzung derselben.
„Kann es möglich sein, daß er nur wenige Worte versteht?“ fragte der Scheik.
„Nein. Was er gesprochen hat, kann nur einer sagen, der mehr als nur einige Worte gehört hat.“
„So glaubst du, daß er ein Franzose ist?“
„Ich glaube es. Er redet unsere Sprache gerade so, wie ich es in Algier gehört habe, wenn die Offiziere der Franzosen arabisch sprachen.“
„So wollen wir vorsichtig sein. Wenn er ein Spion ist, so will er uns veranlassen, eine französische Karawane zu überfallen, nur zu seinem Vorteil und zu unserem Schaden. Er würde den Raub an sich nehmen; wir aber würden die Rache des Gouverneurs auf uns laden und auf unseren Weideplätzen überfallen und getötet werden.“
Als die beiden in das Zelt traten, hatte der Cousin sich neben Richemonte niedergelassen, ohne Zeit gefunden zu haben, diesem das Erlebte mitzuteilen. Sie griffen, ohne sich etwas merken zu lassen, zu ihren Pfeifen, während die Frau des Scheiks beschäftigt war, den Gästen ein Morgenmahl vorzulegen.
Dasselbe wurde verzehrt, ohne daß der Scheik und Saadi an demselben teilnahmen. Dies war eigentlich ein sicheres und deutliches Zeichen, daß diese beiden jetzt gewillt waren, die Gastlichkeit nicht in vollem Umfang in Anwendung zu bringen. Richemonte merkte dies gar wohl. Er fragte:
„Warum nimmst du nicht von dieser Speise?“
„Ich pflege nicht, des Morgens zu essen“, antwortete der Scheik.
„Aber doch habe ich dich des Morgens essen sehen.“
„Wohl selten“, entgegnete Menalek kurz.
Als das Mahl beendet war und ein jeder sich die fettigen Finger am Burnus abgewischt hatte, brachte Richemonte das Hauptthema zur Sprache.
„Ich hörte, daß du in Blutrache mit den Ibn Batta lebst?“ fragte er.
„So ist es“, antwortete der Scheik. „Sie haben zwei Beni Hassan getötet.“
„Nun wirst du jeden Ibn Batta töten, der in deine Hände fällt?“
„Ja, ich werde ihn töten.“
„Wirst du mir dankbar sein, wenn ich dir deine Feinde in die Hand liefere?“
„Ich werde es dir danken.“
„Nun, so will ich dir sagen, daß dies geschehen wird, wenn zwei Wochen vergangen sind.“
„Wo?“
„Auf dem Weg von hier nach Tuggurt. Es wird da die Karawane der Franzosen ankommen, welche von Timbuktu unterwegs ist.“
„Was gehen mich die Franzosen an?“
„Es sind dreißig Krieger der Ibn Batta bei ihnen.“
„Ich werde ihnen nichts zuleide tun“, sagte der Scheik kalt. „Diese will ich nicht.“
Richemonte erstaunte.
„Warum gerade diese nicht?“
„Weil sie jetzt Diener der Franzosen sind.“
„Sie sind dennoch deine Feinde.“
„Aber die Franzosen würden sie an mir rächen.“
Richemonte wußte jetzt wirklich nicht, woran er mit dem Scheik war.
„Fürchtest du die Franzosen?“ fragte er.
„Ich fürchte sie nicht.“
„Du haßt sie?“
„Ja, aber ich will trotzdem in Frieden mit ihnen leben.“
„Wie kommt es, daß du deine Ansichten so schnell änderst, Scheik Menalek?“
„Ich ändere sie nicht. Meine Ansicht ist stets gewesen, niemals das zu tun, was mir und den Meinen Schaden bringt.“
„Schaden? Ah, ich sage dir, daß du großen Vorteil haben würdest!“
„Welchen Vorteil meinst du?“
„Die Karawane ist sehr bedeutend.“
„Meinetwegen mag sie so lang sein, wie die Wüste breit ist.“
„Sämtliche Kamele, Pferde und Waffen würden in eure Hände fallen. Nur das übrige würde ich für mich nehmen.“
„Nur?“ fragte der Scheik mit ironischer Betonung.
„Ja, nur; denn das alles ist nicht so viel wert als die Beute, welche ihr machen würdet.“
„Ich mag kein Kamel, kein Pferd und keine Waffe der Franzosen. Ich weiß, daß du nur Scherz mit mir treibst.“
„Scherz? Wie kommt dir dieser Gedanke?“